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Gebete um Frieden für die Ukraine

Neuer Präsident Poroschenko macht Hoffnung auf Waffenruhe / Gedenken an Todesopfer von Odessa

Von Klaus Joachim Herrmann *

Die Ukraine hat nun wieder einen gewählten Präsidenten, der Frieden beschwört. Doch die Ankündigungen sind unscharf und die Gegner misstrauisch.

Zu einem Gebet um Frieden und Ruhe für ihr Land fanden sich am Montag auf dem Freiheitsplatz im ostukrainischen Charkow einige Dutzend Einwohner verschiedener Konfessionen zusammen. Ein solches Gebet der Übergangsführung in Kiew war vor gut zwei Wochen nicht erhört worden. Doch nun machte Präsident Petro Poroschenko, der am Samstag vor Gästen aus mehr als 50 Ländern in sein Amt eingeführt wurde, wieder etwas Hoffnung. »Ich will keinen Krieg«, versicherte er.

Einen kleinen Schritt weiter ging er am nächsten Tag. »Wir sollten in dieser Woche das Feuer einstellen«, sagte er nach Angaben der Agentur Interfax am Sonntag in Kiew bei einer Sitzung einer Kontaktgruppe mit Diplomaten für die Umsetzung seines angekündigten Friedensplanes. »Jeder Tag, an dem Menschen sterben, jeder Tag, an dem die Ukraine solch einen hohen Preis bezahlt, ist unannehmbar«, sagte er.

Vor allem Russland fordert seit Tagen mit Nachdruck ein Ende des Militäreinsatzes. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Samstag als Zeichen des Entgegenkommens verschärfte Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze zur Ukraine angeordnet, um das Eindringen Bewaffneter in die Krisenregion zu unterbinden.

Eine erste Kiewer Sicherheitsmaßnahme galt allerdings den Militärs in der Zone der »Anti-Terror-Operation«. Ihnen wurden vom Armeeverantwortlichen für den Personalbestand bis Mitte des Monats die Ausrüstung mit Schutzwesten »größerer Sicherheit«, bessere Verpflegung und ein höherer Sold angekündigt.

In den umkämpften Gebieten des Donbass blieben die Reaktionen vorsichtig und misstrauisch. »Diesen Leuten ist nicht zu trauen«, sagte ein Sprecher der »Volksrepublik Lugansk«. Die Mobilisierung sei nicht beendet. »Wir haben Krieg.«

Aus der Ostukraine wurden über die Pfingstfeiertage wiederholt bewaffnete Auseinandersetzungen berichtet. So meldeten regierungsnahe ukrainische Medien, die Stadt Slawjansk sei eingekesselt und es würden Stützpunkte der prorussischen Rebellen von der Artillerie beschossen. Die Kämpfer der abtrünnigen Republik wurden beschuldigt, Wohnviertel unter Feuer genommen zu haben. Es soll erneut Tote und Verletzte gegeben haben.

In Odessa gedachten Sonntag Hunderte Demonstranten der am 2. Mai im Gewerkschaftshaus nach offiziellen Angaben 48 ums Leben gekommenen Menschen. Hier machten Redner Kiew dafür verantwortlich, dass »Menschen für ihre Überzeugungen lebendig verbrannt« worden seien.

Als offizielle Vertreterin des US State Department führte Victoria Nuland, Beraterin des Außenministers, Gespräche mit den Chefs der staatlichen Verwaltungen der Gebiete Odessa und Dnepropetrowsk.

Moskau und Kiew verhandelten weiterhin über eine Lösung in ihrem Streit um den Preis für russische Gaslieferungen. Bis zum heutigen Dienstag wurde eine Schuldenzahlung der Ukraine aufgeschoben. Jetzt droht Lieferung nur gegen Vorkasse.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 10. Juni 2014


Zweite Chance

Klaus Joachim Herrmann über eine Lösung für die Ukraine **

Wieder gibt es Hoffnung auf einen Waffenstillstand in der Ukraine. »Wir sollten in dieser Woche das Feuer einstellen«, sagte Präsident Petro Poroschenko. Da er dies einen Tag nach seinem offiziellen Amtsantritt verkündete, hat sein Wort besonderes Gewicht. Wenn es auch ziemlich unbestimmt ausfiel. Entschiedenheit in Wort und Tat sind von deutlich anderer Art.

Zum Beispiel die »Anti-Terror-Operation«. Der Kandidat war gerade gewählt, da eskalierte und explodierte die »Anti-Terror-Operation« im Osten des Landes. Luft- und Artillerieschläge wurden dort Alltag. Ohne den Segen des designierten Präsidenten, der weiter demonstrativ auf die Beschimpfung »Terroristen« setzte, wären die nicht gewagt worden.

Hartnäckig kann sich also der Verdacht halten, der Oligarch im Präsidentenamt habe das Problem bis zum offiziellen Amtsantritt mit aller Gewalt vom Tisch haben wollen. Doch diese Hoffnung war so trügerisch wie jene, dass man Konflikte an einem Runden Tisch unter sich und nicht mit den Beteiligten ausmachen könne. Egal, wohin der Tisch verschwunden ist. Er war als inszenierte Illusion nur von etwas propagandistischem Wert.

Von größerem könnte der neue Mann in Kiew sein. Seine Stärke könnte das Einlenken im Ost-West-Konflikt zwischen dem prorussischen Donbass und dem proeuropäischen Kiew werden. Reise und Friedensplan sind angekündigt. Doch geht es schon um die zweite Chance. Einen Waffenstillstand hätte er als Wahlsieger längst ausgerufen haben müssen.

** Aus: neues deutschland, Dienstag 10. Juni 2014 (Kommentar)


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