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Neutrale Ukraine?

Zeitung berichtet über Einzelheiten des französisch-deutschen Friedensplans für die Ukraine. Kiewer Truppen beschießen Krankenhaus in Donezk

Von Reinhard Lauterbach *

Nach einem Bericht der französischen Zeitung Le Figaro sollen Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel Russland politische Zugeständnisse im Tausch für ein Ende des Krieges im Donbass angeboten haben. Wie die konservative Zeitung am Donnerstag berichtete, wollten Hollande und Merkel dem russischen Präsidenten Wladimir Putin anbieten, dass die Ukraine blockfrei und neutral bleibt und im Innern föderalisiert wird. Damit wären wesentliche politische Forderungen Moskaus erfüllt.

Im Gegenzug erwarteten die beiden führenden EU-Politiker, dass Russland die Aufständischen im Donbass nicht länger unterstütze und einer Waffenruhe zustimme. Der Konflikt solle zunächst eingefroren werden, bevor man an eine endgültige Lösung gehen könne. Hollande und Merkel waren am Donnerstag in Kiew und berieten fünf Stunden lang mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Es fällt auf, dass nach dem Treffen keine Erklärung über seine Ergebnisse herausgegeben wurde.

Ziel der Moskau-Reise Hollandes und Merkels ist nach Darstellung von Le Figaro unter anderem, die politische Initiative bei der Vermittlung im Ukraine-Konflikt zurückzuerlangen, bevor die USA und ihre osteuropäischen Vasallenstaaten durch eine mögliche Entscheidung über Waffenlieferungen an Kiew ein neues Kapitel der Auseinandersetzung aufschlagen und die EU erneut zur Bedeutungslosigkeit degradieren würden. Entsprechend säuerlich kommentierte ein ungenannter US-Experte in der New York Times den französisch-deutschen Vorschlag als »zynisches Spiel«.

Gleichzeitig beschrieb die Zeitung Hollandes und Merkels Besuch im Kreml aber als Teil einer »mit den USA abgesprochenen« Initiative. Aus dem Beitrag ergibt sich, dass die Festnahme eines ukrainischen Stabsoffiziers unter dem Vorwurf der Spionage für Russland am vergangenen Mittwoch in amerikanischen Militärkreisen offenbar die Zweifel an der Zweckmäßigkeit von Waffenlieferungen an Kiew vergrößert hat. Einige Kommandeure ukrainischer Freiwilligenbataillone streben danach direkte US-Waffenlieferungen an ihre Einheiten unter Umgehung der offiziellen Militärführung an, was freilich ein politischer Affront Washingtons gegen die ukrainische Regierung wäre.

An der Front vereinbarten die Aufständischen und die ukrainischen Truppen eine Feuerpause für die umkämpfte Stadt Debalzewo. Sie trat am Freitag morgen in Kraft und soll ermöglichen, Zivilisten aus der Stadt zu evakuieren. Die humanitäre Lage hatte sich in den vergangenen Tagen in Debalzewo stark verschlechtert, Strom und Wasserversorgung sind ausgefallen. Die Bürger sollten selbst entscheiden können, wohin sie evakuiert werden: nach Artjomowsk, das von ukrainischen Truppen kontrolliert wird, oder in die »Volksrepublik Donezk«. Die Feuerpause wurde nach Angaben beider Seiten zumindest anfänglich eingehalten.

Unterdessen setzte die ukrainische Seite den Beschuss von Donezk und Umgebung fort. Durch Granattreffer vor dem Krankenhaus Nr. 27 im Stadtbezirk Petrowski wurden nach örtlichen Angaben fünf Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt. Bewohner der Stadt klagen über beginnende Engpässe bei der Lebensmittelversorgung und steigende Preise. Meldungen aus Donezk ließen auch vermuten, dass die Ukraine Phosphorbrandgranaten auf die Stadt abgeschossen hat. Über Schäden wurde zunächst nichts bekannt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 7. Januar 2015


Waffenruhe für den Anfang

Klaus Joachim Herrmann über den Friedensgipfel für die Ukraine **

Eine Waffenruhe sei nur der erste Schritt, kündigte der französische Präsident an. Es gehe um eine umfassende Lösung des ukrainischen Konfliktes. Das passt zu einem westeuropäischen Lehrsatz. Danach werden Sanktionen gegen Russland dann aufgehoben, wenn die Gründe, aus denen sie verhängt wurden, wegfallen.

Gerade das muss gelten, wenn der ukrainische Konflikt gelöst werden soll. Nach aller Logik wäre also für die Wiederherstellung des Friedens eben genau jener Grund zu beseitigen, deretwegen die blutige Krise ausbrach.

Das war ein Richtungsstreit um die Ost- oder Westorientierung. USA, EU und Russland feuerten ihre Favoriten zunehmend heftiger an. Die Entscheidung fiel mit einem gewaltsamen Machtwechsel in Kiew. Die nur mühselig hergestellte und traditionell unsichere Balance zwischen West und Ost im Lande wurde zerstört - auch geopolitisch.

Die Sieger glaubten in ihrem Triumph, den Osten zwingen zu können, ohne sich um dessen Befindlichkeiten scheren zu müssen. Die Unterlegenen hofften, das Blatt ebenfalls mit Gewalt wenden zu können. Mehr als 5000 Tote und viele Eskalationsstufen später gilt aber - wenn auch nicht gerade bei allen Politikern und Militärs - die bittere Erkenntnis, dass der Konflikt auch mit mehr Waffen nicht zu lösen sei.

Die Ukraine muss immer noch ihren Standort finden - in Dialog und Ausgleich. Im Lande und darüber hinaus. Vielleicht wird sie sogar doch noch eine Brücke zwischen Europa und Russland.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 7. Januar 2015 (Kommentar)


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