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Notwendigkeit einer dezentralen Energiewende

Energiepolitische Hintergründe der Krise in der Ukraine

Von Henrik Paulitz *

Hinter der aktuellen Krise in der Ukraine steht eine langjährige Auseinanderset-zung um energiepolitische Fragen. Die dezentrale Energiewende bietet perspekti-visch einen Ausweg aus den ständigen Krisen und Kriegen um Energie. Kurzfristig kommt es darauf an, mit diplomatischen Mitteln den Frieden in Europa zu bewahren.

Gasvertrag der Regierung Tymoschenko

Die Ukraine leidet seit 2009 unter den weit überhöhten Gaspreisen des Energierie-sen Gazprom. Es war die mit Westhilfe ins Amt beförderte Ministerpräsidentin Juli-ja Tymoschenko, die Anfang 2009 einen Gasvertrag unterzeichnete, auf dessen Grundlage die Ukraine in einem nicht benötigtem Umfang Gas von Russland ab-nehmen und einen Gaspreis bezahlen muss, der den in Polen oder in Deutschland zu zahlenden Preis weit übersteigt.[1]

Frau Tymoschenko war ab 1995 als Chefin des Energiekonzerns „Vereinigte Ener-giesysteme der Ukraine“ zu einem milliardenschweren Vermögen und zu erhebli-chem Einfluss gekommen. Ihr Unternehmen entwickelte sich „dank zwielichtiger Gaslieferverträge mit dem russischen Konzern Gazprom“ zu einem der mächtigs-ten Konzerne der Ukraine.[2]

Wegen des Gazprom-Vertrages von 2009 wurde sie im Jahr 2011 angeklagt und verurteilt. Es ging um Amtsmissbrauch, da sie den Gasliefervertrag 2009 ohne die Zustimmung des Kabinetts unterzeichnet habe und die vereinbarten Preise zu hoch gewesen seien und die ukrainische Wirtschaft ruiniert hätten.[3]

Import-Reduktionsstrategie der Regierung Janukowytsch

Die Konrad-Adenauer-Stiftung weist in einer Länder-Analyse darauf hin, dass die Ukraine seit 2012 dazu übergangen ist, das Volumen der Gasabnahme aus Russland drastisch zu verringern. Es ging der Regierung um die Entlastung des Staats-haushaltes. Denn im Jahr 2012 musste das Land durchschnittlich 426 US-Dollar pro tausend Kubikmeter Erdgas und für eine Gesamtmenge von 42 Milliarden Ku-bikmeter bezahlen – unabhängig vom tatsächlichen Bedarf („take-or-pay“).

2011 wurden noch 45 Milliarden Kubikmeter abgenommen. 2012 aber waren es nur noch 33 Milliarden, also 27 Prozent weniger. Das strategische Ziel der ukrainischen Regierung von Wiktor Janukowytsch war eine Halbierung der Erdgas-Importe auf nur noch 27 oder sogar 20 Kubikmeter im Jahr 2013.[4]

Das hätte für den Energiekonzern Gazprom einen massiven Einbruch der Einnahmen aus dem Geschäft mit der Ukraine bedeutet. Die Regierung Janukowytsch stellte also ein erhebliches Risiko für die Profitinteressen von Gazprom dar.

Damit dürfte es maßgeblich zusammenhängen, dass es im November 2013 auf dem Majdan in Kiew zu massiven und zuletzt gewalttätigen Protesten kam, die schließlich zur Putsch-artigen Ablösung der Regierung Janukowytsch führten.

Wer profitiert vom russischen Erdgas?

Nun sollte man annehmen, dass allein der russische Staat als Gazprom-Eigner ein Interesse an diesen Entwicklungen hatte, die sich inzwischen zu Spannungen mit der Gefahr eines Krieges in Europa ausweiteten.

Tatsächlich aber gehört nur die eine Hälfte von Gazprom dem russischen Staat. Die andere Hälfte der Aktien (49,998 %) wird von anderen Anteilseignern gehalten. Alleine 27 Prozent der Aktien hält die traditionell im Energiegeschäft engagierte und mit anderen transnationalen Konzernen eng verflochtene US-amerikanische Großbank The Bank of New York Mellon.[5] [6]

Das bedeutet: Gazprom ist ein Ost-West-Konzern. Es besteht nicht nur in Russland, sondern ebenso auch bei einer US-Großbank ein erhebliches Interesse an hohen Gazprom-Gewinnen.[7] Und die Regierung Janukowytsch stand dabei im Weg.

Gescheiterte EU-und NATO-Integration

Sie stand dem Westen auch insofern im Weg, als sie sich zuletzt weigerte, ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zu unterzeichnen. Nach seinem Amtsantritt im Februar 2010 hatte Janukowytsch zudem erklärt, die Ukraine wolle ein blockfreies Land sein und er erteilte einer NATO-Mitgliedschaft eine klare Absage.[8]

Mit dem Assoziierungsabkommen wollte die EU für den Gas-Transit nach Westeuropa der Ukraine ursprünglich weitreichende Zugeständnisse abpressen. So hatte die EU in den Verhandlungen verlangt, dass die Ukraine Ausfälle beim Gastransit automatisch kompensieren und Garantievorleistungen erbringen muss.

Auch hierbei stellte sich die Regierung Janukowytsch den EU-Interessen selbstbewusst in den Weg: Vize-Premierminister Andriy Klyuyev hatte in harten Verhandlungen mit EU-Handelskommissar De Gucht und Energiekommissar Oettinger er-reicht, dass die EU auf diese Forderungen verzichten musste.[9]

Kein günstiges „Investitionsklima“ für transnationale Konzerne

Generell beklagten die transnationalen Konzerne ein für sie ungünstiges „Investiti-onsklima“ in der Ukraine. „Trotz hoher Wachstumsraten bis 2008 ging die Trans-formation der ukrainischen Wirtschaft nur schleppend voran“, moniert beispielswei-se das deutsche Auswärtige Amt. Wichtige Reformen seien lange nicht in Angriff genommen worden. Das umfangreiche Reformprogramm für die Jahre 2010 bis 2014 mit der beabsichtigten nachhaltigen Verbesserung des Investitionsklimas sei nur ansatzweise umgesetzt worden. Im Vergleich mit anderen Ländern der Region seien die Direktinvestitionen pro Kopf niedrig (seit der Unabhängigkeit insgesamt ca. 54 Milliarden US-Dollar).[10]

Erdgas-Förderung der Ukraine

Die Ukraine strebte eine zunehmende Eigenständigkeit auf dem Erdgas-Sektor an. Die eigene Gasgewinnung der Ukraine belief sich Anfang 2013 auf rund 20 Milliar-den Kubikmeter, bei einem Verbrauch von rund 60 Milliarden Kubikmeter.[11]

Mit dem einstigen Ziel der aus dem Amt geputschten Regierung Janukowytsch, die Importe auf 20 Milliarden Kubikmeter zu senken, hätte sich die Ukraine bereits zu rund 50 Prozent selbst mit Erdgas versorgen können.

Die Unabhängigkeit der Ukraine von Gazprom könnte weiter zunehmen, wenn ver-stärkt Erdgas und auch Öl in der Ukraine selbst ausgebeutet werden würden.[12] In diesem Zusammenhang ist vielfach die Rede von Möglichkeiten, per „Fracking“ Schiefergas zu fördern. Entsprechende Verträge wurden mit den Energiekonzer-nen Royal Dutch Shell sowie mit Chevron abgeschlossen. Angeblich sollen in der Ukraine die drittgrößten technisch förderbaren Reserven an Schiefergas in Europa liegen.[13]

Dazu, einmal abgesehen von den Umweltaspekten: Der Schiefergas-Hype stützt sich nur auf sehr vage Prognosen und es wird bereits die Frage gestellt, ob die Öl-konzerne mit dem im Vergleich zu konventionellem Gas ungleich teureren Fra-ckinggas tatsächlich Erdgas-, oder vielmehr nur Spekulationsgeschäfte mit Hilfe von geprellten Anlegern realisieren wollen.

Es war bzw. ist aber auch geplant, gemeinsam mit den Konzernen Royal Dutch Shell und ExxonMobil weiteres konventionelles Erdgas im Schwarzen Meer zu för-dern (Skifska gas field).[14]

Ein kosten-orientiertes Energiepreissystem

Ein Dorn im Auge ist es den Konzernen ferner, dass die Ukraine das Erdgas nicht nur – ebenso wie im Westen – der Industrie, sondern auch den privaten Haushal-ten kosten-orientiert, d.h. sehr günstig verkauft. So gehören rund 80 Prozent der privaten Haushalte der Konsumentengruppe an, die einen durchschnittlichen Gas-preis von nur 83 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter Erdgas bezahlt.[15]

Damit folgt die Ukraine nicht dem von den Energiekonzernen in fast allen Indust-riestaaten etablierten System, wonach große Industriekonzerne Energie zu Dumpingpreisen erhalten, die Bevölkerung und Kleinbetriebe hingegen willkürlich und maßlos überhöhte Energiepreise zu bezahlen haben, womit die exorbitanten Profi-te und insofern die enorme Macht der Energiekonzerne und der mit ihnen verbun-denen Großbanken realisiert wird.

Finanzierung des Regime-Change

Unterm Strich zeigt sich, dass transnationale Energie-Konzerne und dahinter ste-hende Großbanken gewaltige wirtschaftliche Interessen in der Ukraine verfolgen. Die Regierung Janukowytsch stand diesen energiewirtschaftlichen Interessen viel-fach im Weg.

Der seit Februar 2014 amtierende Ministerpräsident der Ukraine, Arsenij Jazenjuk, wies auf seiner Homepage aus, wer ihn unterstützt hat: Das US-State Department, die NATO und zahlreiche westliche „Think Tanks“. Nach Angaben von Victoria Nuland vom State Department hat die USA “die Demokratie” in der Ukraine mit mehr als 5 Milliarden US-Dollar unterstützt.[16]

Wenn so viel Geld fließt, kann es nur um Geschäftsmöglichkeiten für Großkonzer-ne gehen, die ein Vielfaches dieser 5 Milliarden Dollar an Erträgen erwarten – sei es mit dem Energiegeschäft im Zuge der Neuordnung der Ukraine, sei es mit dem, was Ölkonzerne durch den Ölverbrauch eines großen Krieges verdienen.

Die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine demonstrieren, wie die global eng verflochtene konventionelle Energiewirtschaft die Souveränität von Staaten beeinträchtigt und Krisen bis hin zu möglichen Kriegen provoziert.

Strategie A: Dezentrale Energiewende

Langfristig sollte der Weg daher lauten: Die Energiewirtschaft sollte dezentral strukturiert sein mit kleinen Unternehmen, kommunalen Unternehmen und lokalen Energiegenossenschaften, die nicht wie die globale, miteinander eng verflochtene Öl- und Gaswirtschaft Staaten erpressen, bedrohen und mit Krisen und Kriegen überziehen können. Die schrittweise Durchsetzung einer dezentralen Energiewende auf der Basis er-neuerbarer Energien ist daher der dringend gebotene Weg, der perspektivisch zur Auflösung der Konzerne führt, die für die globale Gewalt verantwortlich sind.

Eine Energiewirtschaft mit erneuerbaren Energien in Bürgerhand ist eine der wich-tigsten Strategien, um Krisen und Kriege zu vermeiden („Local Power for Peace“).[17]

Strategie B: Friedens-Diplomatie

Kurzfristig sollte alles daran gesetzt werden, dass die Krise in der Ukraine und auf der Krim nicht in einen Krieg in Europa führt.

Die IPPNW unterstützt nachdrücklich alle besonnen agierenden Kräfte in der Poli-tik, die Wege der Diplomatie suchen, und die sich nicht daran beteiligen, wieder einmal Feindbilder zu schaffen.

Wer Feindbilder in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern sucht, der möchte die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung erhöhen. In dieser Hinsicht sind neben Poli-tikern insbesondere auch Journalisten gefordert, verantwortungsvoll zu handeln.

Um weiterhin den Verzicht auf Gewalt zu gewährleisten, könnte nach Auffassung der IPPNW die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) möglicherweise einen geeigneten organisatorischen Rahmen bieten:

„Ein solches Projekt wäre eine zentrale multilaterale Initiative, die ausgehend von den Erfahrungen und Erfolgen der KSZE-Verhandlungen die konkrete Zusammen-arbeit der sich im Konflikt befindenden Länder zu Ausgleich und Annäherung und schließlich zu einem neuen System kollektiver Sicherheit führen könnte.“[18]

Fußnoten
  1. Friedrich-Ebert-Stiftung: Das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (DCFTA) - Potential für Reformen der ukrainischen Gesellschaft und die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft. Ina Kirsch van de Water. August 2011. S. 8.
  2. Wikipedia: Julija Tymoschenko. Eingesehen 18.03.2014.
  3. Wikipedia: Julija Tymoschenko. Eingesehen 18.03.2014.
  4. Konrad-Adenauer-Stiftung: Diversifizierung der ukrainischen Energiequellen. Von Christine Rosenberger (Auslandsbüro Ukraine). April 2013. S. 1.
  5. Gazprom: Shares. http://www.gazprom.com/investors/stock. Eingesehen 18.03.2014.
  6. The Bank of New Mellon entstand im Jahr 2007 aus einer Fusion der Bank of New York und der Mellon Financial Corporation. Mellon Financial finanzierte u.a. den Elektroriesen und Kraftwerkshersteller Westinghouse. Die frühere Ölgesellschaft Gulf Oil soll zu den lukrativsten Investments von Mellon Financial gezählt haben. Vgl. Wikipedia: The Bank of New York Mellon.
  7. Auch in Deutschland ansässige transnationale Großkonzerne wie BASF, E.On und Siemens haben aus unterschiedlichen Gründen ein Interesse am wirtschaftlichen Erfolg von Gazprom (gemeinsame Projekte, als Kunde, evtl. Aktienanteile). E.On hielt jahrelang gut 6 Prozent der Gazprom-Aktien. E.On-Manager Burckhard Bergmann saß jahrelang im Aufsichtsrat von Gazprom und ist derzeit internationaler Berater von Gazprom-Chef Alexey Miller. Vgl. Gazprom: E.On. Mehr als nur eine Partnerschaft. http://www.gazprom.de/collaboration/europe/eon. Gazprom: Alexey Miller appoints Burckhard Bergmann as his Advisor. Gazprom News. June 30, 2011. http://www.gazprom.com/press/news/2011/june/article114559.
  8. Wikipedia: Wiktor Janukowytsch. Eingesehen 18.03.2014.
  9. Friedrich-Ebert-Stiftung: Das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (DCFTA) - Potential für Reformen der ukrainischen Gesellschaft und die Modernisierung der ukrainischen Wirtschaft. Ina Kirsch van de Water. August 2011. S. 9.
  10. Auswärtiges Amt: Länderinformationen. Ukraine. Wirtschaft. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Wirtschaft_node.html. Eingesehen 18.03.2014.
  11. Germany Trade & Invest: Ukraine zieht Milliardeninvestitionen zur Gasgewinnung an. 14.02.2013. http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=759928.html (Gesellschaft der Bundesre-publik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing.).
  12. Ria Novosti: US-Energiefirma verspricht Ukraine Unabhängigkeit von Öl- und Gasimporten. 15.04.2008. http://de.ria.ru/business/20080415/105148341.html.
  13. Konrad-Adenauer-Stiftung: Diversifizierung der ukrainischen Energiequellen. Von Christine Rosen-berger (Auslandsbüro Ukraine). April 2013. S. 2.
  14. Bloomberg: Ukraine Crisis Endangers Exxon’s Black Sea Gas Drilling. By Stephen Bierman. 11.03.2014. http://www.bloomberg.com/news/2014-03-10/ukraine-crisis-endangers-exxon-s-black-sea-gas-drilling-energy.html.
  15. Deutsche Beratergruppe Ukraine: Anhebung von Gastarifen: Schlüssel für Stabilität und Wachstum. Newsletter Ausgabe 44. April 2012. http://www.beratergruppeukraine. de/download/Newsletter/2012/Newsletter_44_2012_Deutsche%20Beratergruppe.pdf. Konrad-Adenauer-Stiftung: Die Energiepolitik der Ukraine. Von Christine Rosenberger (Auslandsbüro Ukraine). 2012. S. 24.
  16. ARD/Monitor: Die SPD und das russische Erdgas. Sendung vom 13.03.2014. http://www.ardmediathek.de/das-erste/monitor/monitor-die-spd-und-das-russische-erdgas?documentId=20165074.
  17. Die ärztliche Friedensorganisation IPPNW wirbt als IPPNW PEACE POWER NET WORK für die de-zentrale Energiewende. Jeder Bürger und jede Kommune kann so dazu beitragen, dass unsere Welt friedlicher wird. Mehr dazu auf: www.ippnw-peace-power.net.
  18. Jens-Peter Steffen. IPPNW. 18.03.2014.
* Quelle: IPPNW-Informationen, 19. März 2014; pdf-Datei [externer Link]


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