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Poroschenko will Krieg "effektiver" führen

Weitere Kämpfe im Osten der Ukraine / OSZE-Beobachter werden von Separatisten festgehalten

Von Detlef D. Pries *

Der künftige ukrainische Präsident Petro Poroschenko sieht den Osten seines Landes »im Kriegszustand« – und hofft offenbar auf einen militärischen Sieg noch vor seiner Amtseinführung.

In Kramatorsk »zittern Wände und Fensterscheiben«, berichtete ein Korrespondent der »Kramatorskaja Prawda« russischen Kollegen per Telefon. Gerade habe eine »massierte Kanonade« begonnen. Die ukrainischen Truppen setzten Artillerie und Luftwaffe gegen die aufständischen Separatisten in den Gebieten Donezk und Lugansk ein, meldete das Internetportal »Ostrow« (Insel). Zivilisten aus der Rebellenhochburg Slawjansk, darunter Kinder, würden durch die Regierungstruppen an der Flucht aus der Stadt gehindert, klagte die Führung der dortigen »Volkswehr«.

Während ukrainische Medien von Konflikten und Absetzversuchen auf Seiten der »Terroristen« erfahren haben wollen, meldeten die Aufständischen den Abschuss zweier gegnerischer Hubschrauber. Der noch amtierende ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow räumte am Donnerstag im Parlament den Verlust mindestens eines Helikopters ein. Durch den Abschuss seien 14 Insassen ums Leben gekommen, darunter ein General der Nationalgarde. Truppen der »Lugansker Volksrepublik« eroberten derweil ein Kasernengelände der aus rechten »Maidan-Verteidigern« gebildeten Garde.

Widersprüchlich sind die Aussagen zum Verbleib einer Gruppe von OSZE-Beobachtern, zu der seit Montagabend kein Kontakt mehr bestand. Ein estnischer Diplomat in der Ukraine sagte, die vier Beobachter aus Estland, Dänemark, der Schweiz und der Türkei würden im Gebiet Lugansk festgehalten, Verhandlungen über ihre Freilassung würden geführt. Dagegen teilte der »Volksbürgermeister« von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, der Agentur Interfax mit: »Wir wissen, wo sie sind, ihnen geht es gut. Jetzt klären wir, wer sie sind, wohin und warum sie gefahren sind, und lassen sie frei.«

Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte die internationale Gemeinschaft indessen auf, wirksamere Maßnahmen für ein Ende der Gewalt im Osten der Ukraine zu ergreifen. »Durch Überredung bewegen wir die Sache offenbar nicht mehr vom toten Punkt weg«, sagte er. Russlands Botschafter Vitali Tschurkin verlangte von seinem ukrainischen Kollegen Juri Sergejew im UN-Sicherheitsrat: »Stoppen Sie diese Militäroperation und wir werden Ihnen helfen, einen Dialog aufzunehmen.«

Zum Dialog ist aber auch Poroschenko vorerst nicht bereit. Er fordert ein »effektiveres« Vorgehen der ukrainischen Truppen. Offenbar würde er gerne noch vor seiner Amtsübernahme, durch die er auch zum Oberbefehlshaber wird, die »Drecksarbeit« erledigt sehen. Übergangspräsident Turtschinow verkündete am Donnerstag im Parlament nach Auszählung »fast aller« Stimmzettel, dass Poroschenko die Wahl am 25. Mai mit 54,7 Prozent der Stimmen gewonnen habe. Es seien alle Vorbereitungen für die Amtseinführung zu treffen, die spätestens am 9. Juni stattfinden muss und auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz zelebriert werden soll. Die Behörden verbinden damit die Hoffnung, Ordnung auf dem immer noch besetzten Platz zu schaffen.

Womöglich noch vorher will Barack Obama mit Poroschenko sprechen. Wahrscheinlich werde der USA-Präsident während seiner bevorstehenden Europareise am 3. Juni in Warschau auf Poroschenko treffen, vermuteten Diplomaten.

* Aus: neues deutschland, Freitag 30. Mai 2014


Protest gegen Kiews Krieg

Ukrainische Armee verstärkt Militäroperationen im Donbass. Westliche Medien berichten nicht über Vorgänge. Moskau warnt vor Katastrophe

Von Arnold Schölzel **


Nach Angaben regionaler Internetportale starteten die ukrainische Armee und die Nationalgarde am Donnerstag eine »umfassende Militäroperation« gegen die Städte Kramatorsk und Slowjansk. Zu hören seien »intensive Schußwechsel«. Die regulären Truppen hindern demnach Zivilisten daran, die Städte zu verlassen, zahlreiche Häuser seien in Brand geschossen worden. In Slowjansk ergaben sich angeblich etwa 100 Soldaten der Armee den Aufständischen. Die Moskauer Nesawissimaja Gaseta berichtete, in den letzten Tagen habe die »antiterroristische Operation« in der Ukraine mehr als 500 Tote gekostet.

Sowohl am Mittwoch als auch am Donnerstag demonstrierten in Donezk mehrere tausend Bergarbeiter gegen die Kiewer Regierung und den vom am Sonntag gewählten neuen Präsidenten Petro Poroschenko angeordneten Kriegseinsatz in der Ostukraine.

Bei den schweren Kämpfen fügten die Aufständischen in der Nähe von Slowjansk am Donnerstag der Armee einen der schwersten Verluste seit Beginn der Kämpfe zu. Beim Abschuß eines Militärhubschraubers seien 14 Soldaten umgekommen, darunter Generalmajor Wladimir Kultschizki, Chef der Abteilung für Kampf- und Spezialtraining der Nationalgarde, erklärte der amtierende Präsident der Ukraine, Alexander Turtschinow, am Donnerstag im Kiewer Parlament. Aufständische hätten den Helikopter mit russischen Luftabwehrraketen beschossen. Die Rebellen haben seit Anfang April die Kontrolle über die Stadt und halten seit Montag auch vier OSZE-Beobachter als Geiseln fest. Der Sprecher der Aufständischen, Wjatscheslaw Ponomarjow, stellte eine baldige Freilassung der Beobachter aus der Schweiz, Dänemark, der Türkei und Estland in Aussicht. »Wir überprüfen ihre Papiere und lassen sie dann gehen«, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Die vier Gefangenen gehören zu einer 200 Experten starken, zivilen OSZE-Beobachtergruppe, die die Lage überwachen soll.

Ein Führer der Aufständischen in Donezk räumte unterdessen ein, daß in den Reihen der Rebellen auch russische Staatsbürger gegen die ukrainische Armee kämpfen. Einige der Kämpfer, die bei der Regierungsoffensive getötet wurden, seien russische Freiwillige. Ihre Leichen würden nach Rußland überführt.

Westliche Medien berichteten erneut wenig über die Kämpfe im Donbass. Sie beschränkten sich darauf, die Verlautbarungen der Kiewer Putschregierung zu verbreiten. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow forderte die ukrainischen Machthaber am Donnerstag auf, die Offensive umgehend einzustellen. An die Europäische Union und die USA appellierte er am Donnerstag, Druck zu machen, damit die Kiewer Führung einen nationalen Dialog beginne und ein »Abrutschen in eine nationale Katastrophe« verhindert werde. Es seien effizientere Vermittlungsanstrengungen nötig, um die Gewalt in der Ukraine zu stoppen und »sofort einen gegenseitig respektvollen Dialog mit den Regionen« zu beginnen.

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, erklärte ebenfalls am Donnerstag, Kiew müsse garantieren, daß »der Gebrauch exzessiver Gewalt« gegen Zivilisten eingeschränkt werde. Von westlichen Regierungen gab es keine Kommentare zu den Vorgängen in der Ost­ukraine.

** Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014


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