Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gesprächsversuch gescheitert

Weiter schwere Kämpfe im Donbass. Jazenjuk schießt gegen Moskau

Von Reinhard Lauterbach *

Ein für Dienstag geplantes erstes direktes Gespräch zwischen den Kiewer Machthabern und den Aufständischen im Donbass ist nicht zustande gekommen. Statt dessen haben am Mittwoch die Kämpfe in der ostukrainischen Region wieder an Intensität zugenommen. Das von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vermittelte Gespräch hatte per Videokonferenz stattfinden sollen. Die OSZE beschuldigte die Aufständischen, sich nicht gemeldet zu haben. Deren Führer behaupteten, sie seien nicht eingeladen worden. Aus anderen Quellen hatte es geheißen, man habe sich über den Ort des Treffens nicht einigen können. Kiewer Vertreter hätten nicht nach Donezk kommen wollen, Vertreter der Aufständischen nicht in ein von der OSZE vorgeschlagenes orthodoxes Kloster nördlich der Stadt.

Nach dem gescheiterten Gesprächsversuch flammten die Kämpfe am Mittwoch wieder auf. Die Aufständischen beschossen Regierungstruppen im Westen und Süden des Bezirks Donezk. Im Süden, unweit der russischen Grenze, sind offenbar Kiewer Truppen eingekesselt und versuchen, die Einschließung zu durchbrechen. Die Kiewer Seite räumte elf Tote auf eigener Seite ein und sprach von Hunderten getöteten Aufständischen, die im zurückeroberten Slowjansk bei Aufräumarbeiten gefunden worden seien. Im Gegenzug erklärte der Kommandeur der von den Aufständischen gehaltenen 300000-Einwohner–Stadt Gorlowka, Igor Besler, seine Kämpfer fügten der Nationalgarde hohe Verluste zu. Angehörige der regulären Armee würden ordentlich behandelt, sagte Besler der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti, dagegen würden im Kampf gegen die Faschisten des Rechten Sektors und der Nationalgarde keine Gefangenen gemacht. Besler gab beiläufig zu, eine Scheinhinrichtung ukrainischer Offiziere ins Internet gestellt zu haben – was zumindest eine Menschenrechtsverletzung darstellt. Damit habe er die Kiewer Seite bewegen wollen, einem Gefangenenaustausch zuzustimmen. Ebenso räumte er en passant ein, daß er tatsächlich Reserveoffizier der russischen Armee sei – allerdings habe er den Dienst dort schon vor zehn Jahren quittiert. Kiew nimmt die Personalie Besler seit Monaten als Argument, den Aufstand im Donbass als verdeckte Operation Rußlands darzustellen. Auch auf seiten der Zivilbevölkerung gab es wieder zahlreiche Tote. Aus Lugansk wurde seit dem Wochenende von mehr als 20 Toten berichtet, aus der Stadt Donezk von 15 seit Dienstag. Die Donezker Behörden evakuierten mehrere hundert Alte, Frauen und Kinder nach Rußland.

Unterdessen gibt es in der Kiewer Führung anscheinend Meinungsverschiedenheiten über das weitere politische Vorgehen gegenüber Rußland. Der stellvertretende Leiter der Präsidialverwaltung, Aleksander Tschalyj, sprach sich dagegen aus, jetzt die diplomatischen Beziehungen zu Moskau abzubrechen. Dies würde Verhandlungen in einer Reihe humanitärer Fragen erschweren, so Tschalyj am Mittwoch. Unter anderem geht es um eine ukrainische Luftwaffenpilotin, die im Moment in einem Gefängnis auf russischem Boden festgehalten wird. Ihr wird vorgeworfen, die Koordinaten für den Beschuß geliefert zu haben, dem im Juni zwei russische Journalisten an einer Barrikade bei Lugansk zum Opfer gefallen waren.

Dagegen erklärte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk, Rußland habe der Ukraine den Krieg erklärt. Moskau wolle die Ukraine vernichten, so Jazenjuk. Im Moment versuche es das, indem es die Frage der Kriegskosten, der Löhne und Renten propagandistisch hochspiele. Diese Äußerung ist aus der Luft gegriffen und nur durch ihre Umkehrung interessant: Damit wird nämlich jede Diskussion innerhalb der Ukraine über die sozialen Verhältnisse zu russischer und damit staatsfeindlicher Propaganda umdefiniert. Diese Debatte scheint den Machthabern langsam Sorge zu machen. Am Mittwoch demonstrierten Angehörige ukrainischer Soldaten vor der Präsidialverwaltung in Kiew dagegen, daß nur die Kinder einfacher Bürger zum Militär eingezogen würden, nicht aber die Söhne von Politikern. Sie forderten im übrigen eine bessere Versorgung des Militärs und einen Austausch der kämpfenden Einheiten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 17. Juli 2014


Zurück zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage