Stühlerücken im Donbass
Rücktritte von Politikern und Militärs der »Volksrepubliken« könnten Oligarchen stärken
Von Ulrich Heyden, Moskau *
Die führenden Vertreter der »Volksrepubliken« in der Ostukraine müssen sich härtester Angriffe nicht nur der Zentralmacht erwehren.
In den Chefetagen von Donezk und Lugansk gab es in den letzten Wochen ein heftiges Stühlerücken. Die bekannten Politiker und Militärs, die das Gesicht der »Volksrepubliken« prägten, wie Alexander Borodai und Igor Strelkow, Ministerpräsident bzw. Verteidigungsminister von Donezk) sowie der Lugansker »Volksgouverneur, Waleri Bolotow, erklärten ihre Rücktritte.
Offiziell gab es nur wortkarge Erklärungen. Bei Strelkow hieß es ganz in Sowjetmanier, der Zurückgetretene übernehme »andere Aufgaben«. Die Nachrücker sind kaum bekannt. Sind die Rücktritte ein Versuch konservativer Kreise im Kreml, die selbstbewussten Politiker und Militärs in den ostukrainischen »Volksrepubliken« zu domestizieren, wie der Moskauer Politologe Boris Kagarlitzki in einem Beitrag für die linke Internet-Zeitung Rabkor.ru schreibt?
Die Rücktrittswelle begann am 7. August. Der aus Moskau stammende Journalist Alexander Borodai trat von seinem Posten zurück. Sein Nachfolger wurde der 1976 in Donezk geborene Unternehmer Alexander Sachartschenko. Borodai gab bekannt, er wolle von nun an als Berater des neuen Ministerpräsidenten arbeiten.
Am 14. August wurde der kaum bekannte Marat Baschirow aus Moskau, seit 2012 Aufsichtsratsvorsitzender des regionalen russischen Energieunternehmens TGK-5, Ministerpräsident der »Volksrepublik Lugansk«. Der bis dahin starke Mann, der im südrussischen Taganrog geborene Reserve-Soldat Bolotow begründete seinen Rücktritt mit den Folgen einer Verletzung, die er sich bei einem Anschlag im Mai zugezogen hatte.
In russischen Medien gab es Spekulationen, nach denen sich aus Russland stammende führende Vertreter der »Volksrepubliken« in die zweite Reihe zurückziehen, um Vorwürfe, die »Republiken« seien von Moskau gesteuert, den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Diese Erklärung greift jedoch zu kurz. Insbesondere der Fall des am 14. August zurückgetretenen Verteidigungsministers Strelkow, wirft Fragen auf. Denn Strelkow war ein erfolgreicher Militär mit einem großen Erfahrungsschatz. Der zurückgetretene Militärchef der Donezk-Republik, Strelkow, eigentlich Igor Girkin und 1970 in Moskau geboren, verdiente sich erste Sporen 1992 als russischer Freiwilliger im Transnistrien- und dann im Bosnien-Konflikt. 1994 war er als Soldat der russischen Armee und 1995 als Experte für besondere Aufgaben im Tschetschenienkrieg im Einsatz. Neuer Militärchef der Donezk-Republik wurde der 1974 im Lugansker Gebiet geborene Judo-Trainer Wladimir Kononow. Er war bis dahin in der Öffentlichkeit nicht sonderlich aufgefallen.
Der Wechsel an der militärischen Spitze der nach Russland strebenden »Volksrepublik« deute darauf hin, dass der Kreml versuche, deren Politik stärker mit den Interessen der russischen Oligarchen in Einklang zu bringen, meint der Moskauer Politologe Boris Kagarlitzky. Seine Antwort, was Strelkow bewogen haben könne, freiwillig zurückzutreten, deckt sich mit Vermutungen in einigen Medien über einen erheblichen Druck aus der russischen Hauptstadt. Die Vermutung, der Kreml habe Nachschub aus Russland von einem Personalwechsel in der Führung abhängig gemacht, teilt auch Boris Kagarlitzky.
Der Druck auf Strelkow muss dabei sehr groß gewesen sein. Denn der Zurückgetretene hatte wegen seiner erfolgreichen Führung der Donezk-Armee sowohl bei den Aufständischen als auch bei vielen Bürgern der Russischen Föderation großes Ansehen und einigen Rückhalt. Auf Kundgebungen in Russland war schon ein Transparent zu sehen, auf dem Putin und Strelkow als die zwei größten russischen Helden verehrt wurden.
Igor Strelkow galt als überzeugter Monarchist. Er unterstützte aber den politischen und sozialen Umbau des Donezk-Gebietes in eine »Volksrepublik«. Einer in der Ostukraine populären Forderung nach Nationalisierung der Kohleschächte und Stahlwerke stellte er sich nicht entgegen.
Das russische Großkapital jedoch, so analysierte der Politikwissenschaftler Kagarlitzky, habe kein Interesse an einem sozialistischen »Noworossija«. Es hoffe auf gute Geschäftsbedingungen in der Ostukraine und unterstütze hinter den Kulissen jetzt offenbar den Oligarchen Rinat Achmetow.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch 20. August 2014
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