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Aufbau einer Litauisch-Polnisch-Ukrainischen Brigade - Gefährliches sicherheitspolitisches Experiment?

Ein Beitrag von Björn Müller in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Der Ukraine-Konflikt belastet weiterhin das Verhältnis zwischen Russland und der NATO. Besorgt sind insbesondere die osteuropäischen Staaten. Litauen hat in dieser Woche die Stationierung von mehreren tausend NATO-Soldaten im Baltikum gefordert. Von einer Brigade war die Rede. Die baltischen Länder machen sich zudem schon seit längerem für eine stärkere Unterstützung der Ukraine stark. Versucht wird, das Land näher an die NATO heranzuführen – u.a. durch den Aufbau eines multinationalen Großverbandes.
Und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt nimmt diese gemeinsame Brigade nun langsam Gestalt an - mit Soldaten aus Polen, Litauen und der Ukraine. Das Vorhaben ist aber nicht ohne Risiken und hat offenbar nicht den Segen der NATO. Björn Müller hat recherchiert:


Manuskript Björn Müller

Multinationale Militärverbände sind in der NATO ein gängiges Instrument der Sicherheitspolitik – doch im ostpolnischen Lublin entsteht gerade eine Brigade, die aus dem Rahmen fällt. Dort bauen Polen, Litauen und die Ukraine den Stab für eine gemeinsame mechanisierte Infanterie-Brigade auf – 4.500 Mann sollen es werden. Haupt-Truppensteller und Antreiber des Projekts ist Polen. Die Litauisch-Polnisch-Ukrainische-Brigade war eine Idee von Polens Ex- Verteidigungsminister Bogdan Klich, der von 2007 bis 2011 im Amt war. Damals unterhielten die Polen mit Litauen, wie auch mit der Ukraine jeweils einen rund 500 Soldaten starken Verband, in dem man zusammenarbeitete. Polen wollte die Bataillone in einer Brigade zusammenführen, um die Kooperation zu intensivieren. Das Ziel war, eine Plattform für die Ukraine zu schaffen, damit sich der NATO-Anwärter besser an UN-Peacekeeping-Missionen beteiligen konnte.

Das Kalkül: Über die Brigade könnten sich Kiews Streitkräfte als engagierter Partner des Westens beweisen. Das brächte Pluspunkte beim Werben für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Denn die Regierungen in Warschau und Vilnius unterstützen die Aufnahme Kiews in das westliche Miltärbündnis. Die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine ist eines der Hauptziele der polnischen und litauischen Sicherheitspolitik. Beide Staaten fühlen sich von Russland bedroht, insbesondere seit der militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts. Gustav Gressel, Militärexperte am European Council on Foreign Relations in Berlin:

O-Ton Gressel
„Polen hat mit Weißrussland und der Kaliningrad-Enklave schon zwei Grenzen zu Russland und zu einem russischen Alliierten. Wenn die Ukraine fällt, kommt eine weitere große hinzu. Das heißt, die Sicherheitslage des eigenen Landes würde sich logischerweise stark verschlechtern.“

2009 unterzeichneten Polen, Litauen und die Ukraine eine Absichtserklärung über den Aufbau der trinationalen Brigade. Danach ging es mit dem Projekt allerdings nicht so recht voran. Der Grund sei die unstete ukrainische Politik gewesen, mit ihren häufigen Regierungswechseln in den vergangenen Jahren, heißt es aus polnischen Sicherheitskreisen gegenüber NDR Info. Einen neuen Impuls erhielten die Brigade-Planungen durch den Krieg in der Ost-Ukraine. Schon aus pragmatischen Gründen unterstützte die neue ukrainische Regierung das Vorhaben. Der Militärexperte Gustav Gressel:

O-Ton Gressel
„Mit dem Krieg in der Ost-Ukraine und der Besetzung der Krim ist jetzt der strategische Anreiz für Kiew enorm, dieses Format wahrzunehmen, um zumindest eine führungstechnische, organisatorische Modernisierung der eigenen Streitkräfte voranzubringen.“

Inzwischen sind Peacekeeping und Auslandsmissionen bei den Planungen für die Ukraine in den Hintergrund getreten. Die gemeinsame Brigade zügig als Trainingsplattform aufzubauen, um die Wehrkraft der Ukraine zu steigern, ist jetzt das Kernziel der Planungen, heißt es aus polnischen und litauischen Regierungskreisen gegenüber NDR Info. Für den Militärexperten Gustav Gressel sind die Defizite der ukrainischen Streitkräfte nämlich inzwischen deutlich geworden:

O-Ton Gressel
„Also vordringlich ist, die ukrainische Armee im mechanisierten Gefecht zu schulen. Das ist das, wo sie bis jetzt die schwersten Niederlagen erlitten hat. In dem Moment, wo die russischen Verbände ihre Überlegenheit, vor allen Dingen im Bereich des Zusammenspiels der Teilstreitkräfte ausspielen konnten, wurde es für die ukrainische Armee bitter.“

Doch wann die gemeinsame Brigade in Dienst gestellt wird, ist noch völlig offen. Zurzeit bereitet ein polnisches Vorauskommando den Aufbau des Brigade-Hauptquartiers im polnischen Lublin vor. Der Stab des trinationalen Verbandes soll eine Stärke von 100 Soldaten haben, darunter 18 Ukrainer und fünf Soldaten aus Litauen. Die Führung des Großverbandes soll rotieren. Die genaue Stärke und Struktur stehen noch nicht fest. Über den Aufbau gibt es offenbar unterschiedliche Auffassungen. Es fällt auf, dass die Verteidigungsministerien in Warschau und Vilnius stets von Arbeitstreffen zur Brigade berichten, bei denen die Ukraine aber nicht vertreten ist. Ein Umstand, der darauf hindeutet, dass die Regierung in Kiew kein allzu großes Interesse an dem Projekt hat. Für Gustav Gressel ist zudem schon jetzt klar, dass die ukrainischen Streitkräfte Probleme haben werden, der gemeinsamen Brigade geeignete Truppenverbände zu unterstellen.

O-Ton Gressel
„Denn da hat die Ukraine nicht so viele und die, die es hat, stehen im Osten beziehungsweise gegenüber der Krim. Wahrscheinlich, nachdem die Ukraine ihren Bestand an Verbänden zurzeit erhöht, werden sie sich im Sommer mit einem der neu aufgestellten Verbände hier einmelden.“

Denn im Herbst sollen eigentlich die ersten „großen Übungen“ der neuen Brigade stattfinden, so ein Vertreter des polnischen Generalstabs gegenüber NDR Info. Ob damit echte Gefechtsübungen mit Soldaten und Material gemeint sind oder nur Stabsübungen, bleibt offen. Polnische Sicherheitsexperten halten eher letzteres für realistisch und verweisen auf die Anlaufschwierigkeiten der Brigade. Das Brigade-Projekt ist ein nationales Vorhaben der beiden NATO-Staaten Polen und Litauen sowie der Ukraine. Damit unterstreicht insbesondere die Regierung in Warschau ihren außenpolitischen Kurs einer kompromisslosen Politik der Stärke gegenüber Russland. In der NATO selbst sieht man das Projekt zurückhaltend. Insbesondere Deutschland dürfte von den Brigade-Plänen wenig begeistert sein. Christian Mölling, Sicherheitsexperte an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin:

O-Ton Mölling
„Die Deutschen haben prinzipiell zu den ganzen Sachen prinzipiell eine defensive Haltung, weil sie die Lead-Nation im diplomatischen Bereich sind. Das heißt also, Herr Steinmeier möchte ganz gerne einen Erfolg haben und darf darum fürchten, dass solche Aktionen, wie hier durch Polen, möglicherweise für Russland die Tür öffnet, dem Westen die Schuld für weitere Eskalationen in die Schuhe zu schieben.“

Die Litauisch-Polnisch-Ukrainische-Brigade als möglicher Störfaktor für eine Konfliktlösung in der Ost-Ukraine. Für den Sicherheitsexperten könnte sie sogar den Zusammenhalt der NATO gefährden. Christian Mölling:

O-Ton Mölling
„Ein Krieg durch eine Art Unfall wird eine mögliche Wahrscheinlichkeit. Selbst wenn die Polen sagen, wir haben das alles unter Kontrolle, wissen sie nicht, was ihr Gegenüber macht. Wenn irgendetwas schief geht, oder die Ukrainer versuchen, sie in irgendetwas hineinzuziehen, dann haben sie aber ein Problem. Wobei man ganz klar auch sagen muss, dass es passieren kann, dass die NATO-Staaten sagen, ehrlich gesagt, das habt ihr jetzt selber verursacht. Dafür kriegt ihr keinen Artikel-5-Fall.“

Gemeint ist damit der NATO-Bündnisfall. Laut Artikel 5 des NATO-Vertrages betrachten die NATO-Staaten jeden Angriff gegen ein Allianz-Mitglied als Angriff gegen das gesamte Militärbündnis. Russland könnte über die Brigade einen Zwischenfall inszenieren, um die Bündnistreue innerhalb der NATO zu testen – beispielsweise indem es ein eventuelles in der Ukraine abgehaltenes Brigade-Manöver vom Gebiet der Donezk-Separatisten aus beschießen lässt.

In Polen und Litauen sieht man diese Gefahr allerdings nicht. Das Brigade-Projekt wird vielmehr als eines von mehreren Instrumenten gesehen, die Ukraine bei der Reform seines Sicherheitssektors zu unterstützen. Schließlich würden US-Amerikaner und Briten bereits jetzt ukrainische Soldaten ausbilden und trainieren.

Das Kalkül, auf diese Weise die ukrainischen Streitkräfte zu stärken, ist zwar nachvollziehbar und macht Sinn Ein durchdachtes Konzept ist für den Großverband allerdings nicht erkennbar. Zudem ist die Abstimmung zwischen den beteiligten Staaten offenbar unzureichend. Über den möglichen Einsatz des Verbandes haben die jeweiligen Verteidigungsministerien bzw. Generalstäbe unterschiedlichste Vorstellungen. Sie reichen von einer Beteiligung an UN-Missionen bis hin zum Truppensteller für die NATO-Eingreiftruppe. Zweifelhaft ist außerdem, ob die Brigade einen effektiven Beitrag zur Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte leisten kann. Dazu sind die vorhandenen Kapazitäten in dem Verband viel zu begrenzt. Da verwundert es nicht, dass viele andere NATO-Staaten dem Projekt eher skeptisch gegenüberstehen.

* Aus: Aus: NDR Info "Streitkräfte und Strategien", 15. Mai 2015


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