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In Kiew schmelzen die Barrikaden

Außenminister Russlands und Deutschlands bei Steinmeiers Antrittsbesuch um Mäßigung bemüht

Von Klaus Joachim Herrmann *

Die ukrainische Krise bleibt in Kiew, aber auch für Moskau und Berlin das Spitzenthema. Doch wurde es um den Konflikt ruhiger.

Es ist wärmer geworden in der ukrainischen Hauptstadt. Die Barrikaden auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew sackten schon unter zwei Meter Höhe ab. Der Schnee in den aufgetürmten Säcken schmilzt. Die Freilassung der letzten inhaftierten Demonstranten wurde am Freitag angeordnet, die freiwillige Räumung einiger Barrikaden angekündigt.

International scheinen auch die Anhänger der Konfliktparteien zurückzustecken. Seit dem »Fuck the EU«-Ausbruch der US-Unterhändlerin Victoria Nuland hat man sich auf diplomatische Zurückhaltung besonnen. Der Bestätigung verächtlicher Zwietracht im Herangehen von USA und EU an die ukrainische Krise folgte keine weitere veröffentlichte Unflätigkeit.

Beim Treffen in Moskau waren die Außenminister Russlands und der Bundesrepublik zum zweitägigen Antrittsbesuch Frank-Walter Steinmeiers nach scharfen Worten in den Vorwochen um Mäßigung bemüht. Allerdings gilt der Hinweis auf »offenen Dialog ohne Tabuthemen« als – immerhin höfliches – Bekenntnis zu Meinungsverschiedenheiten. Völlig diskret verlief bei Moskau die Begegnung mit Präsident Wladimir Putin.

In dessen Sinne mahnte Sergej Lawrow, es dürfe zwischen dem Westen und Russland jetzt nicht darum gehen, neue »Einflusszonen« zu schaffen. »Wir sind dafür, dass die Ukrainer selbst einen Weg aus der politischen Krise finden.« Damit hatte der Chef des Außenamtes am Smolensker Platz in manchen ukrainischen Medien die Schlagzeile sicher. Er kritisierte freilich, es sei weder »besonders höflich noch korrekt«, uneingeladene Emissäre täglich nach Kiew zu schicken. Die wollten die ukrainische Führung, »überreden, die Wahl zu treffen, die von der EU und den USA vertreten wird«.

»Wir müssen von der Vorstellung Abstand nehmen, dass die Ukraine Teil eines geopolitischen Schachspiels ist«, bestätigte laut dpa Minister Steinmeier. Die bisherige Auseinandersetzung nannte er »nicht hilfreich«. Das galt sowohl für die Ukraine als auch das Verhältnis zwischen Russland und EU. Diese müssten der Ukraine die »Möglichkeit geben, zu sich selbst zu kommen, ohne dass sie dem dauerhaften Druck ausgesetzt ist, sich für den einen oder anderen zu entscheiden«.

Niemand sollte ein Interesse haben, »Feuer an der Lunte dieses Pulverfasses zu entzünden«, blieb Steinmeier bildhaft. Gegenüber der Moskauer Tageszeitung »Kommersant« erklärte er hingegen mit Blick auf Syrien, Afghanistan und Iran summierend knapp: »Ohne Russland geht es nicht.«

Einer kühnen Deutung des CDU-Europapolitikers Elmar Brok dürfte Moskau allerdings nicht zustimmen. Brok erhob den für Montag geplanten Besuch der Oppositionspolitiker Vitali Klitschko (UDAR) und Arseni Jazenjuk (Vaterlandspartei) bei Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Rang intensiver deutscher »Vermittlung«. Dabei dürfte es um die Versicherung des Rückhalts bei der deutschen Regierungschefin gehen. Der unschätzbare Beitrag der CDU zur Formierung von Klitschkos UDAR-Partei ist längst unbestritten.

Die dem Boxer im Ruhestand nahe »Bild«-Zeitung gab schon mal vor, dass Verfassungsänderungen zur Sprache kommen sollten. Hier hängen die Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch fest. Denn die Vaterlandspartei von Expremier Julia Timoschenko, UDAR und die rechtsextreme Swoboda-Partei haben gleich vier Entwürfe eines Grundgesetzes vorliegen. Sie alle und auch die Kommunisten steuerten ihre eigenen bei.

Die Regierung in Kiew amtiert darüber weiter. Nachdem die Opposition sich dem Amt des Premiers erst verweigerte, will nun die regierende Partei der Regionen nicht mehr. Sie werde gegen einen oppositionellen Kandidaten als Regierungschef stimmen, kündigte sie an. Eine Kandidatur solle aus ihren eigenen Reihen kommen, hieß es am Donnerstag in der Kiewer Pressestelle der Partei.

Gar nichts dürfte es mit einem Rededuell zwischen Klitschko und Janukowitsch werden. Zum Schlagabtausch auf dem Maidan forderte der Oppositionelle heraus. Der Präsident nahm an, empfahl sogar ein TV-Duell wegen größerer Zuschauerresonanz. Da machte der Herausforderer den Rücktritt des Gegners zur Bedingung und den eigenen Vorschlag zunichte. Aus seinen mehrfach ausgerufenen Streiks wurde auch nichts.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 15. Februar 2014


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