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Amnestie bringt der Ukraine keine Lösung

Opposition verweigert Räumung des Maidan und besetzter Gebäude / Sanktionsdrohung aus den USA

Von Klaus Joachim Herrmann *

Keine Lösung in Kiew: Ein Amnestiegesetz wurde nur von der Koalition verabschiedet. Es fordert die Räumung des Maidan und von Gebäuden. Die Gegner sagen Nein.

Unentschieden, aber überwiegend friedlich schien die Lage am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt. Der erkrankte Präsident Viktor Janukowitsch gestand in einer über das Internet verbreiteten Erklärung sogar »Fehler« im Machtkampf mit der Opposition ein. Er wolle künftig »mehr Verständnis« für die Forderungen der Demonstranten zeigen. Die Opposition blieb trotzdem nicht ungeschoren. Sie heize die Lage wegen »politischer Ambitionen« einiger ihrer Anführer immer weiter an.

Dieser Vorwurf konnte auch auf deren Reaktion nach der Verabschiedung eines Amnestiegesetzes am späten Vorabend gemünzt sein. Die Opposition boykottierte die Abstimmung, da das Gesetz ein Ende der Proteste und die Räumung besetzter Gebäude binnen 14 Tagen verlangt. UDAR-Chef Vitali Klitschko warf dem Präsidenten Täuschung vor.

Die USA erwägen Sanktionen gegen die Ukraine, bestätigte der dpa die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Caitlin Hayden. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton kündigte noch am Mittwochabend an, man müsse »alle Varianten von Sanktionen, über die wir verfügen, sehr sorgfältig prüfen«. Zu deren »ernsthafter« Vorbereitung drängte die Grünen-Politikerin Rebecca Harms. Der Europarat verzichtete auf Drohungen und empfahl Gespräche.

Für einen gesellschaftlichen Dialog setzten sich auch Vertreter des Kiewer »Euromaidan« vor Journalisten in Berlin ein. Das Land durchlebe eine Krise der Demokratie, sei ein Brennpunkt mitten in Europa geworden und drohe in einen bewaffneten Konflikt zu geraten, warnte der Menschenrechtsanwalt und Koordinator des Gesellschaftlichen Maidan-Rates, Anatoli Bashlovka.

»In der Ukraine vertraut das Volk nicht mehr der Regierung, aber auch nicht der Opposition«, sagte Bashlovka. Beide hätten die Ereignisse nicht mehr unter Kontrolle. Der Bürgerrat schlage außerordentliche Neuwahlen von Präsident und Parlament vor. Es gehe nicht darum, einfach Personen auszuwechseln, erklärten die Maidan-Vertreter, sondern das System zu verändern. Die Verfassung dürfe einem Präsidenten nicht mehr die Vollmachten eines Zaren geben. Gemeinsam mit Andrij Semididko, Chef der Kiewer Organisation »Bürgerrechte«, zeigte sich Anwalt Bashlovka optimistisch, dass sich der »Euromaidan« als neue zivilgesellschaftliche »dritte Kraft« in der Ukraine formieren könne. Der Maidan-Rat bestehe nicht aus Politikern, sondern aus »gewählten, enttäuschten Menschen, die den Willen der einfachen Bürger vertreten«, betonten sie.

Bei den heftigen Protesten gegen den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch wurden landesweit 234 Demonstranten festgenommen. 140 von ihnen säßen in Untersuchungshaft oder stünden unter Hausarrest, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Kiew mit. Bei den Straßenschlachten starben vier Menschen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 31. Januar 2014


Kalter Krieg um Kiew

Klaus Joachim Herrmann über den ukrainischen Konflikt **

Nicht nur der Maidan in Kiew ist ein Symbol. Es sind auch die dort herrschenden abgrundtiefen Minusgrade. Fröste bis um die 23 Grad stehen gleichsam für Kalten Krieg um die Macht. Der kann wie einst sein unseliger großer Bruder in einen heißen übergehen. Die Seiten rüsten immer wieder auf. Kein Zugeständnis ist ein anderes wert. Kompromiss wird als etwas verstanden, das eigene Vorstellungen vollständig durchsetzt.

Die Kontrahenten werden von größeren Mächten mit eigenen Interessen angefeuert. Moskau sucht demonstrativ nach dem Schlüssel zur Milliardenkasse. Washington entzieht Visa und droht mit weiteren Sanktionen. Vorgebliche Unterhändler heucheln namens der EU Fürsorge, machen aber scharf. Und als Zentralorgan des boxenden ukrainischen Oppositionspolitikers setzt die »Bild«-Zeitung Schlagzeilen wie »Klitschko im Krieg!«. Sie will im Ausland wohl mal einen Präsidenten machen.

Der Maidan stand ursprünglich für den Wunsch vieler Ukrainer nach einer Öffnung von und für Europa, nach einem besseren Leben. Tiefes Misstrauen herrschte gegenüber Politikern. Doch genau die bemächtigten sich der Symbolkraft des Maidan, machen hier Sieg oder Niederlage fest. Sie fügten der Enttäuschung über die Herrschenden jene über die Opposition hinzu. Neubeginn muss aber aus den alten Schützengräben raus.

** Aus: neues deutschland, Freitag, 31. Januar 2014


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