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Neuer Zwist zwischen Moskau und Kiew

Lushkow goss in Sewastopol Öl ins Feuer

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Drei Tage brauchte der Pressedienst von Moskaus Oberbürgermeister Juri Lushkow, um eine Erklärung für dessen Brandrede im ukrainischen Sewastopol nachzuschieben. In »zivilisierten Staaten« seien Äußerungen von Politikern zu strittigen Themen kein Grund für Einreiseverbote, hieß es darin.

Juri Lushkow hatte am Wochenende zusammen mit Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow an den Feierlichkeiten zum 225. Jahrestag der Gründung der Schwarzmeerflotte in Sewastopol auf der Krim teilgenommen. Am Sonntag erklärte ihn die Ukraine zur unerwünschten Person. Begründet wurde dies mit Angriffen Lushkows auf die Souveränität der Ukraine.

Lushkow hatte Sewastopol nämlich als russische Stadt bezeichnet und die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine in Frage gestellt. Sewastopol, so die Begründung, sei 1848 zur reichsfreien Stadt erklärt und dem Zaren direkt unterstellt worden. Auch habe Parteichef Nikita Chruschtschow, der die bis dahin russische Krim 1954 der Ukraine zuschlug, gegen die sowjetische Verfassung verstoßen. Diese sah bei Gebietsaustausch Volksentscheide in den betroffenen Regionen vor.

Beim Moskauer Regionalsender TWZ legte Lushkow diese Woche nach: »Das Schwarze Meer war, ist und bleibt für Russland eine Region von besonderem Interesse«. Jede Schwächung dieser Flanke werde zum strategischen Problem. Moskau sei verpflichtet, den Status Sewastopols als russischer Stadt zu bestätigen. Ohne sie sei der Schutz der Südgrenzen unmöglich. Tatsächlich befasst sich der Ausschuss für GUS-Angelegenheiten in der Staatsduma bereits mit einer speziellen Resolution zu Sewastopol.

Lediglich der Machtkampf zwischen Präsident Viktor Juschtschenko und Regierungschefin Julia Timoschenko, der dieser Tage mit neuer Schärfe entbrannte, hinderte Kiew bisher an härteren offiziellen Reaktionen. Inoffiziell machen sich Regierung und Opposition bereits Gedanken über mögliche Sanktionen: Kündigung des Freundschaftsvertrages und vorzeitige Beendigung der Abkommen zur Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte auf der Krim. Moskau hat die Basis in Sewastopol bis 2017 gepachtet und gegenwärtig keine Alternativen.

Die Spannungen könnten zum ersten außenpolitischer Härtetest für Präsident Dmitri Medwedjew werden. Neuer Zwist der slawischen Brüder bahnte sich bereits Anfang April auf der NATO-Ratstagung in Bukarest an. Wladimir Putin hatte die Ukraine dort als »sehr schwierigen Staat« bezeichnet, der zu sowjetischen Zeiten Teile Polens, der Tschechoslowakei, Rumäniens und große Territorien Russlands erhalten habe. Wenn man nun auch noch die »NATO-Problematik« in die Ukraine trage, könnte das sogar deren Staatlichkeit gefährden. Seither ist in der Ukraine wie bei russischen Experten der alte Streit über den Umgang mit Gebieten, die hierzulande als russische gelten, mit neuer Heftigkeit ausgebrochen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Mai 2008


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