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Skepsis umweht die "große Wende"

Den neuen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch erwarten in Moskau harte Verhandlungen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Sein Besuch, so zitierten ukrainische Medien den neuen Präsidenten Viktor Janukowitsch, der an diesem Freitag (5. März) in Moskau eintrifft, werde die »große Wende bei der Verbesserung der russisch-ukrainischen Beziehungen in allen Richtungen« einleiten.

Beobachter sind sich da so sicher nicht. Allein schon, dass Moskau – als Gastgeber berechtigt, den Status der Visite festzulegen – aus dem ursprünglich geplanten offiziellen in letzter Sekunde einen reinen Arbeitsbesuch machte, spricht aus ihrer Sicht Bände. Hiesige Medien erklären den Affront damit, dass Janukowitsch wider Erwarten vor Moskau nach Brüssel reiste, wo er am Sonntag mit EU-Spitzenpolitikern konferierte. Hätte er dort auch mit der NATO verhandelt, schrieb die einflussreiche Wirtschaftszeitung »Wedomosti« unter Berufung auf eine Quelle im Kreml, hätten Präsident Dmitri Medwedjew und Premier Wladimir Putin Janukowitsch sogar mit einer Vertagung des Vorstellungsgespräches gedemütigt.

Einfach werden die Verhandlungen ohnehin nicht. Seit der »Revolution in Orange«, die vor reichlich fünf Jahren den prowestlichen Viktor Juschtschenko auf den Präsidentensessel in Kiew katapultierte, hat sich in den Beziehungen der ostslawischen Brüder jede Menge Zündstoff angesammelt. Die Ukraine ist zwar nominell nach wie vor Mitglied der GUS, klinkte sich jedoch, weil Fernziel die Integration in westeuropäische Strukturen wie EU und NATO ist, aus den Gremien der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft weitgehend aus. Zum Ärger Moskaus auch aus dem mit Belarus und Kasachstan geplanten Euroasiatischen Wirtschaftsraum. Dem ebenfalls von Russland dominierten GUS-Verteidigungsbündnis war Kiew ohnehin von Anfang an ferngeblieben. Und was mit der russischen Schwarzmeerflotte nach 2017 wird, wenn die mit der Ukraine geschlossenen Nutzungsverträge für die Flottenbasis Sewastopol auf der Krim auslaufen, ist bisher auch nicht klar.

Zwar versprach Janukowitsch dazu Regelungen, die weder Russland noch der Ukraine schaden. Bis auf Weiteres ist er jedoch ein Präsident mit begrenzter Souveränität. Weil er sich zum Regieren erst eine neue Mehrheit im Parlament zusammen suchen muss – allein kann seine Partei der Regionen keine Regierung bilden – bleibt vorerst das am Mittwoch entlassene Kabinett im Amt. Allerdings ohne Regierungschefin Julia Timoschenko, die bereits mit »unversöhnlicher Opposition« drohte. Deren zahlenmäßige Stärke und Konfiguration könnten auch der neuen Russland-Politik von Janukowitsch Grenzen setzen. Vor allem dann, wenn es ihr gelingt, Juschtschenkos ehemalige Hausmacht Unsere Ukraine/Selbstverteidigung zu vereinnahmen.

Unsichtbar als Dritte sitzt daher heute auch Donna Julia in Moskau mit am Verhandlungstisch. Zumal Janukowitsch mangels Alternativen ihr und ihrem Kabinett auch die Vorbereitung seines Russland-Besuchs überlassen musste. Dort geht es auch um das Reizthema Energie: Die Konditionen für russische Gaslieferungen an die Ukraine und für deren Weiterleitung nach Westeuropa. Bis die neue Ostseepipeline 2011 ans Netz geht, muss Russland vier Fünftel seiner Exporte durch das ukrainische Pipelinesystem gen Westen pumpen. Mit diesen Zwängen hatten Timoschenko und Juschtschenko mehrmals versucht, Russland zu erpressen. Janukowitsch dagegen hatte sich schon als Oppositionsführer für ein russisch-ukrainisches Gastransport-Konsortium eingesetzt, das auf Vorkommen in Russland wie in Zentralasien zurückgreift und will dafür jetzt auch in Moskau werben.

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2010

Meldungen vom Moskau-Besuch Janukowitschs **

Janukowitsch verspricht Einigung zu Schwarzmeerflotte

Viktor Janukowitsch will einen Neuanfang mit dem Kreml: Der neue ukrainische Präsident zeigt sich bereit, über die russische Marine auf der Krim zu verhandeln und auf Moskaus Erfahrungen im Kampf gegen die Finanzkrise zurückzugreifen.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew empfing am Freitag (5. März) im Kreml seinen ukrainischen Amtskollegen. „Die Ukraine ist unser wichtigster Partner im GUS-Raum. Natürlich sind wir an einer gebührenden Weiterentwicklung der ukrainischen Wirtschaft sowie an der politischen Stabilität in dem Staat interessiert, der uns so nahe ist“, so Medwedew.

Janukowitsch sagte, er betrachte eine „Wende“ im russisch-ukrainischen Verhältnis als seine Aufgabe. Dieses Verhältnis dürfe nicht wie unter seinem Vorgänger Viktor Juschtschenko sein. Der Kreml hatte Juschtschenko eine antirussische Politik vorgeworfen.

Janukowitsch sagte nun, er wolle einige „eingefrorene“ Fragen im bilateralen Verhältnis „reanimieren“, das betreffe insbesondere die Gas-Branche und die russische Schwarzmeerflotte.

Laut Medwedew wollen Moskau und Kiew über den Aufenthalt der Schwarzmeerflotte in der Ukraine weiter verhandeln. „Konsultationen auf Basis der geltenden Verträge“ seien geplant. Die Flotte nutzt den ukrainischen Krim-Hafen Sewastopol als ihre Hauptbasis, der zwischenstaatliche Pachtvertrag läuft 2017 ab. Gegen dessen Verlängerung hatte sich Janukowitschs Vorgänger Juschtschenko vehement geweht.

Janukowitsch äußerte nun: „Ich verstehe alle Komplikationen und Probleme, denke aber, dass wir sehr bald eine Antwort finden werden, die sowohl Russland als auch der Ukraine passen wird“.

Zur Energiekooperation sagte Medwedew: „Wir haben geltende Abkommen und Verträge. Nun haben wir uns darauf geeinigt, unsere Regierungen zu beauftragen, die Energiekooperation zu erörtern. Das betrifft sowohl die Gas-Branche als auch weitere Fragen“. Janukowitsch hatte zuvor den geltenden Gas-Liefervertrag mit Moskau kritisiert und für günstigere Konditionen für die Ukraine plädiert. Diesmal erörterten Medwedew und Janukowitsch den Gas-Preis allerdings nicht, wie der russische Energieminister Sergej Schmatko nach dem Treffen mitteilte.

Janukowitsch sagte weiter, er baue auf traditionelle Wirtschaftskontakte und wolle auf russische Erfahrungen im Kampf gegen die Finanzkrise zurückgreifen: „Meine Aufgabe besteht darin, Russland im guten Sinne des Wortes einzuholen. Es geht darum, das Lebensniveau, die Renten und Sozialleistungen in der Ukraine auf einen mit Russland vergleichbaren Stand zu erhöhen“.

Janukowitsch versprach, die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung zu schützen: „Wir werden alle erforderlichen Gesetze verabschieden… Diese Frage soll in nächster Zeit geklärt werden“. Obwohl die absolute Mehrheit der Bevölkerung in den östlichen und südlichen Gebieten der Ukraine russischsprachig ist, gilt das Ukrainische im ganzen Land als einzig mögliche Amtssprache.

Janukowitsch will nach eigenen Worten auch den Streit um den vom Kreml scharf kritisierten Erlass von Juschtschenko regeln, der den ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera mit dem Heldentitel ehrte. Banderas Mitstreiter hatten im Zweiten Weltkrieg gegen die sowjetischen Truppen gekämpft. Nun sagte Janukowitsch, es gebe zurzeit einen „rechtlichen Vorgang“ in diesem Fall, der voraussichtlich bis zum 65. Jahrestag des Sieges im Mai abgeschlossen werde.


Janukowitsch will in ukrainischer Politik „Ordnung schaffen“

Der neue ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch und Russlands Premier Wladimir Putin haben für eine Wende bei der Wirtschaftskooperation plädiert, aber auch die Politik nicht außer Acht gelassen.

Putin sagte am Freitagabend (5. März) bei seinem Treffen mit Janukowitsch in Moskau, im vergangenen Jahr sei der Handelsumsatz zwischen Russland und der Ukraine um nahezu 40 Prozent auf 22,9 Milliarden US-Dollar geschrumpft, obwohl diese Kooperation die beiden Wirtschaften stark beeinflusse: „In den Bereichen wie Maschinen- und Flugzeugbau, Energie- und Landwirtschaft sind wir voneinander abhängig. Was verloren oder zerstört wurde, muss nun nachgeholt werden, uns steht viel Arbeit bevor“.

Janukowitsch bekräftigte seine zuvor beim Treffen mit Präsident Dmitri Medwedew geäußerte Absicht, die Beziehungen mit Russland grundsätzlich zu ändern. Putin reagierte mit dem Vorschlag, in die kürzlich gestartete Zollunion Russlands, Weißrusslands und Kasachstans einzusteigen. Janukowitschs Präsidialamt hatte kürzlich allerdings erklärt, dieser Einstieg sei in absehbarer Zukunft kaum möglich.

Putin sagte weiter, Russland betrachte die Ukraine als einen der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Partner und wünsche, dass sich das Nachbarland „stabil“ entwickle.

Die Regierung in Moskau gehe davon aus, dass die Ukraine demnächst eine neue Parlamentskoalition bekomme, die wiederum die Regierung bilde und einen Ministerpräsidenten nominiere, so Putin. Dass die bisherige Koalition nicht mehr existiere, hatte der ukrainische Parlamentspräsident Wladimir Litwin Anfang dieser Woche erklärt. Danach wurde Regierungschefin Julia Timoschenko vom Parlament abgesetzt.

Janukowitsch sagte, es gebe noch zu viel „politische Leidenschaften“ in der Ukraine: „Bald werden wir Ordnung schaffen - sowohl im direkten als auch im übertragenen Sinn“.

** Beide Meldungen aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 5. März 2010; http://de.rian.ru




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