Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neue Rada, alte Probleme in Kiew

Am Dienstag (18. Dez.) nimmt Julia Timoschenko noch einen Anlauf, Regierungschefin zu werden

Von Manfred Schünemann *

Die vergangene Arbeitswoche der Werchowna Rada, des ukrainischen Parlaments, bewies anschaulich, dass die von Präsident Viktor Juschtschenko und seinen Anhängern inszenierte Neuwahl am 30. September keine politische Stabilität gebracht hat.

Tumultartige Blockaden der Parlamentsarbeit, gegenseitige Manipulationsvorwürfe und vor allem das Scheitern der Wahl Julia Timoschenkos zur Ministerpräsidentin durch die Verweigerung von Abgeordneten der eigenen Koalition drängen die Ukraine erneut an den Rand einer Staatskrise. Noch ist nicht klar, ob es bei der für Dienstag geplanten neuerlichen Abstimmung gelingt, die notwendigen 226 Stimmen für Timoschenko aufzubringen. Unabhängig davon traf der bisherige Regierungschef Viktor Janukowitsch, der bereits zum Oppositionsführer proklamiert wurde, den Nagel auf den Kopf, als er sagte, die Ereignisse im Parlament demonstrierten anschaulich die Nichtlebensfähigkeit der 227-Stimmen-Koalition und gäben der Öffentlichkeit »das klare und unmissverständliche Signal, dass eine Zwei-Stimmen-Mehrheit im Parlament keine Hoffnung auf Stabilität im Lande« lässt.

In der Tat scheint eine Überwindung der Dauerkrise nur möglich zu sein, wenn die stärkste politische Kraft im Lande, Janukowitschs Partei der Regionen, in die Verantwortung eingebunden wird -- sei es durch Regierungsbeteiligung oder durch klar definierte (und akzeptierte) Kompetenzen als Opposition. Doch bisher sind solche Bemühungen, die Präsident Juschtschenko und Kräfte seines Blocks »Unsere Ukraine -- Selbstverteidigung des Volkes« schon vor der Konstituierung des Parlaments unternommen hatten, vor allem an der Weigerung des Blocks Julia Timoschenko (BJUT) und des national-konservativen Flügels der Präsidentenpartei gescheitert.

Die Gegensätze zwischen den Kontrahenten scheinen unüberbrückbar zu sein. Keiner von ihnen -- weder der Präsident noch Julia Timoschenko oder Viktor Janukowitsch -- ist bereit, die politische Macht zu teilen und notwendige Kompromisse auszuhandeln. Jede der hinter diesen Personen stehenden wirtschaftlichen und politischen Interessengruppen strebt nach uneingeschränkter, möglichst unkontrollierbarer Macht. So bleibt denn jede neue Regierung lediglich eine Übergangsregierung, die die Zeit bis zu den Präsidentenwahlen Ende 2008 überbrückt und das Land eher verwaltet als es zu einem neuen Aufbruch zu führen. Interesse an konstruktiver Parlaments- und Regierungsarbeit zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität und der Energieversorgung, zur gesetzlichen Abgrenzung der Kompetenzen von Präsident, Regierung und Parlament, zur Stärkung der regionalen Selbstverwaltung und des Rechtssystems, zur Eindämmung der Korruption besteht nur insofern, als dadurch die eigenen Positionen gestärkt und der politische Gegner geschwächt werden.

Sollte Julia Timoschenko doch noch ihr Ziel erreichen und zur Ministerpräsidentin gewählt werden, wären ihre Aktionsmöglichkeiten stark eingeschränkt. In dem seit Wochen vorliegenden Koalitionsvertrag musste sie erhebliche Zugeständnisse an die Präsidentenpartei machen. So sollen beide Blöcke im Kabinett gleich stark vertreten sein, obwohl Juschtschenkos Block bei der Wahl weniger als die Hälfte der Stimmen von BJUT erhielt. Die Präsidentenpartei sicherte sich alle wichtigen Machtministerien (Außen-, Innen-, Verteidigungs-, Justizministerium) und damit entscheidenden Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik. In der Kompetenz von BJUT sollen dagegen die spannungsreichen Felder der Wirtschafts- und Sozialpolitik liegen, einschließlich Öl, Gas und Kohleindustrie.

Dennoch treibt den Präsidenten und einige seiner Parteigänger die Sorge um, dass eine Ministerpräsidentin Timoschenko -- wie in ihrer ersten Amtszeit -- unberechenbar bleibt und für Verunsicherung in in- und ausländischen Wirtschaftskreisen sorgt. Juschtschenko hat allerdings bereits klargestellt, dass ohne seine Zustimmung keine Eingriffe in das Vertragssystem mit dem russischen Gaslieferanten Gasprom erfolgen werden. Was aber nicht ausschließt, dass eine Timoschenko-Regierung an der These von »ungerechten Verträgen« festhält und die Verhandlungen mit Gasprom ernsthaft gefährdet. Timoschenkos Forderung, russisches Kapital in der ukrainischen Wirtschaft zurückzudrängen, dürfte ebenso wie die vom Präsidenten betriebene NATO-Einbindung der Ukraine zu weiteren Belastungen im angespannten ukrainisch-russischen Verhältnis führen.

Falls Julia Timoschenko am Dienstag (18. Dezember) erneut eine Abstimmungsniederlage hinnehmen müsste, wäre die Regierungskoalition zwischen den beiden Parteiblöcken wohl beendet. Ein Zusammengehen des kompromissbereiten Flügels der Juschtschenko-Partei um den bisherigen Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Iwan Pljuschtsch, und der Partei der Regionen wäre kaum noch zu verhindern. Mit Blick auf die nächste Wahl würde die Position des Präsidenten dadurch allerdings geschwächt, die seiner potenziellen Rivalen Timoschenko und Janukowitsch dagegen gestärkt. So bleibt bis zu den Präsidentenwahlen die Instabilität die einzige Konstante in der politischen Entwicklung der Ukraine.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Dezember 2007


Zurück zur Ukraine-Seite

Zurück zur Homepage