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NATO will die Ukraine für ihren "Raketenschild" gewinnen. Generalsekretär Rasmussen setzt sich bei seinem Besuch für eine verstärkte militärische Zusammenarbeit ein

Von Knut Mellenthin *

Nach dem Präsidentenwechsel im Februar 2010 zog die Ukraine ihren Antrag auf Mitgliedschaft in der NATO offi­ziell zurück. Zur Begründung hieß es, das Land am Schwarzen Meer wolle keiner Militärallianz angehören, sondern freundschaftliche Beziehungen zu allen Nachbarn pflegen. Das zielte in erster Linie auf Rußland, das die rasante Westorientierung der Ukraine nach der »orangen Revolution« von 2004 mit Verdruß und Sorgen beobachtet hatte.

Praktisch geändert hat sich durch die Entscheidung der neuen Regierung in Kiew jedoch nicht viel. Denn schon vorher galt für die Ukraine das gleiche wie für Georgien: Eine Aufnahme in das westliche Bündnis ist mittelfristig nicht vorgesehen. Neben Rücksicht auf Rußland spielen dabei eine Reihe weiterer Faktoren, wie etwa die Unberechenbarkeit der georgischen Führung und die internen Probleme der Ukraine, eine Rolle. Das praktische Gewicht liegt jetzt für beide Staaten auf kooperativen Maßnahmen und militärischen Umstrukturierungen, die sie allmählich an die NATO heranführen und in diese integrieren, ohne daß die Schwelle eines offiziellen Beitritts überschritten wird. Was dies angeht, wurde die Zusammenarbeit zwischen Kiew und der Allianz seit dem Präsidentenwechsel nicht etwa heruntergefahren, sondern ausgebaut und verstärkt.

In diesem Kontext ist der Besuch zu sehen, zu dem NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt eintraf. Auf dem Zettel standen Gespräche mit Außenminister Konstantyn Gryschtschenko, Regierungschef Mykola Asarow und Präsident Viktor Janukowitch. Rasmussen nannte als Schwerpunkt seiner Anliegen, die Ukraine für eine Beteiligung an der sogenannten europäischen Raketenabwehr zu interessieren. Oder anders: Diskussionen und Sondierungen, die schon unter US-Präsident George W. Bush und seinem damaligen Kiewer Amtskollegen Viktor Juschtschenko begonnen hatten, sollen demnach fortgesetzt werden.

Hauptsächlich geht es dabei um die Nutzung von zwei ukrainischen Radarstationen. Die eine liegt bei Sewastopol auf der Halbinsel Krim, die andere bei Mukatschewo im äußersten Westen des Landes. Es liegt nahe den Grenzen zu Ungarn und der Slowakei, ist aber auch von Polen nicht weit entfernt. Die neue ukrainische Regierung hat bereits ihr Interesse bekundet, aber ihre Zustimmung vorläufig davon abhängig gemacht, daß auch Rußland sich an der »Raketenabwehr« – sie soll angeblich Europa vor iranischen Angriffen schützen – beteiligt. Rasmussen hatte im November 2010 bei einem Besuch in Moskau eine entsprechende Einladung überbracht.

Als weiteres Thema seiner Gespräche in Kiew nannte der NATO-Generalsekretär den Wunsch nach Ausbildern für die afghanischen Streitkräfte. Im Dezember vorigen Jahres hatte die Ukraine die Verstärkung ihres Kontingents am Hindukusch von 17 auf 30 Personen bekanntgegeben. Dabei wurde allerdings betont, daß es sich ausschließlich um »nicht-militärische Bereiche« wie Mediziner und Pioniere handele.

Neben regelmäßigen gemeinsamen multinationalen Manövern mit Truppen und Stäben der westlichen Allianz nimmt die Ukraine auch weiterhin an der NATO-geführten »Operation Active Endeavour« im Mittelmeer teil, die nach dem 11. September 2001 gestartet wurde und angeblich »Terroristenangriffe« verhindern soll. Tatsächlich handelt es sich um ständige Übungen von Kriegsschiffen aus NATO- und Nicht-NATO-Staaten, darunter auch aus Rußland, Georgien und Israel.

* Aus: junge Welt, 25. Februar 2011


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