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Stolpersteine für Kiew

Trotz der Ablehnung durch die Bevölkerung und anderer Rückschläge halten NATO und ukrainische Führung am Integrationskurs fest

Von Tomasz Konicz*

In den letzten Tagen und Wochen schien es, als ob die Integration der Ukraine in die Bündnisstrukturen der NATO gescheitert wäre. Die bisherigen Versuche, die Westintegration der Ukraine auch auf militärischem Gebiet voranzutreiben, bilden einen Aneinanderreihung von Pleiten, Pech und Pannen: Nach wochenlangen Protesten mußten am 12. und 13. Juni die 250 amerikanischen Marinereservisten, die zur Vorbereitung des »Sea-Breeze«-Manövers zwischen NATO und Ukraine auf der Krim gelandet waren, ihre Transportflugzeuge in Simferopol besteigen und unverrichteter Dinge wieder abziehen. Schon am 7. Juni gelang es den Befürwortern der Westintegration nicht, in der Rada – dem ukrainischen Parlament – die notwendige Mehrheit für eine Legalisierung der Militärmanöver zu bekommen.

So mußte Anatoli Grizenko, der Verteidigungsminister der Ukraine, am folgenden Tag bei einem Treffen der NATO-Ukraine-Kommission bekanntgeben, daß die Militärmanöver wegen der »politischen Situation auf der Krim und in der Ukraine leider verschoben werden müssen«. Die Verstimmungen kulminierten schließlich in der Absage der für den 22. Juni in Kiew geplanten Staatsvisite des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush. Neben den gegen die NATO gerichteten Protesten wird von Wahington die Unfähigkeit der ukrainischen Spitze, eine funktionierende Regierung zu bilden, als Ursache für dieses eindeutige Zeichen des Mißfallens benannt. Erst am gestrigen Mittwoch – nach über drei Monaten – haben sich die »orangen Revolutionäre« um Julia Timoschenko und Präsident Viktor Juschtschenko auf die Bildung einer Regierungskoalition geeinigt, bei der Timoschenko, die von Juschtschenko im vergangenen September entlassen worden war, wieder das Amt der Ministerpräsidentin übernehmen wird.

Und dennoch scheint – fernab des öffentlichen Rummels – die integration der Ukraine in die NATO weiter vorangetrieben zu werden. Eine internationale Konferenz unter dem Motto »Die Transformation der Streitkräfte Tschechiens auf dem Weg zur NATO. Erfahrungen für die Ukraine«, fand am Mittwoch in Kiew statt. An der Veranstaltung nahmen die Generalstabschefs beider Länder, Sergej Kiritschenko und Pavel Stefka, teil. Zudem wurde kürzlich die Kooperation beim »Entsorgen alter ukrainischer Miltärbestände« angekündigt.

Ukraine will 2008 NATO-Mitglied werden

KIEW, 22. Juni (RIA Novosti). Der ukrainische Außenminister Boris Tarassjuk hat die Absicht seines Landes bekräftigt, im Jahr 2008 NATO-Mitglied zu werden.

"Ich kann meine Prognose in Bezug auf die NATO bestätigen. Unser Ziel besteht darin, dieser Organisation nach einem Volksreferendum beizutreten. Ich hoffe, dass ein solches Referendum 2008 die Entscheidung bringen wird", sagte Tarassjuk am Donnerstag vor der Presse in Kiew.
Nach dem Machtantritt von Präsident Viktor Juschtschenko habe eine neue Etappe in den Beziehungen zwischen der Ukraine und der Nordatlantischen Allianz begonnen. Die Ukraine stehe kurz vor der Verwirklichung eines Aktionsplanes, der auf die Aufnahme Kiews in die NATO ausgelegt sei.

Auf die Beziehungen zu den USA eingehend, sagte Tarassjuk, dass die Ukraine in den zurückliegenden eineinhalb Jahren "die besten Ergebnisse" in der gesamten Geschichte der Kontakte zu den USA erzielt hat. "Davon zeugen die Anerkennung der Ukraine als einer Marktwirtschaft durch Washington, die Abschaffung aller Handelseinschränkungen und die Unterstützung der USA beim Beitritt der Ukraine zur Welthandelsorganisation (WTO)", sagte der ukrainische Außenminister.

Bericht der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti vom22. Juni 2006



Obwohl die besagte Tagung der Ukraine-NATO-Kommission vom 8. Juni das Fiasko der bisherigen Integrationsbemühungen festgestellt hatte, wird am bisherigen Kurs nicht gerüttelt. In einer Orwellschen Umkehrung der Realität konstatiert das Kommuniqué der anwesenden Verteidigungsminister des Bündnisses, daß die Ukraine signifikante Fortschritte während des letzten Jahres gemacht habe und daß das westliche Bündnis durchaus mit dem bisherigen Verlauf des »Beitrittsdialogs« zufrieden sei. Kritisiert wurde nur die »mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit« der ukrainischen Seite bezüglich des NATO-Beitritts des Landes, den immer noch weit über die Hälfte der Ukrainer ablehnt. Um Mehrheiten scheint man sich bei der NATO-Führung nicht zu scheren. Im November dieses Jahres soll die NATO-Anwartschaft der Ukraine offiziell anerkannt werden – eine wichtige Vorstufe zu offiziellen Beitrittsverhandlungen wäre dann genommen.

Aus: junge Welt, 22. Juni 2006


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