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USA-Militärs verließen die Krim

Kiew wähnt russische Drahtzieher hinter Protesten der Bevölkerung

Von Irina Wolkowa, Moskau*

Angesichts von Protesten gegen den Aufenthalt US-amerikanischer Marine-Infanteristen auf der Halbinsel Krim packten die Militärs ihre Koffer. Die ersten wurden am Sonntag von Simferopol aus nach Deutschland geflogen, der Rest am Montag.

Ende Mai waren 250 US-amerikanische Marineinfanteristen – als Bautrupp eingesetzt – in der ukrainischen Hafenstadt Feodossija auf der Krim gelandet, um die für Mitte Juli geplanten NATO-Manöver »Sea Breeze 2006« vorzubereiten. Sofort nach ihrer Ankunft war es zu Protesten der Bevölkerung und zur Gründung einer Bewegung »Krim ohne NATO« gekommen. Angeblich haben die US-Amerikaner ihre Mission – die Modernisierung einer Truppenbasis bei Feodossija – inzwischen erfüllt. In Wahrheit wurde der Umbau wegen der Proteste bis auf weiteres abgeblasen.

Der Termin für die Modernisierung der Manöver-Einrichtungen sei nicht mehr zu halten, fürchtet die ukrainische Regierung in Kiew und wähnt wieder einmal die Hand Moskaus im Spiel. Tatsächlich nahmen gemeinsam mit dem ukrainischen KP-Vorsitzenden Petro Simonenko am vergangenen Wochenende auch der Vorsitzende der KPRF Gennadi Sjuganow und der ehemalige kommunistische Präsidentschaftskandidat Nikolai Charitonow an einer Kundgebung in Feodossija teil, die sich gegen die NATO-Truppen und einen Beitritt der Ukraine zur nordatlantischen Militärallianz richtete. Andere russische Politiker – darunter den stramm nationalistischen Duma- Vizepräsidenten Wladimir Shirinowski und den Vorsitzenden des Duma-Ausschusses für GUSAngelegenheiten, Konstantin Satulin – hatte die Ukraine mit Einreiseverbot belegt. Beide hatten die Krim als urrussisches Territorium bezeichnet und einer scharfen Erklärung des russischen Parlaments zu den geplanten Manövern den letzten Schliff verpasst.

Die Krim, ursprünglich zu Russland gehörig, wurde der Ukraine erst 1954 angegliedert – ein »Geschenk« des damaligen KPdSU- und Regierungschefs Nikita Chrustschow. Die Bevölkerung der Halbinsel besteht überwiegend aus ethnischen Russen, die schon während der »orangenen Revolution« Ende 2004 auf der anderen Seite der Barrikade standen: Sie unterstützten nicht den heutigen Präsidenten Viktor Juschtschenko, sondern dessen Gegenspieler Viktor Janukowitsch.

Gleiches geschah während der Parlamentswahlen im März dieses Jahres, bei denen Janukowitschs »Partei der Regionen« mit landesweit 33 Prozent aller Stimmen die relative Mehrheit in der Werchowna Rada eroberte, was zu einem parlamentarischen Patt in Kiew führte. Die vorgeschriebene Frist für die Bildung einer Regierung läuft am 27. Juni aus.

Koalitionsverhandlungen zwischen Juschtschenkos »Unsere Ukraine« und dem »Block Julia Timoschenko« scheiterten bisher an Profilierungssüchten und Postenschacher. Dazu kommt, dass die Sozialistische Partei als unverzichtbarer dritter Koalitionspartner das Amt des Parlamentschefs beansprucht. Ohne dessen Unterschrift wiederum wäre die Nutzung ukrainischen Territoriums durch ausländische Truppen ungesetzlich. Die Sozialisten aber sind gegen einen NATO-Beitritt. Moskau hat gleich mehrere Gründe, quer zu schießen. Bis ins 18. Jahrhundert hatte das Osmanische Reich das Schifffahrtsmonopol auf dem Schwarzen Meer.

Russischen Seglern versperrte eine Eisenkette vor der Don-Mündung die Ausfahrt. Russland fürchtet für den Fall eines NATO-Beitritts der Ukraine eine Wiederholung der Geschichte. Um so mehr, da die russische Schwarzmeerflotte gemäß einem Abkommen mit der Ukraine in Sewastopol auf der Krim stationiert ist. Russlands eigener Küstenstreifen ist nur knapp 150 Kilometer breit und für einen Kriegshafen wenig geeignet. Wenn das Abkommen über die Nutzung Sewastopols 2017 ausläuft, dürfte es von einem NATO-Staat Ukraine kaum erneuert werden.

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juni 2006


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