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Ukraine: Orangene Revolution am Ende?

"Bäumchen, wechsle dich!" im Parlament - Steht nun der Beitritt zur NATO auf dem Spiel? Meldungen und Kommentare



Koalition in der Ukraine am Ende *

Wahl eines Sozialisten brüskiert bisherige Partner

Die "Orange Koalition" in der Ukraine ist praktisch zerbrochen. Der Vorsitzende der zur Koalition gehörenden Sozialisten wechselte die Fronten. Eine baldige Regierungsbildung scheint ausgeschlossen.

Frankfurt a.M. - Alexander Moros, der Chef der Sozialisten, hatte sich in der Nacht zum Freitag (7. Juli) mit den Stimmen der prorussischen Partei der Regionen (PR) und Kommunisten zum Parlamentspräsidenten wählen lassen. Die Sozialisten hatten sich jedoch vorher mit zwei anderen Parteien geeinigt, den Parlamentsvorsitz an die Partei von Präsident Viktor Juschtschenko ("Unsere Ukraine") und das Ministerpräsidentenamt an Julia Timoschenko (Block Julia Timoschenko) zu vergeben. Diese beiden Parteien verstehen sich als Träger der Orangen Revolution von Ende 2004.

Die Sozialisten, die diese Volksbewegung unterstützt hatten, kündigten am Freitag an, sie seien nun bereit, eine "breite Koalition" mit Juschtschenkos Partei und der PR zu bilden, den beiden unversöhnlichen Gegnern von 2004. Ein Führungsmitglied der Juschtschenko-Partei, Roman Bessmertni, kommentierte am Freitag (7. Juli): "Gestern hat die (orange) Koalition aufgehört zu bestehen. Eine neue Mehrheit ist entstanden." Der Vorsitzende des Politischen Rates der Sozialisten, Josip Winsky, trat aus Protest zurück. Moros habe den Zerfall der (orangen) Koalition der demokratischen Kräfte bewirkt. Ein Zusammengehen mit der PR ist für viele Sozialisten ausgeschlossen. Die PR hatte bei der Wahl im März zwar die meisten Stimmen erhalten, eine eigene Mehrheit aber verfehlt. Sie hat 186 Mandate. Um einen ihrer Kandidaten zum Regierungschef wählen zu lassen, braucht sie die 33 Stimmen der Sozialisten und die 21 der Kommunisten.

Moros, der neue Parlamentspräsident, hatte diesen Posten schon von 1994 bis 1998 inne. Der 62 Jahre alte Agrarwissenschaftler trat 1991 nach zwanzigjähriger Mitgliedschaft aus der Kommunistischen Partei aus und gehörte zu den Gründern der Sozialistischen Partei. Er bezeichnet sich selbst als linken Sozialdemokraten. Die Partei, von der sich mehrere linkssozialistische Gründungsmitglieder getrennt haben, ist der Sozialistischen Internationale angeschlossen. Sie hat die Verfassungsänderung von 2004 mitgetragen, welche die Machtbefugnisse des Präsidenten einschränkt und dem Parlament mehr Gewicht gibt.

Bei der Protestbewegung gegen die Wahlfälschungen von 2004, aus der die Orange Revolution hervorging, stand Moros auf der Seite der Protestler. Vorher war er bereits als Gegner des von russlandfreundlichen Kräften und Oligarchen nominierten Viktor Janukowitsch hervorgetreten. Janukowitsch hatte die ersten - gefälschten - Wahlgänge gewonnen. Umso mehr überraschte sein taktisches Zusammengehen mit der Janukowitsch-Partei am Donnerstag, das wohl das Ende der Orangen Koalition besiegelt hat.

Julia Timoschenko, bisher Koalitionskandidatin für das Amt des Regierungschefs, kommentierte am Freitag bitter: "Die Verbrecher kommen zurück." Sie meinte damit offensichtlich Janukowitsch.

Karl Grobe

* Aus: Frankfurter Rundschau, 8. Juli 2006


Weitere Meldungen und Kommentare

Farbwechsel

Die ukrainischen Sozialisten haben ihr Land in der Nacht zum Freitag gründlich umgefärbt. Genauer: Ihr Vorsitzender, Alexander Moros, hat die Farben gewechselt. Er brach die Absprache mit den beiden "orangenen" Parteien, dem Timoschenko-Block (JuT) und der Juschtschenko-Partei "Unsere Ukraine", und ließ sich von den Parteien der Donbass-Oligarchen und der Sowjet-Nostalgiker zum Parlamentspräsidenten wählen. Welche Couleur dabei herauskommt, ist noch nicht zu bestimmen; wer die Nationalfarben Blau und Gelb aber als Symbole für Landesaufbau und Stabilität ansieht, muss umlernen.

Gewiss war das Dreier-Bündnis arg belastet. Julia Timoschenko zur Regierungschefin zurückzubekommen ist für ihren Ex-Verbündeten Juschtschenko ein Albtraum, für die Donbass-Oligarchen ist sie ein rotes Tuch. Sie vertritt, wenn überhaupt, andere oligarchische Stämme. Juschtschenko hat sie im vergangenen Sommer schon einmal verraten: Nicht nur, dass er sie absetzte - er paktierte mit seinem vormaligen Rivalen Janukowitsch, sicherte dessen wirtschaftskriminellen Hintermännern so etwas wie Straffreiheit zu und wurde dafür bei der Parlamentswahl vom Volk arg abgestraft.

Timoschenko kann nun beruhigt alle Register der Opposition ziehen. Jede künftige Koalition wird zerbrechlich sein. Der graue Karren, den die Kiewer Politiker jetzt zimmern wollen, ist untauglich für europäische Straßen und wohl auch für russische.

Karl Grobe

Aus: Frankfurter Rundschau, 8. Juli 2006


Russischer Politologe spricht von Fiasko der orange Revolution

MOSKAU, 07. Juli (RIA Novosti). Als "schmerzhaften Schlag gegen die orange Revolutionäre" bezeichnete der angesehene russische Politologe die Wahl des Sozialistenchefs Alexander Moros zum Vorsitzenden des ukrainischen Parlaments, der Obersten Rada.

Die Wahl von Moros bedeutet de facto ein Ende der rechten Koalition, sagte Satulin, der dem Moskauer Institut für GUS-Staaten vorsteht, am Freitag in einem Interview für RIA Novosti. Ihm zufolge steht die Sozialistische Partei, die die zentrale Ukraine vertritt, der oppositionellen Partei der Regionen unter Viktor Janukowitsch näher, als der präsidententreuen "Unsere Ukraine" oder dem Block von Julia Timoschenko. Die jetzige Parlamentskrise in der Ukraine wurde möglich, nachdem sich die orange Koalition in eine Sackgasse verrannt hatte, urteilte Satulin. Die innere Schwäche der orange Koalition habe verdeutlicht, dass alle ihre Argumente "an den Haaren herbeigezogen waren". "Diese Koalition diente konjunkturellen Zwecken und wurde vom hemmungslosen Streben Timoschenkos nach der Macht inspiriert", sagte der Politologe weiter. Allen bisherigen Vereinbarungen der Koalitionsmitglieder lagen ihr gegenseitiges Misstrauen und die Angst vor der Opposition zugrunde.

Dennoch kann von einer Wende noch nicht die Rede sein, stellte Satulin fest. Ob es zu einer Wende kommen wird, wird erst nach der Abstimmung über die Kandidatur des Regierungschefs klar. Wenn im ukrainischen Parlament eine Mehrheit aus der Partei der Regionen und den Sozialisten gebildet würde, dann wäre ein Beitritt der Ukraine zur Nato nicht mehr möglich, sagte Satulin. Ihm zufolge sollte Russland unter diesen Bedingungen keine übereilten Schritte unternehmen. "Es stehen noch viele Ereignisse bevor. Eine Wende in der Ukraine kann dieses Land zu einer Revision seines Verhältnisses zu Russland veranlassen", sagte er.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 7. Juli 2006; http://de.rian.ru


Partei der Regionen: Kein Grund für Auflösung des Parlaments

KIEW, 08. Juli (RIA Novosti). Die ukrainische Partei der Regionen sieht nach der gestrigen Bildung einer neuen Koalition keinen Grund mehr für die Auflösung des Landesparlaments, der Obersten Rada. Dies sagte Parteisprecher Taras Tschornowil am Samstag vor Journalisten. Er hoffte, dass Staatspräsident Viktor Juschtschenko Vernunft an den Tag legen und einen Kandidaten aus den Reihen der neuen Koalition für das Amt des Regierungschefs vorschlagen wird. Widrigenfalls drohe der Ukraine eine Verfassungskrise.

Nach dem Scheitern der "orange Koalition" in der Rada wurde am Freitag (7. Juli) eine neue Koalition aus der Partei der Regionen (größte Parlamentsfraktion), den Sozialisten und den Kommunisten gebildet. Diese nominierte den Leiter der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, für das Amt des Ministerpräsidenten.

Am Samstag (8. Juli) stellte Janukowitsch Weichen für die künftige Politik der Ukraine, und hatte dabei offenbar die eigene Kandidatur im Blick. So kündigte er eine Verbesserung des Verhältnisses zu Russland an und sprach sich für eine weitere Verfassungsreform in der Ukraine aus.

Nach dem ukrainischen Grundgesetz kann der Staatspräsident das Parlament auflösen, wenn dieses binnen 60 Tagen nach dem Rücktritt der bisherigen Regierung kein neues Kabinett stellt. Die bisherige Regierung unter Juri Jechanurow war am 25. Mai zurückgetreten.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Juli 2006; http://de.rian.ru


Ukraine: Regionalparlamente unterstützen Kandidatur Janukowitschs

KIEW, Juli (RIA Novosti). Der Gesamtukrainische Kongress der Abgeordneten aller Ebene hat am Samstag den ukrainischen Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko aufgefordert, dem Staatsparlament unverzüglich die Kandidatur von Viktor Janukowitsch für das Amt des Regierungschefs vorzuschlagen.

"Der ukrainische Präsident muss seine politischen Sympathien und Abneigungen zurückstellen und als Garant der Verfassung auftreten", heißt es in einer Erklärung des Kongresses. Die Parlamentarier forderten alle Kräfte in der Obersten Rada auf, ihre "Ansprüche auf politische Hegemonie" aufzugeben und sich auf die Lösung aktueller Aufgaben zu konzentrieren. "Die Hauptaufgabe der Angeordneten besteht darin, die Konfrontation im ukrainischen Staat zu stoppen und die Anstrengungen der Parlamentsmehrheit und der Opposition zu vereinen, um die Krise in der Ukraine zu bewältigen und die Lebensqualität des Volkes zu heben", so der Kongress in seiner Erklärung.

Nach dem Scheitern der "orange Koalition" in der Rada wurde am Freitag (7. Juli 2006) eine neue Koalition aus der Partei der Regionen (größte Parlamentsfraktion), den Sozialisten und den Kommunisten gebildet. Diese nominierte den Leiter der Partei der Regionen, Viktor Janukowitsch, für das Amt des Ministerpräsidenten.

Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 8. Juli 2006; http://de.rian.ru


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