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"Gasprinzessin" dreht am Rad

Ukraines Premierministerin Timoschenko versucht, höhere Transitgebühren für russisches Gas auszuhandeln. Präsident Juschtschenko in Moskau

Von Tomasz Konicz *

Die für den heutigen Dienstag (12. Februar) geplante Staatsvisite des ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko in Moskau steht unter keinem guten Stern. Am Montag trafen sich Spitzenvertreter des staatlichen ukrainischen Energieversorgers Naftogas und des russischen Monopolisten Gasprom, um in letzter Minute einen erneuten »Gaskrieg« zwischen beiden Ländern zu verhindern. Am Freitag hatte Gasprom der ukrainischen Führung ein Ultimatum bis Dienstag, zehn Uhr, gestellt, die ausstehenden Verbindlichkeiten für geliefertes Erdgas zu begleichen. Am Montag wurde dieses um acht Stunden bis Dienstag. 16 Uhr, verlängert. Sollten bis dahin seitens der Ukraine keine verbindlichen Zusagen vorliegen, die umgerechnet 1,5 Milliarden US-Dollar an Gasprom zu überweisen, droht der Konzern damit, die Lieferungen einzustellen.

Diese jüngste energiepolitische Eskalation markiert den vorläufigen Tiefpunkt in den russisch-ukrainischen Beziehungen, die sich mit dem Amtsantritt der entschieden prowestlich ausgerichteten Regierungschefin Julia Timoschenko rapide verschlechtern. Besorgt um die politische Wirkung seiner Moskau-Visite, forderte Juschtschenko seine Regierungschefin am Freitag auf, den erneuten »Gasstreit« innerhalb von drei Tagen beizulegen.

Insbesondere Premierministerin Timoschenko kommen die jüngsten Spannungen sehr gelegen. Die ehemals wegen ihrer herausragenden Stellung im ukrainischen Energiesektor »Gasprinzessin« genannte Politikerin plädiert seit ihrem Amtsantritt als Regierungschefin dafür, neue Konditionen gegenüber Gasprom auszuhandeln. So möchte Timoschenko die Transitgebühren für russisches, an Westeuropa über ukrainisches Territorium befördertes Erdgas erheblich erhöhen. Doch vor allem nutzt die Regierungschefin die Krise, um den Zwischenhändler RosUkrEnergo massiv anzugreifen, der bislang die Energiegeschäfte zwischen beiden Ländern abwickelte.

RosUkrEnergo wurde im Zuge des Kompromisses gegründet, der den ersten »Gaskrieg« zwischen beiden Staaten beendete. Die Funktion dieses in der Schweiz beheimateten Zwischenhändlers ist es, der Ukraine einen »Gascocktail« aus russischen und billigerem turkmenischen Erdgas zu verkaufen. Timoschenko möchte nun diesen Zwischenhändler -- der eine Provision erhält -- ausschalten und direkte Verträge mit Gasprom aushandeln. Sie vermittelte den Eindruck, ein Teil der Schulden gegenüber Gasprom sei dadurch entstanden, daß RosUkrEnergo Gelder in schwarze Kassen abgezweigt hatte. Nach Ansicht von Beobachtern tobt überdies in der Ukraine zwischen etlichen Oligarchenklans ein erbitterter Krieg um den staatlichen Energieversorger Naftogas, der inzwischen kurz vor der Pleite steht, und der schon seit November keine Überweisungen an RusUkrEnergo vorgenommen hat. Die »Gasprinzessin« Timoschenko soll an dem Ringen um diese lukrative Beute nicht ganz unbeteiligt sein.

Doch es sind nicht nur die inner­ukrainischen Verteilungskämpfe zwischen Oligarchenklans, die zu den vermehrten Spannungen zwischen Rußland und der Ukraine beitragen. Die von Timoschenko und Janukowitsch forcierte Westintegration des Landes sorgt für erhebliche Unruhe im Kreml. Die ehemaligen, westlich finanzierten »orangen Revolutionäre« versuchen zur Zeit, erneut den Beitritt ihres Landes zur NATO auf die politische Tagesordnung zu setzen, was bereits zu schweren Tumulten im ukrainischen Parlament und Demonstrationen auf der russisch dominierten Krim führte.

Am Freitag (8. Februar) weilte der ukrainische Außenminister Wladimir Ogrysko zu einem Arbeitsbesuch in Berlin, um mit seinem deutschen Amtskollegen Steinmeier die »europäische und euro-atlantische Integration« der Ukraine zu besprechen. Am Donnerstag will die EU in Kooperation mit Anrainerländern in Kiew ihre Strategie für die Region des Schwarzen Meeres ausarbeiten. Russische Medien reagieren angesichts dieser raschen Expansion mit zunehmend schrilleren Tönen. Die Rossijskaja Gaseta prognostizierte, im Falle einer weiteren NATO-Osterweiterung, werde sich die Ukraine in »ein Pulverfaß« verwandeln. Das südosteuropäische Land »könnte das Kanonenfutter für eine neue politische oder sogar militärpolitische Krise abgeben. Man wird das Land auf verschiedene Seiten zerren und seine Wirtschaft schwächen.«

* Aus: junge Welt, 12. Februar 2008


Aktuelle Meldungen

Putin und Juschtschenko wenden drohenden Gaskrieg zwischen Moskau und Kiew vorerst ab

MOSKAU, 12. Februar (RIA Novosti). Die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Viktor Juschtschenko, haben den drohenden Gaskrieg zwischen Moskau und Kiew vorerst abgewendet.

"Wir haben einen Aktionsplan für die nächste Zeit erarbeitet", sagte Putin auf einer Pressekonferenz, die er gemeinsam mit Juschtschenko nach den russisch-ukrainischen Verhandlungen in Moskau gab. "Unsere Partner haben uns zugesichert, dass mit der Tilgung der Gasschulden in nächster Zeit begonnen wird. Wir einigten uns auch auf die Prinzipien der Zusammenarbeit für 2008 und die Folgejahre."

"Heute oder morgen werden die Vereinbarungen in schriftlicher Form ausgefertigt. Die von den ukrainischen Partnern unterbreiteten Vorschläge wurden von Gasprom akzeptiert... Wir hoffen, dass alle Vereinbarungen strikt erfüllt werden", sagte der russische Staatschef.

Juschtschenko sagte, dass die Ukraine für das abgezapfte russische Gas zu den Preisen von 2007 verrechnen wird. "Wir müssen diese Gasschulden tilgen", betonte der ukrainische Staatschef.

Im Vorjahr hatte die Ukraine Gas aus Russland zu einem Preis von 130 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter bezogen. Für 2008 gilt ein Preis von 179,5 Dollar pro 1000 Kubikmeter.


Russland wird Gasversorgung der Ukraine am 12. Februar nicht einstellen

KIEW, 11. Februar (RIA Novosti). Russland wird die Gasversorgung der Ukraine entgegen ursprünglichen Plänen nicht am 12. Februar einstellen.

Das sagte ein Sprecher der ukrainischen Regierung am Montag in Kiew unter Berufung auf die Ergebnisse der ukrainisch-russischen Gasverhandlungen in Moskau. "Das Hauptergebnis der Moskauer Gespräche am Montag ist die Übereinkunft, dass die Gasversorgung der Ukraine am 12. Februar nicht eingestellt wird... Die Seiten sind übereingekommen, technische Akte über den Verbrauch von Gas in den vorangegangenen Monaten und über die Tilgung der Schulden dafür zu unterzeichnen", hieß es.

Eine Stellungnahme von Gasprom zu dieser Erklärung ist noch nicht bekannt. Zuvor hatte Gasprom-Sprecher Sergej Kuprijanow gesagt, die Gasversorgung der Ukraine würde am 12. Februar, 18.00 Uhr, eingestellt, sollten die Verhandlungen am Dienstag scheitern.

Beide Meldungen aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti




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