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Faschisten im Parlament

Ukraine: »Swoboda«-Partei beruft sich auf Nazikollaborateure

Von Frank Schumann *

Am Mittwoch hat sich das am 28. Oktober gewählte ukrainische Parlament in Kiew konstituiert. In den meisten westlichen Medien gab es nur kurze Notizen über die erste Sitzung, die aufgrund von Tumulten abgebrochen werden mußte. Vertreter der oppositionellen Partei »Udar« (Schlag) von Boxweltmeister Vitali Klitschko, der Vaterlandspartei der inhaftierten früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und der rechtsextremen »Swoboda« (Freiheit) hatten versucht, Abstimmungen über den Parlamentspräsidenten und den Regierungschef zu verhindern. Zuvor waren angeblich zwei Abgeordnete ins Regierungslager übergelaufen.

Kaum Beachtung in der hiesigen Presse fand bislang die Tatsache, daß mit den 37 »Swoboda«-Vertretern mehr als drei Dutzend Neofaschisten in die Rada eingezogen sind. Die Partei hieß früher »Sozial-Nationale Partei der Ukraine«. 2004 wurde sie aus der Parlamentsfraktion der Allianz »Nascha Ukraina« ausgeschlossen, nachdem der jetzige »Swoboda«-Fraktionschef Oleg Tiahnibok eine antisemitische und fremdenfeindliche Rede im Parlament gehalten hatte.

Die Partei stellt sich in eine Traditionslinie mit ukrainischen NS-Kollaborateuren. Die Soldaten der SS-Division »Galizien« werden als »Freiheitskämpfer« gefeiert, »Swoboda«-Mitglieder nehmen häufig an deren Aufmärschen teil. Vorbild der Partei ist der Nazi-Kollaborateur und Terrorist Stepan Bandera, der im Juli 1941, Tage vor dem Einmarsch der Hitlerwehrmacht in Lwiw (Lemberg), etwa siebentausend Juden und Kommunisten massakrierte. Bandera war 1934 an der Ermordung des polnischen Innenministers beteiligt und dafür zum Tode, dann zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die deutschen Besatzer befreiten ihn 1939 aus der Zelle und schickten ihn in die Sowjetunion, wo er mit deutscher Unterstützung Kampfverbände der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) aufstellte, die bereits vor dem Überfall der Wehrmacht den Krieg gegen die Sowjetunion führte und dies bis Ende der 1950er Jahre fortsetzte. Der 1946 in den Westen geflohene Massenmörder Bandera wurde in der Sowjetunion in Abwesenheit zum Tode verurteilt, er starb 1959 in München.

Der frühere ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko verlieh Bandera den Titel »Held der Ukraine« und ehrte ihn zu seinem 100. Geburtstag mit einer Briefmarke. Überall entstanden Denkmale. Julia Timoschenko wollte gar ein Pantheon errichten, in welchem Banderas sterbliche Überreste nach deren Überführung vom Münchner Waldfriedhof feierlich beigesetzt werden sollten. Dazu kam es jedoch wegen des Machtwechsels im Jahr 2010 nicht mehr. Die neue vom Westen als undemokratisch geschmähte Kiewer Regierung annullierte unmittelbar nach Amtsantritt diesen Heldenerlaß. Die Forderung von Ministerpräsidentin Timoschenko, die junge Generation möge an den Schulen nach dem Vorbild von Stepan Bandera und anderen »Helden« der »nationalen Befreiungsbewegung« erzogen werden, hatte sich erledigt.

Ukrainische Intellektuelle hatten vor den Wahlen im Oktober in einem offenen Brief vor einer Zusammenarbeit mit den Nationalisten gewarnt hätten. Dies hinderte die Partei der inhaftierten Timoschenko nicht daran, in etlichen Wahlkreisen gemeinsame Kandidaten mit »Swoboda« aufzustellen.

* Aus: junge Welt, Freitag, 14. Dezember 2012


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