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Politisches Erdbeben in Washington

US-Vorwahlen: Tea-Party-Kandidat David Brat setzt sich bei Republikanern durch

Von Rainer Rupp *

Die Niederlage des republikanischen Mehrheitsführers im Repräsentantenhaus, Eric Cantor, gegen David Brat, einen Neuling und Kandidaten der »Tea Party«-Bewegung, bei der Vorwahl im Bundesstaat Virginia hat am Dienstag das politische Establishment in den USA erschüttert. Der Wirtschaftsprofessor setzte sich nach Auszählung aller 243 Wahllokale im Wahlkreis Richmond mit 55,5 Prozent gegen Cantor durch. Cantor galt als unschlagbarer Politstar, der den Konservativen bei den im November stattfindenden Kongreßwahlen erneut die Mehrheit im Unterhaus bescheren sollte. Jetzt muß er Brat den Vortritt lassen.

Ähnlich wie der Erfolg der EU-kritischen Parteien, der jüngst das Establishment auf dem Alten Kontinent aufgeschreckt hat, so scheint die Niederlage Cantors jetzt die Spitzenpolitiker beider großen Parteien in Washington zu verunsichern. Denn auch in den USA droht die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der als abgehoben erlebten Politaristokratie zu einer kritischen Masse zu werden, die wie in der EU das Weiter-Wie-Bisher-Regieren schwieriger macht.

Zur Erinnerung: die wiederholt totgesagte konservative »Tea Party« entstand 2009 als Graswurzelbewegung gegen das Washingtoner Establishment, gegen die teure Rettung der US-Zockerbanken und gegen die Fortführung der Kriege im Irak und in Afghanistan. Dieser Punkt wird in der Berichterstattung deutscher »Qualitätsmedien« über die »rassistisch-nationalistische« Tea Party konsequent unterschlagen. Laut Spiegel online z.B. hat Brat nur deshalb gegen Cantor gewonnen, weil er die Meinung erzkonservativer »Radikalinskis« gegen »illegale Immigranten« bedient hat. Tatsächlich aber war der »Crony capitalism«, das Gekungel unter der US-Hochfinanz, Hauptwahlkampfthema des Wirtschaftswissenschaftlers. Cantor und den Republikanern in Washington warf Brat unter anderem vor, »zuviel für Wall Street und nichts für die Main Street« zu tun, die Hauptstraße, in der die »normalen« Amerikaner wohnen.

Als bekennender Marktwirtschaftler verlangte Brat von seiner republikanischen Partei, sich mehr für die Nöte der »kleinen Handwerker« und Unternehmer einzusetzen, die das Rückgrat der US-Wirtschaft ausmachten. Der Politikwissenschafter Larry Sabato von der Universität von Virginia sprach gegenüber AFP von einer der »verblüffendsten Niederlagen« der jüngeren US-Geschichte. Die »Basis« der Republikaner habe sich »gegen die Führung erhoben«

* Aus: junge welt, Donnerstag 12. Juni 2014

Lesen Sie auch zwei ältere Beiträge von Knut Mellenthin:

Sowie:
Rechte "Tea Party" bringt Präsident Obama in Bedrängnis
Ultrakonservative Protestbewegung in den USA hat die Republikaner gekapert und setzt die Demokraten unter Druck. Von Max Böhnel, New York (1. November 2010)




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