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Obamas kleine Klasse

US-Präsident will Krieg gegen IS ausweiten. Allein, er findet nur wenige "moderate syrische Rebellen". Die meisten fallen bei Tauglichkeitstest durch

Von Karin Leukefeld *

Die USA wollen den Kampf gegen die Miliz »Islamischer Staat« (IS, früher ISIS) in Syrien verstärken. Das sagte Präsident Barack Obama nach einem Treffen der US-Militärführung und des Nationalen Sicherheitsrates im Pentagon am Montag. Er rechne mit »Rückschlägen« und der Kampf könne »lange dauern«. Luftangriffe gegen die Öl- und Gasförderanlagen, die dem IS als Geldquelle dienen, sollten verstärkt werden, sagte der US-Präsident. Ziel sei, die »IS-Führung und ihre Infrastruktur in Syrien zu zerstören«. Bisher seien mehr als 5.000 Luftangriffe auf die Gruppe geflogen und »Tausende Kämpfer eliminiert« worden. Im Irak müsse mehr getan werden, um »die irakische Armee und sunnitische Stammeskämpfer« auszubilden, so Obama. Das gleiche gelte für »moderate syrische Rebellen«.

Nach Angaben des Pentagon kosten die Anti-IS-Operationen die USA täglich 9,2 Millionen US-Dollar. Seit Insgesamt belaufen sie sich seit Einsatzbeginn auf rund drei Milliarden US-Dollar. US-Verteidigungsminister Ashton Carter erklärte, die Angriffe in Syrien sollten auch die kurdischen Kräfte unterstützen und »die Bewegungsfreiheit des IS einschränken«. Man habe festgestellt, dass »der IS zurückgedrängt werden kann, wenn wir einen effektiven Partner am Boden haben«, ergänzte Obama.

Anfang Juli hatte der britische Premierminister David Cameron laut darüber nachgedacht, der Anti-IS-Koalition mit Kampfjets auch über Syrien zur Hilfe zu kommen. Bisher beteiligt sich Großbritannien nur an Angriffen über dem Irak. Über Syrien werden allerdings britische Drohnen zur Überwachung eingesetzt.

Bei einer Anhörung vor dem Militärausschuss des US-Senats am Dienstag räumte Verteidigungsminister Carter ein, dass am Ausbildungsprogramm für »moderate syrische Rebellen« bisher nur 60 Syrer teilnähmen. Er gebe zu, es handle sich um »eine kleine Klasse«. Doch das sei die Anzahl, die »den sehr scharfen Überprüfungs- und Auswahlprozess bestanden« habe. 7.000 Rekruten hätten sich gemeldet. Ursprüngliches Ziel des auf drei Jahre angelegten Programms war die Ausbildung von jährlich rund 5.000 Kämpfern in Jordanien, der Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Für das erste Ausbildungsjahr hatte der US-Kongress 500 Millionen US-Dollar bewilligt.

Hintergrund der bisher geringen Zahl an Azubis »moderater syrischer Rebellen« ist nach US-Medienberichten, dass die Männer sich verpflichten müssen, gegen den IS zu kämpfen. Dafür erhalten sie neben Ausbildung und Waffen einen Lohn von etwa 450 US-Dollar pro Monat. Tatsächlich wollen die meisten vor allem gegen die syrische Armee zu Felde ziehen. Eine unbekannte Zahl von Männern ist offensichtlich nach der Grundausbildung samt Waffen verschwunden.

Kredit für Damaskus

Das Parlament in Damaskus hat derweil einer dritten Kreditverlängerung im Wert von einer Milliarde US-Dollar zugestimmt, die Syrien vom Iran erhält. Die Vereinbarung war Ende Mai von Banken beider Länder unterzeichnet worden. Insgesamt hat der Iran Syrien seit 2013 Kredite in Höhe von 4,6 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Ein Großteil des Geldes wird für den Ankauf von Öl und Ölprodukten ausgegeben. Die syrischen Ölförderanlagen wurden von bewaffneten Gruppen eingenommen und mittlerweile durch US-Luftschläge weitgehend zerstört. Bis 2011 war Syrien schuldenfrei und verkaufte sein Öl vor allem an Europa, von wo es fertige Ölprodukte zurückerhielt. Seit Ende 2011 wird Syrien von den USA und Europa mit weitreichenden Wirtschaftssanktionen unter Druck gesetzt.

Die wirtschaftliche Zerstörung Syriens schreitet nicht nur durch Militärangriffe, Sabotage und durch die ausländische Sanktionspolitik voran. Aus Idlib, das im April unter Kontrolle der Islamistengruppen Nusra-Front und »Armee der Eroberung« fiel, werden massive Plünderungen von öffentlichem und privatem Eigentum gemeldet.

Der Direktor der syrischen Antikenbehörde, Mamun Abdulkarim teilte am Dienstag in Damaskus mit, dass bisher 65.000 archäologische Fundstücke sichergestellt werden konnten, die von Kampfgruppen im Laufe der vergangenen vier Jahre gestohlen worden waren. Nicht bei allen Artefakten handele es sich um Originale. Durch die internationale Zusammenarbeit sei der Druck auf die Nachbarländer Syriens erhöht worden, den Schmuggel zu stoppen. Abdulkarim hob besonders den Einsatz der UNESCO hervor, die sich dafür einsetze, die Schwarzmärkte in den Golfstaaten und in Europa stärker zu kontrollieren. Der Libanon habe zudem Hunderte Fundstücke, darunter Mosaike und Büsten aus Palmyra sowie eine Vielzahl römischer und byzantinischer Artefakte, sichergestellt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 09. Juli 2015


Kämpfe an vielen Fronten, nicht nur in Aleppo

Von Karin Leukefeld **

Die Pressestelle der syrischen Armee berichtet fast im Minutentakt über die vielen Fronten, an denen die Streitkräfte gegen die verschiedenen bewaffneten Gruppen vorgehen. Angriffe der Luftwaffe auf Stellungen von Nusra-Front und »Südfront« in der südlichen Provinz Deraa, Vormarsch in den ländlichen Gebieten zwischen Latakia und Idlib im Norden des Landes gegen die Nusra-Front und die von ihr angeführte »Armee der Eroberung«. Beim Vormarsch auf die historische Ruinenstadt Palmyra sei die Armee von der Luftwaffe unterstützt worden, hieß es am Mittwoch. Ziel seien »Ansammlungen der IS-Terroristen« gewesen, von denen »etliche« getötet worden seien. Weitere Militäroperationen werden aus Hasaka, Idlib und Hama gemeldet.

Strategisch wichtig ist die massive Offensive der Streitkräfte auf die im Grenzgebiet zum Libanon liegende Stadt Sabadani. Die syrische Armee wird dabei von der libanesischen Hisbollah unterstützt. Über den Vormarsch, der am Wochenende gleichzeitig von verschiedenen Seiten begann, berichten libanesische Medien ständig und aktuell. Die Tageszeitung As-Safir schrieb unter Bezugnahme auf eine »Quelle, die die Kampfsituation kennt«, dass die Vertreibung der bis zu 1.500 Kämpfer aus Sabadani nachhaltige Auswirkungen auf die Kampfverbände im Umland von Damaskus haben werde. Sobald die Stadt »vollständig unter erdrückender Feuerkontrolle« und die Nachschubwege abgeschnitten seien, werde eine »Schwachstelle für die Sicherheit der syrischen Hauptstadt« beseitigt sein.

Der Kriegsschauplatz in Aleppo findet bei dem vom Westen, von den Golfstaaten und der Türkei unterstützten Exiloppositionsbündnis »Nationale Koalition« (Etilaf) sowie Menschenrechtsorganisationen, Politikern und UN-Vertretern besondere Aufmerksamkeit. Der »willkürliche Einsatz von ›Fassbomben‹« durch die syrische Luftwaffe wird nahezu täglich in den Medien beklagt. Das Internetportal Avaaz, das per Mausklick Unterschriften und E-Mail-Adressen in aller Welt sammelt, forderte erst kürzlich die Einrichtung einer »Flugverbotszone«, um die syrische Luftwaffe zu stoppen.

Mit ungewöhnlicher Schärfe hatte der syrische Vertreter beim UN-Menschenrechtsrat in Genf kürzlich die Anschuldigungen zurückgewiesen. Botschafter Hussam Eddin Aala warnte davor, das Gremium der Vereinten Nationen für eigene politische Zwecke zu benutzen. »Konstruierte Vorwände (…) wie der Einsatz von explodierenden Fässern« würden benutzt, sich in »technischen Fragen« zu positionieren und die Glaubwürdigkeit des Menschenrechtsrates zu diskreditieren. Die syrische Regierung hat den Einsatz von »Fassbomben« wiederholt dementiert.

Auf der US-Internetplattform Information Clearing House meldete sich nach der jüngsten Offensive von Nusra-Front und den »Anhängern der Scharia« in Aleppo (2./3. Juli 2015) ein empörter Augenzeuge anonym zu Wort und verurteilte die »Dämonisierung« der syrischen Armee. Die Bevölkerung von Aleppo habe durch die »Terroristen« alles verloren und sei die »Lügen« über »moderate Rebellen«, »Freiheit« und »Fassbomben« leid, so der Autor. »Wie können Sie es wagen zu sagen, dass die syrische Armee sie nicht bekämpfen soll!«

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 09. Juli 2015


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