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Neues vom Kraken

US-Datenbank über "Terrorismusverdächtige" enthält eine Million Namen. Flugverbot für 47000 Menschen

Von Knut Mellenthin *

Nach Edward Snowden macht angeblich ein neuer »Leaker« den US-Nachrichtendiensten Sorgen. Der Vorgang ist allerdings, so wie er sich bisher darstellt, stark aufgebauscht, um Schlagzeilen zu produzieren. Anlaß der Spekulationen über einen weiteren Insider, der Geheimdokumente weitergegeben haben soll, ist ein Artikel, der am Dienstag auf der Website Intercept erschien. Betreiber ist der Journalist Glenn Greenwald, der im vorigen Jahr durch die Auswertung der von Snowden beschafften Dokumente und Erkenntnisse weltweit bekannt wurde. Der Computerexperte Snowden hatte in der Vergangenheit für den US-Auslandsgeheimdienst CIA, den Pentagon-Nachrichtendienst DIA und für die National Security Agency (NSA) gearbeitet, die für die globale Überwachung der Telekommunikationsnetze zuständig ist. Im Mai 2013 setzte sich Snowden mit Hunderttausenden kopierter Geheimdokumente nach Hongkong ab, wo er sich mit Greenwald traf und ihm erstmals Material zur Veröffentlichung übergab. Gegenwärtig lebt der 31jährige in Rußland.

Der Verdacht, daß jetzt ein weiterer »Leaker« oder »Whistleblower« aufgetaucht sein könnte, stützt sich substantiell nur auf die Tatsache, daß in dem jüngsten Intercept-Artikel auch Dokumente und Zahlen erwähnt werden, die sich auf den August 2013 beziehen und deshalb offenbar nicht von Snowden stammen können. Der in der Selbstvermarktung nicht schüchterne Greenwald hatte schon im Februar und zuletzt wieder im Juli angedeutet, daß es weitere Personen geben könnte, die sich von Snowdens Mut zu ähnlichen Aktionen inspirieren lassen. Dabei war allerdings nicht zu erkennen, ob der Journalist nicht lediglich seinem eigenem Wunschdenken Ausdruck gab.

Wie viele Dokumente und Kenntnisse der vermutete neue »Leaker« weitergegeben oder noch in der Reserve hat, ist bis jetzt nicht bekannt. Der US-Sender CNN machte am Dienstag darauf aufmerksam, daß die bislang erwähnten neuen Dokumente nur die Geheimhaltungsgrade »Secret« oder »NOFORN« haben. Letzteres bedeutet, daß sie Ausländern, auch verbündeten ausländischen Regierungen, nicht zugänglich gemacht werden dürfen. Dagegen sind unter den 1,7 Millionen Dokumenten, die Snowden laut Angaben der US-Regierung entwendet haben soll, sehr viele, die als »Top Secret« deklariert waren.

Der am Dienstag veröffentlichte Intercept-Artikel beschäftigt sich im wesentlichen mit dem unter Barack Obama zu verzeichnenden sprunghaften Wachstum der Datenbanken, in denen Informationen über »Terrorismusverdächtige« gespeichert werden. So sei die Zahl der Personen, die auf der No-Fly-Liste stehen, also Flugverbot in den USA haben, seit Obamas Amtsantritt im Januar 2009 verzehnfacht worden. Sie liegt jetzt Intercept zufolge bei 47000, was der höchste Stand aller Zeiten sei, höher sogar als in der Zeit nach dem 11. September 2001 unter George W. Bush. 2006 waren es laut einem Dokument, das damals dem Sender CBS zugespielt wurde, 44000 gewesen. Nach den negativen öffentlichen Reaktionen auf diese Enthüllung wurde die Zahl der mit Flugverbot belegten Personen jedoch zeitweise auf 4000 heruntergefahren.

Die größte Datenbank angeblicher Terrorismusverdächtiger, TIDE, enthielt nach den Intercept vorliegenden Dokumenten im Juni 2013 rund eine Million Namen. Im Jahr 2012 seien dort Informationen über 875000 Personen gespeichert gewesen, und 2009 habe TIDE rund 500000 Namen enthalten, also nur halb so viele wie gegenwärtig. Überwiegend handele es sich um Ausländer, weniger als 1,5 Prozent seien Staatsbürger der USA. Unter den Organisationen, denen die bei TIDE gespeicherten Personen zugeordnet werden, liegt der irakische Zweig von Al-Qaida mit 73 189 an der Spitze, gefolgt von den afghanischen Taliban mit 62794. 280000 Namen werden mit keiner Terrororganisation in Verbindung gebracht.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 7. August 2014


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