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Hagel geht

Die Gründe für den Rücktritt des US-Verteidigungsministers liegen vorläufig im dunklen

Von Knut Mellenthin *

Überraschend für die Öffentlichkeit gab die US-Regierung am Montag den Rücktritt von Verteidigungsminister Chuck Hagel bekannt. Bis zur Ernennung einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers und deren oder dessen Bestätigung durch den Senat wird Hagel, der die Leitung des Pentagons am 27. Februar 2013 übernahm, im Amt bleiben. Das kann noch bis ins nächste Jahr dauern.

Die meisten bedeutenden Zeitungen und Sender der USA gehen mit scheinbarer Gewissheit davon aus, dass Hagel »gefeuert« worden sei. Deutsche Medien wie der Spiegel, die ihre Meldungen und Einschätzungen eng an amerikanische Vorbilder anlehnen, haben diese These übernommen. Sachlich beweisen lässt sich das jedoch bisher nicht, und schon gar nicht gibt es auf Fakten gestützte Klarheit, warum es zu der unterstellten Entlassung Hagels durch Präsident Barack Obama gekommen sein soll. Als die beiden am Montag, zusammen mit Vizepräsident Joe Biden, vor die Kameras traten, waren sie sichtlich bemüht, ein Bild der Eintracht zu bieten. Obama nannte Hagel »das Muster eines Verteidigungsministers« und darüber hinaus einen »großartigen Freund«. Besonders hob der Präsident, der keinerlei militärische Erfahrung hat, die Nähe des Pentagonchefs zu den Frauen und Männern der Streitkräfte hervor: »Er hat dort gestanden, wo sie stehen. Er war im Dreck, er war im Schlamm. Er sieht sich selbst in ihnen, und sie sehen sich in ihm.«

Hagel war als Wehrpflichtiger Soldat in Vietnam und wurde zweimal mit dem Verwundetenabzeichen Purple Heart ausgezeichnet. Der jetzt 68jährige gilt als jemand, der aufgrund seiner eigenen Erfahrungen Kriegen skeptisch gegenübersteht. Obwohl er Republikaner ist und diese zwölf Jahre lang im Senat vertrat, musste er scharfe Polemiken und harte Hearings durchstehen, bevor seine eigene Partei der Nominierung zum Verteidigungsminister zustimmte.

Dass es Meinungsverschiedenheiten zwischen Obama und Hagel gab und dass beide schon seit einigen Wochen über das Ausscheiden des Pentagonchefs aus dem Amt miteinander gesprochen hatten, scheint nach den vorliegenden Berichten einigermaßen sicher. Aber über die Hintergründe wird bis jetzt nur gerätselt und spekuliert. Hagel habe bei Sitzungen meist geschwiegen, kann man an vielen Stellen lesen. Anonyme Zeugen werden zitiert mit Äußerungen wie: »Ich konnte nie sagen, was seine Meinung zu irgendeiner Sache war.« Journalisten steuern aus eigenem Erleben oder vom Hörensagen bei, dass der Minister bei Pressekonferenzen Schwierigkeiten gehabt habe, sich verständlich auszudrücken, und dass man aus seinen Äußerungen oft nicht recht schlau werden konnte. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass Hagel, der vor seiner Ernennung als durchaus meinungsfreudig und kritisch bekannt war, es vorgezogen hat, Differenzen mit dem Präsidenten unter vier Augen zu besprechen. So oder so werden daraus noch keine Entlassungsgründe.

Man erinnert sich jetzt daran, dass Mark Landler in der New York Times schon am 29. Oktober in einem mit Insiderwissen offenbar gut gefütterten Artikel über Pläne Obamas zu umfassenden Personalveränderungen geschrieben hatte. Unter anderem erwähnte er dort namentlich nicht nur Hagel, sondern auch Außenminister John Kerry. Beide bezeichnete Landler als »schlachterprobte, aber erschöpfte loyale Kabinettsmitglieder«. In diesem Zusammenhang erwähnte der Journalist auch ein zweiseitiges »scharf kritisches« Memorandum, das der Verteidigungsminister eine Woche zuvor an die Sicherheitsberaterin des Präsidenten, Susan Rice, geschickt habe. Thema sei die Haltung der US-Regierung gegenüber dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad gewesen. Wesentlich mehr als die Feststellung, dass man in große Schwierigkeiten kommen könne, wenn man es weiter vermeide, die eigene Politik klarer herauszuarbeiten, wusste Landler allerdings nicht zu zitieren.

Was Obama nun bewogen hat, sich von Hagel zu trennen, wird höchstens die Zukunft zeigen. Weitere Rücktritte und Umbesetzungen könnten folgen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 26. November 2014


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