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Obamas Henkermaschinen

Hintergrund. Im Krieg gegen die "Feinde Amerikas" setzen die USA allen Behauptungen zum Trotz zunehmend bewaffnete Drohnen ein. Die unbemannten Luftfahrzeuge führen außergerichtliche Hinrichtungen aus

Von Alexander Bahar *

Es war mehr als nur ein symbolischer Akt, als US-Präsident Barack Obama am 25. April 2013 anläßlich der Einweihung des George-W.-Bush-Präsidentenzentrums an der Southern Methodist University in Dallas seinen Vorgänger mit überschwenglichen Lobeshymnen rühmte. Dem einst verhaßtesten Staatschefs der USA beschied Obama »Großzügigkeit« und – gleich zweimal – »Mitgefühl«. Diese Worte galten, wohlgemerkt, einem Mann, dessen Regierungszeit mit illegalem Krieg, Folter und Wirtschaftskriminalität untrennbar verbunden ist. Ein Mann, der als Gouverneur von Texas 152 Exekutionen und damit mehr als jeder andere Gouverneur der modernen Geschichte der USA verantwortet, einen unprovozierten Invasionskrieg gegen den Irak mit bis zu einer Million Toten geführt sowie Mißhandlungen und Folter an Gefangenen in US-Militärstützpunkten und weltweit geheimen »schwarzen Standorten« genehmigt hatte. Von alldem keine Silbe, statt dessen solidarisierte sich Obama mit dem von Bush verkündeten »Krieg gegen den Terror« und pries dessen »unglaubliche Stärke und Entschlossenheit« in seinem Bemühen, jene, »die versuchen, unsere Lebensweise zu zerstören, (…) der Gerechtigkeit zuzuführen«.

Spätestens mit seiner Eloge auf Bush junior hat Obama auch die letzte rhetorische Distanz zu seinem Vorgänger aufgegeben und stellte sich, wendiger und verlogener als sein Vorgänger, bruchlos in die Kontinuität imperialistischer US-Machtpolitik und arroganter Demokratieverachtung. Sie haben unter seiner Präsidentschaft einen neuen Höhepunkt erreicht.

Am 1. März 2010 verlieh Obama der zuvor vom Kongreß beschlossenen Verlängerung spezieller Bestimmungen des US-Patriot-Act durch seine Unterschrift Gesetzeskraft. Als der Kongreß am 26. Mai 2011 drei Bestimmungen des Pakets – die richterliche Generalerlaubnis für das FBI zum Abhören jeglicher Kommunikationsmittel eines als Terrorist Verdächtigten, die Genehmigung zum »Zugriff auf Geschäftsbücher und Sachvermögen« sowie die elektronische Überwachung von Verdächtigten, auch US-Bürgern – für vier Jahre bis zum 1. Juni 2015 verlängerte, unterschrieb Obama auch dies. Von den Medien kaum beachtet, setzte der Präsident am 31. Dezember 2011 den National Defense Authorization Act (NDAA) – den US-Verteidigungshaushalt 2012 – mit seiner Unterschrift in Kraft. Danach kann jeder US-Amerikaner, der mit der Politik der US-Regierung nicht einverstanden ist, als »Terrorverdächtiger« eingestuft und vom US-Militär auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden.

Zwar stoppte Obama offiziell Exzesse wie das »Waterboarding« und andere Foltertechniken, doch er tat alles, um die Täter vor Strafverfolgung zu schützen. Trotz erdrückender Beweise dafür, daß es seit den Anschlägen vom 11. September zahlreiche Fälle von systematischer Mißhandlung und Folter in US-Gewahrsam gegeben hat, wurde kein einziger ranghoher Regierungsvertreter zur Rechenschaft gezogen. Lediglich einige wenige einfache Soldaten wurden bislang bestraft. Am 30. August 2012 gab Justizminister Eric Holder bekannt, daß die einzigen strafrechtlichen Ermittlungen, die sein Ministerium unter der Leitung von Staatsanwalt und Sonderermittler John Durham zu den mutmaßlichen Mißhandlungsfällen in US-Gewahrsam aufgenommen hatte, eingestellt würden, ohne daß es zu einer Anklage gekommen war.

Extralegale Tötungen

Um einerseits die militärische Agenda der ­Bush-Regierung weiter zu verfolgen, andererseits aber die Wiederholung von deren größtem Fiasko, einem Bodenkrieg, zu vermeiden, hat der Friedensnobelpreisträger Obama den Bush nach dem 11. September 2001 begonnenen und seit 2004 systematisch geführten Drohnenkrieg am Hindukusch, in Pakistan und im Jemen drastisch ausgeweitet. Das gezielte Töten von mutmaßlichen Al-Qaida- oder Taliban-Kämpfern durch paramilitärische Teams der CIA, des Joint Special Operations Command (JSOC) des Pentagon oder durch unbemannte bewaffnete Flugzeuge, durch Killerdrohnen, ist unter Obama nachgerade zum Markenzeichen der US-amerikanischen »Anti-Terror«- und Aufstandsbekämpfungsstrategie geworden. Solche extralegalen Tötungen mögen aus Sicht der US-Regierung den Vorteil haben, daß sie ihr aufwendige juristische Verfahren ersparen. Denn bei denen könnte sie nicht nur in Beweisnot geraten. Es könnten darüber hinaus Dinge ans Tageslicht kommen, deren Enthüllung für die Regierenden in Washington womöglich verheerende Folgen hätte. Insbesondere bei der Tötung Osama bin Ladens am 3. Mai 2011 durch ein US-Spezialkommando, die Präsident Obama und sein Stab voyeuristisch am Bildschirm verfolgten und die die westliche Elite, darunter auch Bundeskanzlerin Merkel, freudig beklatschte, dürfte dieser Aspekt eine zentrale Rolle gespielt haben. Es verwundert nicht, daß Veteranen der Bush-Regierung deshalb voll des Lobes für den US-Präsidenten sind. John Rizzo, der unter Bush als oberster Hausjurist der CIA sämtliche Anti­terrorprogramme abgesegnet hatte, erklärte: Obama habe am Kurs »so gut wie nichts geändert«. Tatsächlich hat der Präsident den Kurs sogar erheblich verschärft.

Da der Drohnenkrieg geheim und nach wie vor unter maßgeblicher Beteiligung der CIA geführt wird, gibt es weder über Angriffe noch Opfer verläßliche Daten. Der »UN-Sonderberichterstatter zu Menschenrechten bei der Bekämpfung von Terrorismus, Ben Emmerson, stellte Mitte Oktober 2013 erstmals »offizielle« vorläufige Zahlen der Vereinten Nationen zum Einsatz von bewaffneten Drohnen vor. Sie liegen noch etwas unter den minimalen Schätzungen des Bureau of Investigative Journalism. Dieses gibt für Pakistan (von 2004 bis zum 30. November 2013) insgesamt 380 Drohnenangriffe an (davon 329 unter Obama), durch die zwischen 2534 und 3642 Menschen getötet wurden. Für den Jemen (2002 bis 30. November 2013) werden 55 bis 65 Attacken mit 269 bis 389 getöteten Menschen angegeben, weitere 302 bis 481 Tötungen vermutet. 2012 wurde die Zahl der Drohnenangriffe gegenüber dem Vorjahr fast verdreifacht, 2013 nochmals erhöht. Für Somalia (von 2007 bis zum 30. November 2013) werden vier bis zehn Drohnenangriffe mit neun bis 30 Toten gezählt.

Laut der von der UNO unter Berufung auf pakistanische Behörden veröffentlichten Zahlen sollen mindestens 400 der Todesopfer Zivilisten gewesen sein, weitere 200 müßten als sogenannte Nichtkämpfer betrachtet werden. Eine von Associated Press im Jahr 2012 durchgeführte Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß bei zehn über einen Zeitraum von 18 Monaten untersuchten Angriffen mit unbemannten Luftfahrzeugen nach den Angaben pakistanischer Dorfbewohner nur 70 Prozent der Getöteten Militante gewesen seien, die restlichen 30 Prozent seien entweder Zivilisten oder örtliche Polizisten (tribal police) gewesen.

Pakistans Politiker verurteilen zwar stets öffentlich den Drohnenkrieg der USA, hinter den Kulissen aber duldeten sie ihn lange Zeit. Die Erlaubnis der pakistanischen Regierung für diese Attacken erkaufte sich Washington durch millionenschwere Zahlungen zur Unterstützung des »Antiterrorkampfes« bzw. indem das Weiße Haus der Regierung in Islamabad und dem pakistanischen Geheimdienst ISI einräumte, auch deren Gegner auf die Tötungslisten zu setzen. Erst im Mai bezeichnete ein Gericht in Peschawar die Drohnenangriffe als Kriegsverbrechen. Amnesty International beklagt, die Menschen im Nordwesten Pakistans lebten in einer ständigen Atmosphäre der Angst. Viele fürchteten sich mittlerweile sogar davor, im Falle eines Angriffs den Verletzten zu helfen. Denn oftmals würden mehrere Raketen in Serie abgefeuert. Die späteren Geschosse töteten dann jene, die den Opfern der ersten Attacke helfen wollten.

Zusätzlich zu den tödlichen Drohnenangriffen außerhalb bewaffneter Konflikte setzen oder setzten die USA diese Geräte in den Kriegsgebieten im Irak, Afghanistan und Libyen ein. Gestartet werden die Tötungsmissionen in Afghanistan und im Irak häufig auch vom U.S. Base Camp Lemonnier in Dschibuti sowie von einer nicht offiziell bestätigten Drohnenbasis in Saudi-Arabien. Weitere Drohnen haben die USA u.a. im Niger, in Japan oder in Italien (zur Überwachung des Mittelmeeres) stationiert. Die zentrale Koordination der US-Drohnen-Operationen in Afghanistan erfolgt bis heute von der Creech Air Force Base in Nevada.

Veränderte Zielerfassung

Der Großteil der Drohnenangriffe wurde nach dem Amtsantritt von Obama im Jahr 2009 durchgeführt – mit einem Höhepunkt im Jahr 2010. Der Anstieg ist zum Teil Resultat einer veränderten Zielidentifizierung und -erfassung. Zusätzlich zu den bis dahin üblichen »Personality ­strikes«, direkten Angriffe gegen auf Tötungslisten namentlich erfaßten Personen, führt die CIA seit 2008 immer häufiger »signature strikes« durch. Dabei werden Menschen nur anhand von Lebens- und Verhaltensmustern anstelle eindeutiger Informationen ins Visier genommen. Sie erfolgen ohne genaue Kenntnis der Identität der Ziele, Opfer sind zumeist Zivilisten. Solche Muster sind etwa »Männer im Militärdienstalter, die in einer bestimmten Region einer großen Versammlung beiwohnen«. Laut aktuellem internen Trainingshandbuch für Pentagonangestellte genügt bereits die Teilnahme an einer politischen Protestdemonstration, die als »leichte Form des Terrorismus« gelte, um von einer Drohne ins Visier genommen zu werden. Diese »Signature strikes« wurden mit demselben von Bush nach dem 11. September unterzeichneten »Presidential finding« legitimiert, das sein Nachfolger Obama im Jahr 2009 mit seiner Unterschrift bekräftigte.

Mit dem Projekt »Naming the Dead« hat es sich das Bureau of Investigative Journalism zur Aufgabe gemacht, die Namen und die Geschichten der Getöteten zu ermitteln, unabhängig von den gegen sie erhobenen Beschuldigungen. »Kontaktschuld« nennt Jeremy Scahill einen solchen Tötungsgrund, bei dem eine Person allein aufgrund ihrer Nähe zu Menschen, die bereits auf der US-Tötungsliste stehen, selbst dorthin geraten kann. Alle Personen, deren Namen auf einer derartigen Liste stehen, werden in der Regel ohne Gerichtsverfahren umgebracht. Es wird keine Anklage erhoben, auf welche die beschuldigte Person reagieren kann. Sie kann sich ihren Verfolgern nicht stellen, da sie von der gegen sie erhobenen Beschuldigung und der Aufnahme in eine solche Liste nichts erfährt. Sollte sie aber doch davon erfahren, besiegelt sie mit jedem Versuch einer Kontaktaufnahme, etwa via Mobiltelefon, ihren Tod, weil sie ihren Verfolgern damit ihre Zielkoordinaten preisgibt.

Aus einer Zusammenfassung eines von der Zeitungsgruppe McClatchy veröffentlichten, als geheim eingestuften US-Geheimdienstberichts geht hervor, daß die CIA die Identität von rund einem Viertel der in Pakistan im Zeitraum vom 3. September 2010 bis 30. Oktober 2011 von Drohnen getöteten Personen nicht angeben kann. Diese wurden routinemäßig als »andere Militante« klassifiziert, eine Bezeichnung, die gebraucht wird, wenn die CIA keine konkrete Verbindung nicht feststellen kann. Eine frühere von McClatchy veröffentlichte Zusammenfassung über Drohnenangriffe enthüllte, daß es sich bei mindestens 265 von 482 Personen, die von der CIA von Ende September bis Ende September 2011 getötet wurden, nicht um ranghöhere Al-Qaida-Führer handelt. Diese wurden statt dessen als »Afghanen«, »Pakistani« und »unbekannte Extremisten« »eingestuft«. Nach Medienangaben kamen im selben Zeitraum lediglich sechs hochrangige Al-Qaida-Führer durch Drohnen­angriffe ums Leben.

Eine neue Dimension erreichte das unter Obama exzessiv ausgeweitete Programm extralegaler Tötungen am 30. September 2011. Damals wurde der radikale islamische Geistliche (»Haßprediger«) und US-Staatsbürger Anwar Al-Awlaki, der in den Vereinigten Staaten als Sohn jemenitischer Eltern geboren wurde, zusammen mit drei weiteren Männern – einer davon, Samir Khan, ebenfalls amerikanischer Staatsbürger – von einer Rakete in die Luft gesprengt, die eine CIA-Drohne im Nordjemen abgeschossen hatte. Anwar Al-Awlakis 16jähriger Sohn Abdulrahman wurde am 14. Oktober 2011 bei einem weiteren Drohnenangriff in einem anderen Teil des Jemen zusammen mit sieben weiteren Opfern getötet. Ohne Beweise dafür vorzulegen, behauptete die Obama-Regierung, bei Awlaki habe es sich um einen hochrangigen »operativen Führer« von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel gehandelt. Sie rechtfertigte den Mord als präventive Militäraktion – nahezu wortgleich wie die Bush-Regierung zuvor.

Permanenter Ausnahmezustand

General Michael Hayden, der als Direktor der National Security Agency (NSA) ein geheimes, großflächiges Abhörprogramm aufgebaut hatte, ehe er als CIA-Direktor den Drohnenkrieg der USA verantwortete, brachte am Beispiel Awlakis auf den Punkt, wie sich der Antiterrorkrieg unter Obama verändert hat. Zu Bushs Zeiten »brauchten wir eine gerichtliche Anordnung, um ihn abzuhören«, sagte Hayden der Los Angeles Times. Nun aber, unter Obama, »brauchen wir keinen Gerichtsbeschluß, um ihn zu killen«.

Wie der US-Journalist Mark Mazetti aufzeigt, segnete Präsident Obama die von seinem früheren Antiterrorberater und amtierenden CIA-Chef John O. Brennan erstellten Tötungslisten persönlich ab. Mindestens 326 tödliche Attacken habe Obama höchstpersönlich abgezeichnet, schreibt Mazetti in seinem im Herbst 2013 erschienenen Buch »Killing Business«. Weit davon entfernt, sie zu bereuen, ist Obama auf seine Tötungsbefehle sogar noch stolz. Das legt zumindest eine neue Biographie des Präsidenten, »Double Down. Game Change 2012«, der beiden Journalisten Mark Halperin und John Heilemann nahe. »Ich bin wirklich gut darin, Leute zu töten« – das soll Obama im vergangenen Jahr bei einem Gespräch mit engen Beratern über den Drohnenkrieg gesagt haben.

Bereits im Jahr 2010 fertigte seine Regierung ein geheimes juristisches Memorandum an, in dem behauptet wird, der Präsident habe die Befugnis, die Ermordung eines US-Bürgers ohne Gerichtsverfahren anzuordnen – trotz einer Verfügung des Präsidenten, die Tötungen verbietet, trotz eines Bundesgesetzes gegen Mord, trotz der Schutzklauseln in der Freiheitsurkunde der Bill of Rights (der US-Freiheitsurkunde) und trotz mehrerer Einschränkungen im internationalen Kriegsrecht. Von dieser Vollmacht wurde bei der Ermordung Al-Awlakis Gebrauch gemacht. Verfaßt wurde das Memorandum vom Rechtsbüro des Justizministeriums (Justice Department’s Office of Legal Counsel), derselben Behörde, die unter der Bush-Regierung die berüchtigten »Foltermemos« hervorgebracht hatte, um die von der CIA und dem Militär angewendeten »verschärften« Verhörmethoden zu rechtfertigen.

Ein Bericht des Nachrichtendienstes Reuters vom Oktober 2011 enthüllte, daß eine geheime Unterabteilung des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses die Namen von angeblich militanten US-Staatsbürgern wie Anwar Al-Awlaki auf eine Tötungs- oder Verhaftungsliste setzt. Laut dem Bericht gibt es »keine öffentlichen Nachweise über die Tätigkeit oder die Entscheidungen dieses Gremiums«, das hätten einige gegenwärtige und ehemalige Beamte erklärt: »Es gibt kein Gesetz, daß seine Existenz begründet oder die Regeln festlegt, nach denen es arbeiten soll.« Anfang März 2012, nicht lange nachdem Obama den Drohnenkrieg der USA erstmals eingeräumt hatte, verteidigte sein Justizminister Eric Holder in einer Rede vor der juristischen Fakultät der Universität von Chicago das Recht des Präsidenten, die Entführung oder Inhaftierung jeder Person irgendwo auf der Welt anzuordnen und diese Person anschließend vor ein Militärgericht stellen zu lassen. Holder sprach Obama auch das Recht zu, ohne jegliche juristische Prüfung Todesurteile für jedwede Person, einschließlich US-Staatsbürger, auszustellen. Wörtlich erklärte er: Der Präsident brauche keine »juristische Zustimmung«, um dieses Recht auszuüben. Um die angebliche Verfassungsmäßigkeit derartiger Morde zu belegen, differenzierte Holder zwischen »rechtsstaatlichem« und »juristischem Vorgehen«. »Die Verfassung garantiert rechtsstaatliches, nicht aber juristisches Vorgehen«, behauptete er. Tatsächlich enthält die Bill of Rights – die ersten zehn Zusätze zur US-Verfassung aus dem Jahr 1791 – zahlreiche Garantien für gerichtliche Verfahren. Das im fünften Zusatz zur Verfassung garantierte Recht auf einen fairen Prozeß – »Keinem Menschen (…) darf Leben, Freiheit oder Besitz ohne einen fairen Prozeß verwehrt werden« – verbietet klar und eindeutig jegliche Tötung außerhalb der Legalität. Holders spitzfindige Unterscheidung zwischen rechtsstaatlichem und juristischem Vorgehen ist ein fadenscheiniger Versuch, eine pseudolegalistische Rechtfertigung für die Suspendierung demokratischer Rechte zu konstruieren, mit der selbst noch die Errichtung eines offenen Polizeistaats vereinbar wäre. Legitimiert sah Holder all dies durch den »Krieg gegen den Terror«: »Wir sind eine Nation im Krieg«, die USA befänden sich in einer »Stunde der Gefahr«. Diese Argumentation unterscheidet sich kaum von der Doktrin des Nazikronjuristen Carl Schmitt, wonach nationale Sicherheit und militärische Notlage einen »Ausnahmezustand« rechtfertigten, der es erlaube, grundlegende demokratische Rechte beliebig einzuschränken, Gesetze außer Kraft zu setzen und der Exekutive außerordentliche Machtbefugnisse einzuräumen.

Umbau der CIA

Gegenwärtig erstellt die CIA eine Liste von Zielen, die vom Chefberater der CIA überarbeitet und abgezeichnet wird. Mehrere Juristen aus der Chefetage des Geheimdienstes erarbeiten ein »Fünf-Seiten-Dossier«, in dem die Zielerfassung eines Individuums gerechtfertigt wird. Das alles geschieht unter strikter Geheimhaltung, wie sie beim US-Militär kaum möglich wäre. Für die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) ist offensichtlich: »Wir sehen, wie sich die CIA immer mehr in eine paramilitärische Organisation verwandelt, allerdings ohne die Aufsicht und die Verantwortlichkeit, die wir traditionell vom Militär erwarten«. Drohnenangriffe führt allerdings nicht nur der US-Auslandsgeheimdienst durch, sondern auch das US-Militär. Seit der Amtszeit von Donald Rumsfeld wurden dort parallele geheimdienstlich-paramilitärische Strukturen aufgebaut. Gleichzeitig wurden in wachsendem Umfang Söldner im Auftrag der CIA tätig, was eine schleichende Privatisierung des Krieges bewirkte. In der Folge, so Mazzetti, entstand ein »militärisch-geheimdienstlicher Komplex« staatlicher Stellen und privater Dienstleister, die Hand in Hand, bisweilen aber auch gegeneinander, arbeiten. Da verschwimmt »die Tätigkeit von Soldaten und die von Agenten« zunehmend und ist heute »kaum noch zu unterscheiden«.

Eine zentrale Rolle in dem Programm gezielter Tötungen der CIA spielt die NSA, das wurde spätestens Mitte Oktober 2013 durch die Enthüllungen von Edward Snowden aufgedeckt. Demnach ist der Geheimdienst bei der Durchführung seiner Drohnenattacken erheblich auf die Fähigkeiten der NSA angewiesen, weltweit massenhaft Daten und Informationen abzuschöpfen, um Aufenthaltsorte oder Lebensmuster von Personen mit Hilfe von Signals Intelligence (SIGINT) zu erfassen. Darüber hinaus soll eine spezielle Geheimabteilung gegründet worden sein, die sich auf untergetauchte Terroristen konzentriert. Die Einheit trage den Namen »CT MAC«, die Abkürzung für »Counter-Terrorism Mission Aligned Cell«.

Obama rechtfertigte die Nichteinleitung von Strafverfahren gegen die für Folter und Mißhandlungen Verantwortlichen der Bush-Ära mit der Behauptung, es sei »nicht die Zeit, unsere Energie und unsere Zeit mit Rückblicken und mit Zorn und Vergeltung [!] zu verschwenden«. Andererseits prägen »Zorn und Vergeltung« die Hetzjagd der Regierung auf jene, die in Obamas Lesart Amerikas »Sicherheit« bedrohen – allen voran Whistleblower und investigative Journalisten, die wie Julian Assange, Bradley Manning oder Edward Snowden, US-Kriegsverbrechen sowie schwere Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen enthüllen. Konsequent ignorierten die Behörden etwa Mannings Recht auf einen schnellen Prozeß, statt dessen mußte er drei Jahre auf den Beginn der Verhandlung warten. In dieser Zeit wurde er auf Anordnung der Regierung monatelang gefoltert. Obwohl der oberste Folterbeauftragte der UNO offiziell zu dem Schluß kam, daß sich die US-Regierung der »grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung« von Manning schuldig gemacht hatte, ging der Prozeß weiter. Dabei beschränkten Vertreter von Regierung und Militär den Zugang der Medien drastisch und zensierten Hunderte von Seiten von Gerichtsdokumenten.

Allein Mannings Behandlung straft Barack Obama, der behauptet hat, die USA folterten nicht, Lügen. Bereits vor Beginn des Prozesses hatte Obama unter rechtswidriger Mißachtung der Unschuldsvermutung dreist behauptet, daß der Whistleblower das »Gesetz gebrochen« habe, also schuldig sei. Manning wurde angeklagt und zu 35 Jahren Haft verurteilt – nur weil er einige der Verbrechen des US-Imperialismus enthüllt hat, für die bisher kein einziger Regierungsvertreter zur Rechenschaft gezogen wurde.

Obamas Drohnenkrieg und die Jagd auf Regierungsgegner wie Manning, Assange und Snowden sind zwei Seiten einer Medaille. Es geht und ging den Regierenden in Washington noch nie um die Bekämpfung des Terrors, dessen sie sich in ihrem »Krieg gegen den Terror« nach Bedarf bedienen. So wie Washington ihn als Vorwand für ebendiesen benutzt. Es geht ihnen vielmehr darum, all jene einzuschüchtern, zu terrorisieren und mundtot zu machen, deren Handeln die Potenz besitzt, einen breiteren Widerstand in der Bevölkerung gegen die US-Staatsverbrechen zu initiieren. Captain Joe Morrow, oberster Ankläger im Prozeß gegen Bradley Manning, sprach es offen aus, als er erklärte, es sei die Absicht der US-Regierung, »jedem Soldaten, der erwägt, vertrauliche Informationen zu stehlen, eine Botschaft zu schicken, um sicherzustellen, daß so etwas nie wieder vorkommt«.

* Alexander Bahar schrieb zuletzt auf diesen Seiten am 4.11. über den Reichstagsbrandprozeß. Von Bahar und seinem Kollegen Wilfried Kugel erschien zuletzt im PapyRossa Verlag »Der Reichstagsbrand. Das Ende einer Legende«.

Aus: junge Welt, Montag, 6. Januar 2014



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