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Nationalgarde rückt in Baltimore ein

Ausschreitungen nach Trauerfeier für Freddie Gray / Plünderungen und Brände / Nationalgarde soll eingesetzt werden / Bürgerrechtsaktivist Jackson beklagt "Epidemie der Morde"


Update 11:30 Uhr: Nach dem Tod Freddie Grays gleicht die US-Stadt Baltimore immer mehr einem Kriegsgebiet. Der Gouverneur von Maryland hat den Notstand ausgerufen und die Nationalgarde in die Stadt entsandt. Bis zu 5000 Nationalgardisten sollen möglichst rasch einschreiten. »Die Nationalgarde ist das letzte Mittel, um die Ordnung wiederherzustellen«, sagte der Gouverneur. Außerdem wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Ausgangsperre soll von Dienstag an für eine Woche von 22.00 Uhr abends bis 05.00 Uhr morgens gelten, erklärte Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake.

Ausnahmezustand in Baltimore

Nach der Trauerfeier für den 25-jährigen Freddie Gray, der nach einer gewaltsamen Festnahme durch die Polizei gestorben war, hat es in Baltimore schwere Auseinandersetzungen gegeben. Die Polizei sprach von den schwersten Unruhen in der Metropole seit Jahrzehnten. Augenzeugen meinten, Teile der Stadt seien in eine »Kriegszone« verwandelt. Ein Supermarkt sowie ein großes Gebäude wurden angezündet.

»Zu viele Menschen haben über Generationen diese Stadt aufgebaut, um sie von Rowdys zerstören zu lassen«, sagte Baltimores schwarze Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake. Sie verhängte eine einwöchige nächtliche Ausgangssperre. Sie trete am Dienstagabend in Kraft. Bei Bedarf werde das nächtliche Ausgehverbot verlängert. Der Gouverneur des Bundesstaates Maryland, Larry Hogan, sagte am Montag, er habe den Ausnahmezustand für Baltimore ausgerufen, um den Einsatz der Nationalgarde zu ermöglichen. Es seien mindestens 15 Polizisten verletzt worden. »Die heutigen Plünderungen und Gewalttaten in Baltimore werden nicht toleriert«, erklärte Gouverneur Hogan. 27 Menschen seien festgenommen worden.

Nur Stunden zuvor war der 25-jährige Afroamerikaner Freddie Gray zu Grabe getragen worden. Gray war am 12. April festgenommen worden und wenig später gestorben. Die genauen Umstände sind noch unklar. Auf Videos ist aber zu sehen, wie Polizisten Gray zu Boden drücken, bevor sie den vor Schmerz schreienden jungen Mann zu einem Polizeibus schleifen. Kurz darauf fiel er im Krankenhaus ins Koma.

Die Ereignisse wecken Erinnerungen an die schweren Unruhen im vergangenen Sommer in Ferguson in Missouri. Damals hatte ein weißer Polizist den unbewaffneten schwarzen Teenager Michael Brown erschossen - die Tat wurde zum Fanal. Immer wieder erschüttern seitdem Berichte über Polizeibrutalität gegen Schwarze das Land.

Viele Afroamerikaner sehen Gray als das jüngste Opfer in einer Serie von Fällen tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze. Die Behörden leiteten eine Untersuchung ein, sechs Polizisten wurden suspendiert. Zu der Trauerfeier für Gray versammelten sich rund 3.000 Menschen in einer Kirche im ärmlichen Viertel Sandtown. An die Kirchenwand wurden die Worte »Das Leben von Schwarzen zählt und alle Leben zählen« projiziert. »Wir sind hier wegen Freddie Gray, aber wir sind auch hier, weil es viele Freddie Grays gibt«, sagte der Anwalt der Familie, William Murphy, bei der Zeremonie.

Pastor Jamal Bryant, der die Grabrede hielt, hob hervor, dass Grays Familie sich gegen Proteste am Tag der Beerdigung ausgesprochen habe. »Ich rufe jeden jungen Menschen auf, nach Hause zu gehen«, sagte Bryant vor Journalisten. Der afroamerikanische Bürgerrechtsaktivist Jesse Jackson beklagte auf einer Pressekonferenz vor der Trauerfeier eine »Epidemie der Morde« in den USA. »Armut ist eine Massenvernichtungswaffe«, warnte Jackson.

US-Präsident Barack Obama ließ sich von Baltimores Bürgermeisterin und seiner neuen Justizministerin Loretta Lynch über die Lage in der Stadt auf dem Laufenden halten, wie das Weiße Haus mitteilte. Im Sommer waren in der US-Kleinstadt Ferguson wochenlange Unruhen ausgebrochen, nachdem dort ein weißer Polizist den unbewaffneten schwarzen Jugendlichen Michael Brown erschossen hatte.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 28. April 2015


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