Mit Bush kommen die Raketenabwehr und ein neues Wettrüsten
Wissenschaftler warnen und fordern: Vorrang für die Politik!
In einem Memorandum der Vereinigung Deutscher
Wissenschaftler (VDW) warnen führende Vertreter der deutschen
Friedensforschung vor den Raketenabwehrplänen der USA. Wir
dokumentieren wesentliche Auszüge aus dem Memorandum, das Mitte November 2000 erschienen ist.
Diplomatie Zuerst!
1. Unser Anliegen - unser Vorschlag im Überblick
Der neue Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird sich höchst-
wahrscheinlich bald für den Aufbau eines landesweiten Raketenabwehrsystems
(National Missile Defense, NMD) entscheiden. Wir sind besorgt, dass ein solcher
Beschluss zu einer neuen Runde des Wettrüstens führt - und damit weltweit nicht
mehr Sicherheit, sondern mehr Unsicherheit schafft. (…) Wir sehen die Gefahr,
dass politische Maßnahmen gegenüber militärischen Mitteln mehr und mehr ins
Hintertreffen geraten und nicht ausgelotet werden, wenn es darum geht, die
Proliferation (Verbreitung) von Massenvernichtungswaffen (Trägersysteme
insbesondere mit atomaren, biologischen und chemischen Sprengköpfen) wirksam
zu bekämpfen. (…) Vor diesem Hintergrund zielt unser Diplomatie
Zuerst!-Vorschlag darauf ab, der Politik als Mittel zur Lösung insbesondere des
Proliferationsproblems wieder zu ihrem Recht zu verhelfen und ihr den Vorrang
einzuräumen. (…)
Erstens fordern wir vor allem die Bundesregierung auf, ihre diplomatischen
Anstrengungen gegenüber Washington zu intensivieren. Das Hauptziel gegenüber
der neuen US-Administration und dem neuen Kongress muss es sein, ein
Nationales Raketenabwehrsystem wegen der absehbaren negativen Folgen zu
verhindern.
Der nach wie vor wichtige Raketenabwehr-Vertrag von 1972 (Anti-Ballistic Missile
Treaty, ABM) muss in seiner jetzigen Substanz erhalten bleiben. Wir befürchten,
dass die Schwächung oder gar die einseitige Aufkündigung des ABM-Abkommens
durch die Vereinigten Staaten das gesamte Rüstungskontrollgebäude der letzten
Jahrzehnte zum Einsturz bringt, insbesondere den Nuklearen
Nichtverbreitungsvertrag. Der Prozess der nuklearen Abrüstung wäre nachhaltig
gestört und würde möglicherweise zum Erliegen kommen. (…)
Zweitens drängen wir im Rahmen der Diplomatie Zuerst!-Initiative darauf, durch den
Ausbau eines internationalen Frühwarn- und Kontrollsystems für ballistische
Raketen und Weltraumwaffen eine präventiv angelegte Rüstungskontrolle zu
betreiben. Zu denken ist hier zum einen an Maßnahmen der Vertrauensbildung und
Risikominderung wie z. B. die rechtzeitige Meldung von Raketenstarts oder die
getrennte Lagerung von Sprengköpfen und Raketen. (…)
Drittens fordern wir deshalb die Bundesregierung und den Bundestag auf, auf
diesem langen Weg zusammen mit den europäischen Partnern eine Diplomatie
Zuerst!-Initiative gegenüber einzelnen Problemstaaten zu starten. Länder wie Iran,
Irak, Syrien und Libyen liegen in einer graduell nach Süden zu erweiternden
"Sphäre europäischer Verantwortung". Eine solche Initiative dürfte insbesondere
gegenüber Iran gute Chancen haben, zu wirksamen Ergebnissen zu gelangen. (…)
2. Lagebericht: stagnierende Abrüstung, bedrohliche Aufrüstung
Zum vielfach erhofften Aufschwung bei der Abrüstung ist es nach dem Ende des
Ost-West-Konflikts nicht gekommen. Die weltweite Verminderung der
Rüstungspotenziale hat sich in einigen Bereichen deutlich verlangsamt, in anderen
ist sie gar zum Stillstand gekommen. So hat der amerikanische Senat den
Umfassenden Teststopp-Vertrag (CTBT) nicht ratifiziert, auch die Umsetzung der
Chemiewaffen-Konvention kommt nur schleppend voran. (…) Die russische Duma
hat zwar den START II-Vertrag verabschiedet, seine Umsetzung jedoch an Erhalt
und Einhaltung des Raketenabwehr-Vertrages seitens der Vereinigten Staaten gekoppelt. (…)
Zur vielfach paralysierten Abrüstung kommt der deutliche Gegentrend zur
Aufrüstung im Kontext der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln hinzu.
(…) Dazu gehören auch die amerikanischen Pläne, ein landesweites
Raketenabwehrsystem (NMD) aufzustellen. Dies bedeutet das Ende des
ABM-Vertrages in seiner bisherigen Substanz und Form. Denn sein zentrales
Anliegen ist es, die Stationierung eines solchen Systems und die Vorbereitungen
hierfür zu verbieten. (…) Um ihre Aufrüstungspläne zu verwirklichen, hat die
Clinton-Administration in den Gesprächen mit Moskau angestrebt, die
Vertragsinhalte gravierend zu verändern. (…)
Die Zukunft des ABM-Vertrages ist nicht nur eine Sache der beiden
Vertragsparteien. Seine Aufweichung oder gar sein Bruch werden weltweite Folgen
haben, denen sich auch Europa nicht verschließen kann. (…) Russland und China
haben mit dem Ende des feinmaschigen Netzwerks von
Rüstungskontrollabkommen und mit der Aufrüstung bei ihren Kernwaffenarsenalen
gedroht.
Das NMD-Programm, das für die Vereinigten Staaten Sicherheit stiften soll, hat
globale Auswirkungen und führte zu einer Belastung der transatlantischen
Beziehungen, da die meisten europäischen Staaten das amerikanische Vorhaben
weitgehend ablehnen. Nicht nur die absehbaren negativen weltweiten Folgen
betreffen die Europäer gravierend. Zumindest Großbritannien und Dänemark werden
direkt durch die Pläne für die Umrüstung zweier NMD-Radarstationen in
Fylingdales und Thule (Grönland) in das amerikanische Militärprogramm involviert
sein. Die meisten europäischen Regierungen fürchten zu Recht, dass die
Sicherheit auch auf dem Alten Kontinent stark beeinträchtigt wird. (…)
3. Nationale Raketenabwehrsysteme: wenig wirksam und doch gefährlich
Wie immer das mehr oder minder stark veränderte NMD-Design der neuen
Administration und ihr Zeitplan für Weiterentwicklung und Stationierung aussehen
werden: (…) Im Falle eines umfassenderen und anspruchsvolleren Systems, das
stärker als bisher Weltraumkomponenten einschließt, dürften die technischen
Schwierigkeiten noch wachsen. In den USA sind bislang bereits deutlich mehr als
100 Milliarden Dollar für Raketenabwehr ausgegeben worden, seit den SDI-Plänen
des Jahres 1983 rund 70 Milliarden. Bis heute wurde kein funktionsfähiges System
stationiert. (…) Von den 16 ab 1982 im Weltraum durchgeführten Abfangversuchen
waren nur zwei erfolgreich - und das, obwohl sie unter extrem günstigen
Versuchsbedingungen stattfanden, die mit der Realität eines möglichen
tatsächlichen Raketenangriffs kaum etwas zu tun haben.
Insbesondere das fehlende Vertrauen in die Wirksamkeit der NMD-Technologie
veranlasste den Präsidenten, seinen Stationierungsbeschluss zu verschieben. (…)
Unabhängig davon, wie erfolgreich die unter der neuen Regierung in Washington
durchgeführten Versuche sein werden, wird jedes NMD-System mit gravierenden
Herausforderungen von anderen Staaten konfrontiert sein. Eine im April 2000 von
amerikanischen Wissenschaftlern veröffentlichte Studie zeigt u. a. drei
verhältnismäßig einfache Gegenmaßnahmen auf, mit denen sich ein
Abwehrsystem "überlisten" und "täuschen" lässt. Dies ist deshalb möglich, weil
das Grundproblem, echte feindliche Sprengköpfe von bloßen Attrappen zu
unterscheiden, nach wie vor völlig ungelöst ist. (…)
China mit seinem begrenzten strategischen Nukleararsenal von ca. 20
Interkontinentalraketen wird wahrscheinlich die US-Raketenabwehrsysteme zum
Anlass nehmen, um sein Atomarsenal auszubauen. Denn, so das Kalkül in
Beijing, selbst ein begrenztes Abwehrsystem der USA wird die eigenen
Nuklearwaffen entwerten. Dies würde aller Wahrscheinlichkeit nach einen weiteren
nuklearen Rüstungswettlauf in Südostasien provozieren. Eine Kettenreaktion von
China über Indien und Pakistan, die bis zu Taiwan und Japan reichen könnte, ist zu
befürchten. (…)
4. Wesentlich: der Erhalt des ABM-Vertrages
Wird das NMD-Vorhaben verwirklicht, muss der ABM-Vertrag aufgekündigt oder
beträchtlich verändert werden. Er ist seit fast drei Jahrzehnten in Kraft und begrenzt
die gegenwärtig erlaubte Raketenabwehr drastisch. (…) Der ABM-Vertrag ist auch
unter den veränderten internationalen Rahmenbedingungen ein wesentlicher
Baustein im komplizierten Geflecht internationaler Abmachungen zur Abrüstung,
Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung nuklearer Waffen. Er ist daher
weiterhin von substanzieller und politisch-symbolischer Bedeutung.
Obwohl der Ost-West-Konflikt beendet ist, besteht das nukleare
Abschreckungssystem weiter, und zwar nicht nur im US-russischen Verhältnis,
sondern auch im Hinblick auf China. (…) Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Im
Gegensatz zu den Gegnern des ABM-Vertrages schließen wir nicht aus, dass
Moskau als Reaktion auf ein amerikanisches NMD-System finanzierbare
Aufrüstungsmaßnahmen trifft. Das Argument, Russland sei hierzu wegen seiner
bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht in der Lage, greift nicht. Denn die
Wiedereinführung von Mehrfachsprengköpfen (MIRVs) ist nicht nur finanziell
erschwinglich. Vielmehr ist sie stabilitätspolitisch äußerst problematisch. Sie
bedeutet ferner das Ende des START II-Vertrages. Damit wird das in ihm
enthaltene MIRV-Verbot für landgestützte Raketen - ein Meilenstein in der
Geschichte der Rüstungskontrolle - ausgehebelt.
Fällt der ABM-Vertrag, erhöht sich das Risiko, dass auch andere Abkommen
entwertet werden, die die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einhegen
wollen. Angesprochen ist hier insbesondere der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag.
Die zunehmende Militarisierung der Nonproliferationspolitik der USA signalisiert
eine sich verstärkende Abkehr von internationalen Normen. Von besonderer Bedeutung (wenn auch in der Diskussion
weitgehend ignoriert) ist in diesem Zusammenhang der Ausbau des Nationalen
Abwehrsystems mit dem Ziel, Abfangwaffen im Weltraum zu stationieren. (…) Dies bedeutet ein Wettrüsten auch im
Weltraum. (…)
Zudem könnten weitere Staaten versucht sein - gewissermaßen noch rechtzeitig -
in eigene Nuklearpotenziale zu investieren, denn die beste Rückversicherung gegen
den Aufbau eines zunächst begrenzten - oder gar nicht - wirksamen
Raketenabwehrsystems der USA ist in der Denkweise nuklearer Abschreckung der
Aufbau bzw. Ausbau eigener Nukleararsenale. Neue regionale Rüstungswettläufe können entstehen. Das Nichtverbreitungsregime insgesamt würde in Gefahr geraten. (…)
5. Das vernachlässigte Problem: Aufrüstung durch regionale Abwehrsysteme
Es wird in der gegenwärtigen Diskussion nicht ausreichend gesehen, dass es sich
beim kontroversen National Missile Defense System nur um eine Variante der
Raketenabwehr - und damit um eine Form der Aufrüstung - handelt. Erst ab der
Jahreswende 1998/99 betonte die Clinton-Administration den Aufbau eines
Nationalen Abwehrsystems. Sie tat dies auf Grund des Drucks von Seiten der
Republikaner im Kongress. Er war nach dem Test der nordkoreanischen Rakete
am 31. August 1998 beträchtlich angewachsen. Bis dahin hatte der Schwerpunkt
der Clinton-Administration auf der zweiten Variante, den regional aufzustellenden
Abwehrsystemen (Theater Missile Defense, TMD) gelegen. Sie sind gegen Mittel- und Kurzstreckenraketen ausgelegt. Beide Varianten können nicht isoliert
voneinander gesehen werden. Auch mit diesen regionalen Abfangraketen sind
perspektivisch beträchtliche rüstungskontrollpolitische Probleme verbunden. Sie
betreffen einerseits den ABM-Vertrag (und damit das amerikanisch-russische
Verhältnis). Andererseits - und diese Gefahr ist einer der blinden Flecken der
Debatte - können sie regionale Rüstungswettläufe anheizen, die Europa (und damit
die Bundesrepublik) unmittelbar angehen.
Regionale Abfangsysteme (TMD), von denen die Vereinigten Staaten derzeit
mehrere entwickeln, verletzen den ABM-Vertrag "im Prinzip" nicht. Denn das
Abkommen von 1972 verbietet nur Abwehrwaffen, die sich gegen strategische
Trägersysteme mit einer großen Reichweite richten. Allerdings besteht das Manko
des Vertrages darin, dass er nicht definiert, was unter "strategisch" zu verstehen
ist. In Jahre langen Verhandlungen einigten sich Moskau und Washington im
September 1997 auf eine Definition, die die Grauzone teilweise schließt. (…)
Insgesamt ist es uns wichtig, festzustellen: (…) Die Aufstellung von taktischen
Abwehrwaffen etwa in Asien, im Nahen Osten, Persischen Golf oder in Europa
bedeutet ein weiteres Drehen an diesen regionalen Rüstungsspiralen. (…)
6. Notwendig und erfolgversprechend: eine europäische Diplomatie Zuerst!-Initiative
Erste Dimension: Vorschläge zur Rüstungsbeschränkung und -verminderung:
Die Europäer sollten die Vereinigten Staaten auf den Erhalt des ABM-Vertrages
drängen und auch der neuen US-Administration klar machen, wie wichtig es ist, die
europäischen Sicherheitsbelange und die Sorgen Moskaus ernst zu nehmen. Dies
heißt auf das NMD-Projekt zu verzichten oder ein System zu entwickeln, das mit
dem ABM-Vertrag in seiner jetzigen Form vereinbar ist. Ebenso sollte die
Weiterentwicklung luft- und weltraumgestützter Lasersysteme unterbunden werden,
um nicht einer weiteren Militarisierung des Weltraums Vorschub zu leisten.
Als Basis für entsprechende deutsche und europäische Initiativen bietet sich die
1999 in der Generalversammlung der Vereinten Nationen nahezu einstimmig
angenommene Resolution "Verhütung eines Wettrüstens im Weltraum" an.
... Ein Gesamtkonzept
vorbeugender Rüstungskontrolle, das die technologische Dynamik in den Blick
nimmt und in die Rüstungskontrollbemühungen integriert, erscheint notwendig. Der
ABM-Vertrag stellt einen Baustein dieses geforderten neuen Konzepts dar. (…)
Zweite Dimension: Vorschläge zum Ausbau eines internationalen Frühwarn- und
Kontrollsystems für ballistische Raketen und Weltraumwaffen:
Die Europäer - und damit die Berliner Regierung - sollten bei der Moskauer Führung
nicht nur auf eindeutige Abrüstungsmaßnahmen drängen. Darüber hinaus sollten
sie - wie auch gegenüber Beijing - entsprechende aktive Schritte für eine
entschiedene und konstruktive Nichtverbreitungspolitik einklagen. (…)
Zur erforderlichen gemeinsamen Strategie zur internationalen Eindämmung der
Raketenproliferation und zur Vertrauensbildung gehören aus unserer Sicht
Maßnahmen zur Erhöhung der Krisenstabilität; gemeinsame Frühwarnsysteme für
versehentliche Raketenstarts; die Vorabmeldung von Satellitenstarts und
Startanlagen sowie die getrennte Lagerung von Sprengköpfen und Raketen. Hieran
sollten sich weitergehende Maßnahmen anschließen - etwa eine Beschränkung
oder gar ein Teststopp bestimmter Raketentypen, oder ein Aufstellungsstopp für
neue ballistische Flugkörper. (…)
Dritte Dimension: Vorschläge zur Einrichtung eines beständigen Dialogforums mit
Problemstaaten:
Um in Washington, Moskau und Beijing ernst genommen zu werden, muss sich
Europa durch einen eigenständigen, sichtbaren und politisch erfolgversprechenden
Beitrag zur Bekämpfung der Weiterverbreitung von Trägersystemen und
Sprengköpfen als glaubwürdiger Akteur positionieren. Hier sind die diplomatischen
Initiativen Europas gegenüber denjenigen Ländern angesprochen, die in Nordafrika,
im Nahen Osten und in der Persischen Golfregion eine Bedrohung darstellen
können. Gefragt sind hier langfristige Konzepte im Rahmen einer Diplomatie
Zuerst!-Initiative. Sie kann gleichermaßen dazu dienen, das Fernziel internationale
Abrüstung fokussiert und kleinschrittig anzugehen.
Wir fordern die Bundesregierung und die zuständigen Ausschüsse im Bundestag
auf, hier mit einer vorbeugenden Politik aktiv zu werden. Die derzeitigen
europäischen Rahmenbedingungen sind für die Entwicklung und die Umsetzung
eines solchen Konzepts günstig. Denn mit ihrer Kritik an den amerikanischen
NMD-Plänen und mit ihrer geäußerten Besorgnis über weitere globale und
regionale Rüstungsschübe gibt es einen großen gemeinsamen Nenner unter den
europäischen Regierungen. ...
...
Die europäische Initiative müsste - und könnte - entsprechend zielgerichtet
ausgelegt werden.
Ihr konzeptioneller Kern ist, dass sie auf einen institutionalisierten Dialog mit
diesen Staaten (den oben genannten "Problemstaaten", Anm. Pst) setzt. Deshalb ist es erforderlich, im EU-Rahmen ein hierfür
zuständiges Forum einzurichten. (…) Die folgenden Ergebnisse des Dialogforums
sind denkbar:
- In den Problemstaaten könnte die Motivation für einen Verzicht auf
relevante Entwicklungen im Bereich von Massenvernichtungswaffen durch attraktive
Kooperationsangebote erhöht werden.
-
Anstreben ließen sich im Sinne eines Tauschhandels nachprüfbar begrenzte
Reichweiten der Raketen gegen Wirtschaftshilfe oder einen Ausbau der
Handelsbeziehungen.
-
Ein Angebot zur Partizipation an zivilen europäischen Programmen zur
Weltraumnutzung könnte den Verzicht auf eigene Anstrengungen zur
eigenständigen Entwicklung von Trägersystemen erleichtern, die sich auch
militärisch nutzen ließen.
-
Das Angebot zur Kooperation im Bereich regenerativer Energietechnologien
könnte mit dem Verzicht auf den Zugriff auf sensitive Nukleartechnologien, die für
Atomwaffenprogramme wesentlich sind, gekoppelt werden. (…)
7. Zukunftsweisend: ein europäisches Engagement für die Umsetzung der Diplomatie
Zuerst!-Initiative
Wir, die Unterzeichner, sind der Auffassung, dass eine am Primat der Politik
ausgerichtete Initiative konzeptionelle Vorteile gegenüber dem Ansatz der USA hat,
die mehr und mehr auf technische Lösungen und Waffen setzen, um das Problem
der Weiterverbreitung von Massenvernichtungsmitteln in den Griff zu bekommen.
Unsere Vorschläge
-
setzen auf nicht-militärische Kooperation und Einbindung - und nicht auf
Unilateralismus und Ausgrenzung;
-
entwerten gerade nicht die durch die Raketenabwehrpolitik der USA bedrohten,
mühsam geschaffenen und über Jahrzehnte am Leben erhaltenen bilateralen
(ABM-Vertrag) sowie internationalen Abkommen (Nuklearer
Nichtverbreitungsvertrag, Raketentechnologie-Kontrollregime);
-
erweitern die Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle durch
zusätzliche Initiativen zur präventiven Begrenzung gefährlicher Rüstungstrends auf
der Erde und im Weltraum, anstatt Aufrüstung zu forcieren;
-
sind insofern selbstbewusst, als sie andere Gewichte als die USA setzen. Und
doch sind sie gleichzeitig in hohem Maße bündnisverträglich. Denn die
diplomatischen Schritte, die wir am Beispiel Iran vorschlagen, führen die
Vereinigten Staaten gegenüber Nordkorea bereits mit Erfolg durch (aber eben auf
diesen Einzelfall beschränkt und nicht systematisch und auf breiter Basis). (…)
Mit seinem Fokus auf den Erhalt existierender Rüstungskontrollabkommen und
dem notwendigen Ausbau vor allem präventiv angelegter Maßnahmen übernimmt
Europa deutliche Verantwortung in einem Bereich, den die Vereinigten Staaten in
den letzten Jahren vernachlässigt haben. Europa wird dabei nicht zum politischen
Lückenbüßer, sondern zum konzeptionellen Mitgestalter. ...
Wir fordern die Bundesregierung und den Bundestag auf, die derzeitigen günstigen
Umstände entsprechend zu nutzen. (…) Die Forderung nach gemeinsamen großen
Projekten steht auf der europäischen Agenda, inhaltlich ist sie aber bisher
weitgehend leer geblieben. Eine gemeinsame Diplomatie Zuerst!-Initiative könnte
der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Façon und Schwung
verleihen. Sie würde Europa als eigenständigem und doch kooperationsbereitem
Akteur Profil geben, drohende Rüstungswettläufe konstruktiv anzugehen und zu
vermeiden.
Unterzeichner:
-
Prof. Dr. Ulrich Albrecht, FU Berlin, Vorsitzender der Arbeitsgem. Friedens- und
Konfliktforschung (AFK).
-
Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, Vorsitzender des Beirats der Vereinigung Deutscher
Wissenschaftler (VDW).
-
Prof. Dr. Horst Fischer, Ruhr-Universität Bochum.
-
Dr. Bernd W. Kubbig, Projektleiter in der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK).
-
Dr. Wolfgang Liebert, Sprecher der Interdisziplinären Arbeitsgruppe
Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit (IANUS) der Technischen Universität
Darmstadt.
-
Prof. Dr. Dr. Dieter S. Lutz, Direktor des Instituts für Friedens- und
Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).
-
Prof. Dr. Harald Müller, Geschäftsführendes Mitglied des Vorstandes der
Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Frankfurt.
-
Dr. Götz Neuneck, Vorsitzender des Forschungsverbundes Naturwissenschaft,
Abrüstung und internationale Sicherheit (FONAS), Hamburg.
-
Dr. Ulrich Ratsch, Stellvertreter des Leiters der Forschungsstätte der
Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg.
-
Dr. Jürgen Scheffran, IANUS Darmstadt.
-
Dr. Herbert Wulf, Direktor des Bonn International Conversion Center (BICC).
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