Wisconsin wehrt sich
Massive Proteste von Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im US-Bundesstaat gegen Sozialabbau und gewerkschaftsfeindliches Gesetzesvorhaben des Gouverneurs
Von Rainer Rupp *
Gemeinsam können wir verhandeln, getrennt nur noch betteln.« So und ähnlich lauten die Botschaften auf Plakaten, die von Tausenden Demonstranten getragen wurden – ein Bild, das seit der vergangenen Woche fast alltäglich war im US-Bundesstaat Wisconsin. Die Proteste galten dem neuen, aus den letzten Wahlen im Herbst hervorgegangenen republikanischen Gouverneur Scott Walker. Der will sich auf Kosten der Arbeiter und Angestellten des öffentlichen Dienstes als Sanierer des Staatshaushalts politisch profilieren. Mit seinen im Senat von Wisconsin dominierenden Republikanern will Walker per Gesetz das vor fast einem Jahrhundert von der Arbeiterbewegung erkämpfte Recht abschaffen, wonach die Gewerkschaft der öffentlichen Angestellten kollektiv die Tarifverhandlungen mit dem staatlichen Arbeitgeber führen darf. Zugleich sollen den Staatsbeschäftigten mit diesem Gesetz höhere Beiträge für die Altersversorgung und die Krankenkassen aufgezwungen werden. Lohneinbußen von rund sieben Prozent wären die Folge. Polizei und Feuerwehr sind ausgenommen, denn deren Mitarbeiter will sich Gouverneur Walker bewußt nicht zu Feinden machen.
Der Bundesstaat an der kanadischen Grenze galt bisher als eine Wiege der Arbeiterrechte und des sozialen Fortschrittes in den Vereinigten Staaten. Daher hatten sich in den vergangenen Jahren bereits unter dem demokratischen Gouverneur Jim Doyle die Versuche des US-Kapitals und der von ihm bezahlten Politikerkaste auf Wisconsin konzentriert, um dort die progressiven Elemente aus den Arbeitsgesetzen zu eliminieren. Das widerspiegelt auch die aktuelle Auseinandersetzung. Gegenüber den 175000 staatlichen Angestellten des Staates und deren Gewerkschaften zeigt sich Gouverneur Walker absolut unnachgiebig.
Hintergrund ist die wachsende Gefahr eines Staatsbankrotts. Von dem ist nicht nur das knapp sechs Millionen Einwohner zählende Wisconsin bedroht, sondern 44 der insgesamt 50 Bundesstaaten der USA. Der Ausgang der Auseinandersetzungen in Madison, Milwaukee und anderen Städten Wisconsins wird daher landesweite Signalwirkung haben, mit langfristigen Folgen für die gesamte Arbeiterschaft, sowohl im schlechten wie im guten.
Seit der vergangenen Woche sind die Proteste täglich stärker geworden. Waren es am Dienstag (15. Feb.) in der Landeshauptstadt Madison 10000 Demonstranten, die auf die Straße gingen, demonstrierten am Mittwoch und Donnerstag (16., 17. Feb.) bereits 25000 bzw. 30000 Menschen. Mit Sprechchören und Plakaten waren sie auch vor dem Capitol in der Hauptstadt Madison aufgezogen, etliche von ihnen übernachteten sogar im Inneren des Gebäudes. Von einigen Demonstranten wurden ägyptische Fahnen mitgeführt. Es war eine Reaktion auf Walkers Drohung, die Nationalgarde gegen die Proteste einzusetzen. Inzwischen wird der Gouverneur als »Mubarak von Wisconsin« verspottet. Zugleich hat ihm das selbst bei seinen Unterstützern viele Sympathien gekostet.
Als Walker am vergangenen Donnerstag (17. Feb.) das neue Gesetz im Senat des Landes beschließen lassen wollte, hatten jedoch einige Überraschungen auf ihn gewartet. Zwar tauchten rund 200 Demonstranten im Senatsgebäude auf, von den 33 Senatoren waren allerdings nur 19 erschienen. Alles Republikaner. Die 14 Mandatsträger der Demokratischen Partei glänzten durch Abwesenheit. Für den Gouverneur war das ein großer Reinfall. Erst mit 20 Senatoren ist das höchste gesetzgebende Gremium des Staates beschlußfähig. Als Walker schließlich seine Polizei beauftragte, die demokratischen Senatoren zu suchen, wurde bekannt, daß diese sich für die Polizei von Wisconsin unerreichbar über die Landesgrenze in den Bundesstaat Illinois abgesetzt hatten. Über die Presse ließen sie Walker wissen, sie würden erst zurückkehren, wenn sein Gesetzentwurf vom Tisch sei.
Zum vorläufigen Höhepunkt der Kampfaktionen mußten am Freitag (18. Feb.) zahlreiche Schulen geschlossen werden, weil ein Großteil der Lehrer sich den Protesten angeschlossen hatte. Schüler und Studenten erklärten sich mit deren Forderungen solidarisch, es gingen Grußadressen aus dem ganzen Land bei den Demonstranten ein. Schließlich mischte sich auch noch US-Präsident Barack Obama ein und beschuldigte Walker, einen »Anschlag gegen die Gewerkschaften« zu verüben. Dennoch blieb der republikanische Gouverneur hart und verweigerte jegliches Gespräch mit den Protestierenden.
Trotz der landesweiten Unterstützung und der empfangenen Solidarität zeigten sich die Gewerkschaften am Freitag kompromißbereit. Sie unterbreiteten den Vorschlag, angesichts der prekären Haushaltslage des Bundesstaates die Beitragserhöhungen für die Renten- und Krankenkassen zu akzeptieren. Das Recht, für ihre Mitglieder kollektiv die Tarifverhandlungen zu führen, wollen sie jedoch auf keinen Fall abgeben. Der Gouverneur ging auf den Vorschlag jedoch nicht ein; der Konflikt wird also weitergehen.
Der Funke aus Wisconsin könnte allerdings auf weitere Bundesstaaten überspringen. Angesichts der landesweiten Wut der einfachen US-Bürger wegen sinkender Löhne und höherer Abgaben und Kosten gibt es inzwischen auch im benachbarten Staat Ohio Demonstrationen gegen die auch dort vorgesehenen »Einsparungen«. Die Angst vor Ansteckung dürfte auch der Grund dafür sein, daß deutsche Mainstreammedien die Ereignisse in Wisconsin komplett ausgeblendet haben. Dabei ist es laut US-Kommentatoren »die größte Protestbewegung der Arbeiter und Angestellten in den USA seit Jahrzehnten«.
* Aus: junge Welt, 24. Februar 2011
Assault on Unions Is Attack on Civil Rights
By Jesse Jackson **
It looks like "Cairo has moved to Madison," said
conservative Republican Rep. Paul Ryan, as 50,000 citizens
took over the state's Capitol building. He got the spirit
right, but the location wrong. In Madison, folks wearing
Packers jerseys stand together with folks wearing Bears
colors. Madison is this generation's Selma, the epicenter
for the modern battle for basic human rights.
In 1965, the drive for basic voting rights was stalled in
the U.S. Senate. President Johnson pushed Martin Luther
King to stop demonstrating. Instead, Dr. King went to
Selma. Selma was not a big city, but it held a mirror to
the nation. There, on Bloody Sunday, peaceful
demonstrators were met with dogs, clubs and hoses, and
touched the conscience of a nation. Two days later,
Johnson, invoking the famous words, "We shall overcome,"
introduced the Voting Rights Act. Five months later it was
signed into law.
Today, the assault on basic rights is accelerating. The
economic collapse caused by the gambols of Wall Street
destabilizes public budgets at every level, as tax
receipts plummet and expenses caused by unemployment rise.
Yet Wall Street gets bailed out, and working and poor
people are squeezed to pay to clean up their mess.
In states across the country, conservatives have used this
occasion to assail public workers and their unions. They
demand not only rollback of pay and benefits, but push
laws to cripple - if not ban - public employee unions,
destroying the right of workers to organize and bargain
collectively.
Gov. Scott Walker of Wisconsin, a self-described "Tea
Party governor," leads the most egregious of these
efforts. Upon election, he signed into law millions in tax
breaks for business. Then, pointing to the budget crisis,
he demanded not only harsh concessions from public workers
- dramatic hikes in what they pay for pensions and health
care - but crippling limits on their right to negotiate,
limits on any pay increases and an annual vote to see if
the union survives. As if to flaunt his power grab, he
exempted the unions - police and firefighters - that
endorsed him in the election.
The right to organize, to bargain collectively and to
strike are basic human rights enshrined in international
law. To this day, the U.S. champions independent free
trade unions across the world - even as Walker and his ilk
seek to crush them at home. With the U.S. suffering more
extreme inequality than Egypt, and the Supreme Court's
decision in Citizens United giving corporations and
billionaires a free pass to distort our elections, unions
are virtually the only counter that workers have. That's
why the right has targeted unions; that is why every
citizen has a stake in their survival.
In Wisconsin, the public employees accepted the harsh
concessions demanded by the governor, but rejected the
attack on their basic rights. Teachers, nurses and other
public workers stood up. Democratic state legislators left
the state, blocking the effort to ram the legislation
through. Students, ministers and progressives rallied to
their side. The demonstrations are now entering their
second week. Across the country, just as in the civil
rights movement, people of conscience are holding vigils
and protests in support. This is a Martin Luther King
moment.
The effort by the governor and his right-wing allies to
divide private sector workers from public sector workers
is an old trick. In the South, race was used to divide.
The tricks perfected in the South - right-to-work laws,
barriers to unions - are now coming north.
Madison, like Selma, is not a major city. It isn't Chicago
or New York or Los Angeles. And it isn't Cairo. It is the
epicenter of the battle for America's democracy, and it is
as American as Lexington, Concord, Gettysburg, Montgomery
and Selma.
** Source: Reader Supported News, 23 February 11 (RSN Special Coverage: GOP's War on American Labor); www.readersupportednews.org
Madison Area AFL CIO Votes to Prepare For General Strike
By Mike Elk ***
This evening in a press release from IBEW Local 2304 President Dave Pokilinski, I received word that the 45,000 member Southern Central Federation of Labor, the local chapter of the AFL-CIO for the Madison and Southern Central Wisconsin area, has voted to make preparations for a general strike.
The press release reads as follows:
Around 10:50PM Wisconsin Time on February 21st the South Central Federation of Labor endorsed the following motions:
Motion 1: The SCFL endorses a general strike, possibly for the day Walker signs his “budget repair bill,” and requests the Education Committee immediately begin educating affiliates and members on the organization and function of a general strike.
Motion 2: The SCFL goes on record as opposing all provisions contained in Walker’s “budget repair bill,” including but not limited to, curtailed bargaining rights and reduced wages, benefits, pensions, funding for public education, changes to medical assistance programs, and politicization of state government agencies.
It’s important to note that this is just a threat and not actually going out on a general strike. Under the Taft-Hartley Act a general strike in support of other workers is illegal; therefore the key word is the phrase “begin educating affiliates and members on the organization and function of a general strike”. In addition, only individual unions, not the central labor federation has the ability to call a strike.
Many private sector unions would not go out on a general strike out of fear of being of sued by their employers. However, local labor observers say many public sector unions and some of the construction unions would go out on a strike. Threatening a general strike creates even more pressure for Scott Walker in the business community. The business community in Wisconsin already appears to bucking under the intense pressure of the mass labor mobilization as I noted here last week.
*** Source: Greater Southeastern Massachusetts Labor Council, 21 Fenbruary 2011; www.gsmlaborcouncil.org
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