Amerikanische Träume
Washington preist Zustand der eigenen Wirtschaft und verweist auf Probleme der Euro-Zone. Dabei hat sich in den USA gerade ein neues systemisches Risiko offenbart
Von Rainer Rupp *
Auf zwanghaften Wirtschaftsoptimismus zu Jahresbeginn versteht man sich in den USA bestens – zumal, wenn wie 2012 gewählt wird. Glaubt man den medial verbreiteten Wachstumsprognosen, dann wurden die Vereinigten Staaten von Amerika gerade wieder als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten entdeckt. Schon jetzt haben die Börsenkurse fast wieder das Rekordniveau von Ende 2007 erreicht – dem Jahr, als die Blase platzte und das letzte US-Wirtschaftswunder den Bach runterging. Diesmal jedoch soll alles gut werden, so der anhaltende Tenor in den Finanzmedien. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß laut jüngster Umfragen 49 Prozent der privaten US-Börsenspekulanten auf weiter steigende Kurse setzen und nur noch 17 Prozent der Entwicklung in den USA skeptisch gegenüberstehen.
Europa ist schuld
Dabei sieht man nur noch eine große dunkle Wolke, die den sonst strahlend blauen Konjunkturhimmel bedeckt – die europäische Schuldenkrise. Ständig verweisen Politiker, Bankster und Börsengurus auf die vom alten Kontinent drohenden Unwägbarkeiten. Amerika habe sein Haus in Ordnung gebracht und die Banken, die überlebt haben, seien heute stärker denn je, so das Mantra. Das Gegenteil sei jedoch jenseits des Atlantik der Fall. Europa drohe bei einer immer wahrscheinlicher werdenden Staatspleite eines Mitglieds der Euro-Zone auf Grund der transatlantischen finanzwirtschaftlichen Verflechtungen die USA mit in den Abgrund zu reißen.
Diese Befürchtungen haben in der Tat einen realen Hintergrund. Wie die US-Wirtschaftszeitung Forbes kürzlich unter Verweis auf eine Studie der Universtität Princeton berichtete, sind europäische und US-amerikanische Banken mit gegenseitigen Forderungen im Volumen von zehn Billionen (10000 Milliarden) Dollar meist über Finanzderivate miteinander verfilzt.
Wenn im Zuge eine Euro-Staatsinsolvenz auch nur ein Teil der schon stark angeschlagenen europäischen Banken zahlungsunfähig würde, müßten die ebenfalls wackeligen US-Finanzhäuser etliche Billionen Dollar abschreiben. Das würde zu einer neuen, weitaus stärkeren Krise als der nach dem Zusammenbruch des Investmenthauses Lehman Brothers im Jahr 2008 führen. Dazu schrieb Forbes-Herausgeber und Exinvestmentbanker Robert Lenzner zum Jahreswechsel 2011/2012: »Wir stecken zusammen in dieser verdammten Lage; unsere miesen (US-) Banken halten Tonnen von miesen Hypothekenkrediten und Europas Banken haben Tonnen von miesen Schatzbriefen von Italien, Griechenland, Portugal, Frankreich und Irland. Wir reichen uns die Hände über einem Meer von Billionen Dollar. Dieses Meer ist ein gigantisches Hindernis für das reibungslose Funktionieren der globalen Finanzmärkte.«
Vor solchen Gefahren warnen derzeit insbesondere die Politiker der Obama-Administration. Sie schieben so dreist ihre Verantwortung für die bevorstehenden Rückschläge in den USA auf die chaotischen Rettungsversuche in Europa. Während US-Experten den europäischen Politikern vorwerfen, sie steckten ihren Kopf in den Sand und ignorierten die tatsächliche Größe der Probleme, merken sie überhaupt nicht, daß dies noch mehr auf ihr Land und sie selbst zutrifft. Daran können auch die geschönten Statistiken wie die angeblich sinkende Arbeitslosigkeit, kaum merkliche Inflationsraten trotz Monetarisierung der Staatsschulden durch die Banknotenpresse und angeblich kräftiges Wirtschaftswachstum nichts ändern. Am gefährlichsten werden bekanntlich eigene Lügen, wenn man selbst an sie glaubt.
Alles prima?
Angesichts einiger kurzfristiger positiver Konjunkturdaten sparen die US-Amerikaner wieder weniger, (die Sparquote ist zuletzt auf 3,5 Prozent zurückgegangen), und die Nachfrage hat sich etwas erholt. Die Immobilienpreise und die Verkaufszahlen von Autos liegen aber noch weit unter dem Vorkrisenniveau von 2007. Laut dem für Nordamerika zuständigen Redakteur des Economist haben sich die USA immer noch nicht von den »großen Rezessionen« 2008/2009 erholt. Auch gegen die zunehmende Überschuldung finden die Washingtoner Politiker keinen Lösungsansatz, und daran dürfte sich vorläufig nichts ändern. Denn in diesem Jahr werden Geschenke an die Wähler Vorrang haben.
Schon in wenigen Monaten wird die Obama-Administration erneut an die zuletzt angehobene Verschuldungsobergrenze stoßen. Das dürfte vor den Wahlen im Herbst zur politischen Paralyse Washingtons führen.
Derweil spitzt sich die Verschuldungskrise der US-Bundesstaaten und Kommunen gefährlich zu. Finanzanalystin Meredith Whitney, die 2007 als erste auf die Verwerfungen im US-Immobilienmarkt hingewiesen hatte, beklagt in einer umfassenden Studie, daß z.B. Kalifornien, Illinois und New Jersey nicht besser dran sind als Griechenland, Portugal und Spanien. Überall werden Angestellte entlassen, dringende Reparaturen der Infrastruktur aufgeschoben, Dienstleistungen gekürzt oder ganz eingestellt. In manchen Städten wurden sogar die meisten Polizisten entlassen und die Streifenfahrten komplett gestrichen. Mit wenigen Ausnahmen sind die US-Bundesstaaten und viele ihrer Städte faktisch pleite. Sie stellen laut Whitney ein »neues systemische Risiko für die Finanzmärkte dar«, deren fragiler Zustand lediglich durch die erst kürzlich eingeführten laxen Rechnungslegungsvorschriften versteckt wird.
* Aus: junge Welt, 21. Januar 2012
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