Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Klares Unrecht"

Anwalt von Julian Assange sieht durch Ermittlungen der US-Behörden Meinungsfreiheit verletzt

Von Jürgen Heiser *

Für den spanischen Anwalt und früheren Untersuchungsrichter Baltasar Garzón ist die strafrechtliche Verfolgung der Enthüllungsplattform Wikileaks und ihres Mitbegründers Julian Assange durch die US-Behörden »ein klares Unrecht«. Dies erklärte der Jurist am Montag in einem Exklusivinterview auf »Actualidad RT«, dem spanischsprachigen Programm des Fernsehsenders Russia Today. Seit Jahren strenge die US-Regierung ohne Vorliegen einer konkreten Straftat gegen Assange und andere »Whistleblower« Ermittlungen an. Dieses Vorgehen »gegen einen Journalisten, der nur seinen Job gemacht hat, verletzt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung«, so Garzón. Zumal in den USA, »einem Land, das sich rühmt, jederzeit für die Meinungsfreiheit einzutreten«.

Garzón hatte im Juli 2012 ehrenamtlich die Leitung der Verteidigung des 41jährigen Australiers Assange übernommen, »da in diesem Fall grundlegende Menschenrechte verletzt werden«. Der nicht nachlassende Verfolgungsdruck der US-Behörden und die eventuell drohende Auslieferung an die USA seien die Gründe, warum sich sein Mandant einer Überstellung von Großbritannien an Schweden durch sein Asylersuchen in der Londoner Botschaft Ecuadors entzogen habe. Ecuador habe sich »seiner Verantwortung gestellt, indem es Julian Assange diplomatisches und politisches Asyl gewährte«. Weder Assange noch seine Verteidigung hätten diesen Schritt zu rechtfertigen. »Er hat nur seine Grundrechte wahrgenommen«, als er sich »furchtbarem Unrecht« ausgesetzt sah, so Garzón. Die Verteidigung werde nachweisen, daß es keinen Grund gibt, ihren Mandanten zu verfolgen.

Dazu gehöre auch, daß Assange sich wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe der sexuellen Nötigung einer Befragung der schwedischen Justiz stellen werde. »Aber nur dann«, machte Garzón in Anspielung auf Spionagevorwürfe gegen Assange unmißverständlich klar, »wenn ihm garantiert wird, daß dies nicht zu einem weitaus komplizierteren Fall führt, in dem sein Grundrecht auf Meinungs- und Informationsfreiheit verletzt wird.« Und das gehe lediglich, wenn der schwedische Staatsanwalt ihn in seinem Londoner Asyl befrage. Assange sei also bereit zu kooperieren. Es gebe keinen nachvollziehbaren Grund für die »harsche Haltung« der Behörden, denen zufolge die Befragung nur auf schwedischem Boden stattfinden könne.

Die britische Justiz sei aufgrund der Entscheidung ihres Obersten Gerichtshofes verpflichtet, Assange an Schweden auszuliefern. Sie habe aber auch die Pflicht, sein »höherrangiges« Recht auf politisches Asyl zu schützen, das er unter »dem diplomatischen Schutz der ecuadorianischen Botschaft genießt«. Für die Regierung Ecuadors sei der Fall ein politischer und kein strafrechtlicher. Deshalb sei ausgeschlossen, daß einem Auslieferungsersuchen der USA entsprochen werde. Menschenrechte existierten nicht per se, »sondern dann, wenn sie anerkannt werden« wie jetzt von Ecuador. Deshalb sei sein Mandant nunmehr ein politischer Flüchtling und könne strafrechtlich »nicht wegen Handlungen verfolgt werden, die in erster Linie die Grundlage für die Gewährung des Asyls bilden«.

Im übrigen sei die Frage an die USA zu richten, auf welcher rechtlichen Basis sie heimlich gegen seinen Mandanten ermittelten, spitzte Garzón seine Kritik zu. »Wir wissen ganz sicher, daß ein Verfahren eingeleitet wurde – die US-Regierung hat diese Tatsache bestätigt.« Dort sammle man fleißig Daten zu diesem Fall, die jederzeit zum Anlaß für eine Anklage und einen internationalen Haftbefehl genommen werden könnten. Die Verteidigung habe deshalb nach US-Recht um Bestätigung offizieller Ermittlungen ersucht. Solange Assanges Anwälte keine Einsicht in die Akten erhalten, müsse man fragen, inwieweit die laufenden Ermittlungen überhaupt durch US-Recht gedeckt seien.

Sein Mandant sei kein Spion. Wikileaks habe der Öffentlichkeit lediglich Informationen zugänglich gemacht, die alle angingen und die weder die nationale Sicherheit der USA noch die Sicherheit ihrer Bürger gefährdet hätten. Das alles sei vielmehr »ein Zeichen der inneren Unordnung der Vereinigten Staaten«. Garzón zeigte sich »eher überrascht, daß es bislang keinerlei Untersuchung der offenkundigen Verbrechen gegeben hat, die in den aufgedeckten Dokumenten« – etwa zu den US-Militäreinsätzen in Irak und Afghanistan – erkennbar seien.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. September 2012

Solidarität mit Julian Assange - Forderung nach freier Ausreise ins Exil nach Ecuador

Unterschreiben Sie den Appell der Friedensbewegung!




Zurück zur USA-Seite

Zurück zur Homepage