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Sturz über Watergate

Von Ronald Friedmann *

Eine Scheibe Ananas mit Sahne und ein Glas Milch, das war die letzte Mahlzeit, die US-Präsident Richard Nixon am 9. August 1974 im Weißen Haus einnahm, bevor er in den späten Vormittagsstunden das berühmte Gebäude in der Washingtoner Pennsylvania Avenue endgültig verließ: Am Tag zuvor hatte er in einer Fernsehansprache als erster -- und bisher einziger -- US-Präsident seinen Rücktritt erklärt. Um 11.53 Uhr traf sein Rücktrittsschreiben offiziell im Büro des Secretary of State ein. Um 12.00 Uhr wurde im East Room des Weißen Hauses der neue Präsident vereidigt: der bisherige Vizepräsident und Parteikollege Gerald Ford (der die weitere juristische Verfolgung Nixons verhinderte).

Mit seinem Rücktritt zog Nixon die unvermeidliche Konsequenz aus dem größten bekanntgewordenen politischen Skandal der US-Geschichte, der Watergate-Affäre. Dieser Schritt blieb ihm als einziger noch übrig, um wegen der ihm vorgeworfenen Mitwisserschaft der Watergate-Vorgänge einem drohenden Impeachement, einer Präsidentenabwahl, zu entgehen.

Reichlich zwei Jahre zuvor, im Juni 1972, waren fünf Männer bei dem Versuch festgenommen worden, in das Washingtoner Hauptquartier der Demokratischen Partei im Watergate-Gebäudekomplex in der Nähe des Potomac River einzubrechen. Ihr Auftrag war es gewesen, eine Abhöranlage, die bei einem früheren Einbruch eingebaut worden war, aber nicht funktionierte, auszutauschen. Ziel war die Beschaffung von Materialien zur Erpressung von Nixons Wahlkontrahenten. Die Tatsache, daß einer der fünf Festgenommenen ein früherer Mitarbeiter der CIA war und gute Kontakte zum CREEP, dem Komitee für die Wiederwahl des Präsidenten, hatte, das die Wahlkampagne für Nixon im Herbst 1972 organisieren sollte, ließ sehr schnell den Verdacht auf eine mögliche Verwicklung des Weißen Hauses, vielleicht sogar des Präsidenten selbst, aufkommen.

Nach der Wiederwahl

Es war vor allem zwei Journalisten der renommierten Washington Post zu verdanken, daß Vorgeschichte und Begleitumstände des Watergate-Einbruchs zum öffentlichen Skandal wurden. Die Berichte von Robert Woodward und Carl Bernstein hielten das Thema in der Öffentlichkeit und veranlaßten die zuständigen Bundesbehörden, trotz der massiven Versuche der Einflußnahme aus der Umgebung des Präsidenten, die Ermittlungen mit der notwendigen Konsequenz fortzusetzen.

Mitte Oktober 1972 gelangte das FBI zu der Schlußfolgerung, daß der Watergate-Einbruch lediglich ein untergeordnetes Ereignis in einer »weitangelegten Kampagne von politischer Spionage und Sabotage« im Interesse der Wiederwahl des Präsidenten war, wie es die Washington Post in ihrem Bericht formulierte.

Nur vier Wochen später, am 7. November 1972, wurde Nixon mit einem sensationell guten Ergebnis als US-Präsident wiedergewählt: Die Watergate-Affäre hatte den Wahlkampf also kaum beeinflußt. Trotz des fortdauernden Vietnamkrieges waren es -- für US-amerikanische Verhältnisse durchaus ungewöhnlich -- vor allem außenpolitische Themen gewesen, die über den Ausgang der Wahl entschieden.

Doch spätestens im Januar 1973 wurde die Watergate-Affäre zum zentralen und vorherrschenden Thema in den USA: Während des Prozesses gegen die Watergate-Einbrecher hatte der zuständige Richter mittels Androhung höchster Strafen die Angeklagten zu umfassenden Aussagen veranlaßt, die nun auch Personen aus dem unmittelbaren Umfeld des Präsidenten schwer belasteten. H. R. »Bob« Haldeman, der Stabschef des Weißen Hauses, und John Ehrlichman, Nixons Berater für innere Angelegenheiten, mußten Ende April 1973 ihre Hüte nehmen. Beide landeten später wegen Verschwörung und Behinderung der Justiz im Gefängnis, ebenso wie der vormalige Justizminister John N. Mitchell, der als Vorsitzender des CREEP hatte zurücktreten müssen.

Am 16. Juli 1973 wurde durch den Watergate-Untersuchungsausschuß des Senats bekannt, daß Präsident Nixon alle Gespräche im Weißen Haus hatte aufzeichnen lassen, angeblich als Grundlage für die spätere Erarbeitung seiner Memoiren.

Herausgabe der Tonbänder

In den folgenden zwölf Monaten drehten sich nun die politischen und juristischen Auseinandersetzungen vor allem darum, ob Nixon verpflichtet war, diese Tonbänder für die Aufklärung der Watergate-Affäre herauszugeben oder ob er sich auf ein »Executive privilege« berufen konnte, das ihm im Rahmen der Gewaltenteilung als Chef der Exekutive Schutz vor einem Zugriff der Legislative, in diesem Falle des Untersuchungsausschusses des Senats, gewähren würde. Doch am 24. Juli 1974 entschied das Oberste Gericht einstimmig, daß Nixon zur Herausgabe aller Tonbandaufzeichnungen verpflichtet sei.

Bereits im Frühjahr 1974 hatte das US-Repräsentantenhaus mit der Vorbereitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Nixon begonnen. Im Juli 1974 schließlich wurden drei Anklagepunkte formuliert und vom zuständigen Ausschuß mit großer Mehrheit bestätigt: Amtsmißbrauch, Behinderung der Justiz und illegale Verwendung von Wahlkampfgeldern. Die Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus sprachen klar gegen Nixon, doch dieser klammerte sich noch immer an sein Amt. Als jedoch Anfang August eine Tonbandaufnahme vom 23. Juni 1972, also nur wenige Tage nach dem Watergate-Einbruch, veröffentlicht wurde, waren die Würfel endgültig gefallen: In dem aufgezeichneten Gespräch besprachen Nixon und sein damaliger Stabschef Haldeman, wie die Watergate-Ermittlungen unter Hinweis auf angebliche Erfordernisse der nationalen Sicherheit blockiert werden könnten. Nun verlor Nixon auch den letzten Rückhalt im Senat, der Rücktritt war unvermeidlich.

Ein lange Zeit umstrittener Gnadenakt des neuen Präsidenten Gerald Ford vom 6. September 1974 ersparte Nixon einen Strafprozeß und aller Wahrscheinlichkeit nach auch eine Gefängnishaft: »Als Präsident der Vereinigte Staaten gewähre ich Richard Nixon (...) vollkommene Straffreiheit für alle Straftaten, die er zwischen dem 20. Januar 1969 und dem 9. August 1974 begangen oder möglicherweise begangen hat.«

Die Watergate-Affäre überdeckt weitgehend die Tatsache, daß die USA in der Amtszeit Nixons einen Beitrag im Prozeß der internationalen Entspannung leisteten: Die Besuche Nixons in Peking im Februar 1972 und drei Monate später in Moskau trugen wesentlich zur Normalisierung der Beziehungen zum sozialistischen China und zur Sowjetunion bei. Und es war Nixons Sonderbotschafter und späterer Außenminister Henry Kissinger gewesen, der in Paris zwischen 1969 und 1973 mit seinem vietnamesischen Konterpart Le Duc Tho ein Waffenstillstandsabkommen aushandelte, das schließlich das Ende des Vietnamkrieges ermöglichte. Diese Entspannungs- und Friedensverhandlungen waren jedoch Zeichen der damaligen Schwäche der krisengeschüttelten Hegemonialkraft des kapitalistischen Westens. Im eigenen »Hinterhof« wollte sie nichts anbrennen lassen: In Chile putschte Augusto Pinochet am 11. September 1973 mit maßgeblicher Mitwirkung US-amerikanischer Geheimdienste gegen Salvador Allende und seine sozialistische Regierung. Der Neoliberalismus konnte hier ein erstes überzeugendes Zeichen setzen, so daß Nixon seine Überlegungen zu einer kapitalistischen Planwirtschaft ad acta legen konnte.

* Aus: junge Welt, 8. August 2009


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