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Auf den Bush geklopft

Kritik an der "fundamentalistischen Arroganz" der westlichen Führungsmacht

Es gehört wahrlich nicht viel Phantasie dazu die Gesprächsthemen zu erraten, die der auf richterliche Anweisung bestellte US-Präsidenten George W. Bush mit einigen europäischen Regierungschefs und Staatspräsidenten Ende Mai verhandelt. Obenan auf der Agenda steht der nach dem 11. September letzten Jahres begonnene (oder nur auf einer neuen Stufe fortgesetzte?) "Krieg gegen den Terrorismus", für den die USA einerseits weitere politisch-moralische Unterstützung einwerben wollen, aus dem die Europäer andererseits aber auch soweit herausgehalten werden sollen, dass sie nicht auf die Idee kommen mitreden zu wollen. Mitkämpfen und Maulhalten: Nach dieser Devise funktionierte die im September zusammen gezimmerte weltweite "Allianz gegen den Terror" auch recht gut.

Im Afghanistan-Krieg, der trotz der beschönigenden Bilanz des deutschen Bundeskanzlers anlässlich seines Besuchs in Kabul am 9. Mai weder irgendein Problem gelöst hat noch zu Ende ist, wurde Kritik an der völkerrechtswidrigen Kriegsführung nur von politischen Außenseitern geübt. Die Heimatfront in den USA und die "uneingeschränkt" solidarisch mit den USA verbundenen Partnerstaaten hielten die Reihen fest geschlossen. Die wenigen aufmüpfigen Berichte und Kommentare, die es vorübergehend etwa bezüglich der Behandlung der gefangenen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer in Guantánamo gab, sind längst wieder in Vergessenheit geraten. Kaum jemand erinnert an die Kriegsbilanz, die Marc Herold bereits nach zwei Monaten Krieg, am 7. Dezember veröffentlicht hatte, als er ca. 5.000 von US-Bomben getötete Zivilisten errechnete. Wie viele sind bis heute dazu gekommen? Und wie viele Zivilisten befinden sich wohl unter den mindestens 15.000 getöteten Männern, die als Al-Qaida- und Taliban-Kämpfer deklariert wurden? Solche Fragen wurden auch vom Tross der Journalisten nicht gestellt, die den Kanzler, den "Kaiser" (der Präsident des FC-Bayern, Franz Beckenbauer, war Sondergast der Regierungsdelegation) und ein rundes Dutzend Wirtschaftsmanager auf dem Trip nach Kabul begleiteten. In erschreckender Weise ausgeblendet bleiben die Wirkungen Tausenden und Abertausenden Luft- und Raketenangriffe der USA und Großbritanniens, die seit dem 7. Oktober auf afghanische Städte, Dörfer und "Terrornester" geflogen wurden. Wenn von den sichtbaren Zerstörungen in Kandahar, Masar-i-Sharrif, Dschalalabad oder Kabul die Rede ist, werden sie regelmäßig dem über 20-jährigen Kriegs- und Bürgerkriegsgeschehen angelastet, so, als hätte der US-Krieg diese Zerstörungen nur beendet und wäre nicht selbst Teil davon gewesen. Ebenso verhält es sich mit den im ganzen Land verstreut liegenden Minen, die ein wirklich normales Leben und Arbeiten - zum Beispiel in der Landwirtschaft - auf lange Sicht verhindern. Wie viele davon entstammen den berüchtigten Clusterbomben, welche die US-Bomber abgeworfen hatten und die heute noch als Blindgänger eine tödliche Gefahr darstellen?

Doch auch die größeren Fragen nach dem eigentlichen Zweck des Afghanistan-Krieges und dem erzielten Erfolg werden nicht allzu häufig gestellt. Diente der Krieg ursprünglich dazu, die Strukturen der Terrororganisation von Al Qaida zu zerschlagen und den Oberterroristen Ossama bin Laden zu fangen ("dead or alive"), so änderten sich in seinem Verlauf die Kriegsziele grundlegend: In den Vordergrund rückten das politische Ziel eines Regimewechsels, die Befreiung der afghanischen Frauen und die Besetzung des Landes als einem geostrategisch wichtigen Stützpunkt für die Fortsetzung des angeblichen "Kriegs gegen den Terror". Nun wissen wir alle, wohin es führt, wenn Regierungen selbstherrlich darüber entscheiden, wann ein beliebiges anderes Regime per Krieg gestürzt werden soll: ins unkontrollierbare Chaos einer neuen Weltunordnung, in der das internationale Recht, insbesondere die UN-Charta mit ihren Prinzipien der Gleichheit und Souveränität aller Staaten und des strikten Gewaltverbots keine Gültigkeit mehr besäßen. Wir wissen auch (und die Medien könnten es auch zur Kenntnis nehmen), dass die Befreiung der Frau in Afghanistan nicht mit der mediengerechten Entfernung der gestaltverhüllenden Burka eintritt.

Nein, mit dem Afghanistan-Krieg wurde nichts erreicht: Das neue Regime von UN- und US-Gnaden, das allenfalls die Region um die Hauptstadt kontrolliert, wird weder in der Lage sein, das Land zu einen, noch den USA langfristig eine Garantie auf einen gesicherten Erdöl- und Gaskorridor aus Zentralasien zum Indischen Ozean zu bieten. Das einzige Ergebnis des Krieges und seiner Nachfolgekriege wird sein, dass sich die USA im nahöstlichen Krisengürtel militärisch einigeln und dadurch die fundamentalen Widerstände, den Zorn und Hass ihrer Umgebung nur noch weiter fördern.

Die US-Administration ist auch auf anderen Feldern bemüht, alte Feinschaften zu pflegen und sich neue Feinde zu schaffen. Während die Wucht der Anschläge vom 11. September, welche die USA erstmals in die Rolle eines "Opfers" versetzt hat, mit der Zeit zu verblassen scheint, erinnert die Welt sich wieder stärker der "Täterrolle" der USA. Etwa daran, dass
  • in den USA an neuen Atomwaffen gebastelt wird (sog. Mini-Nukes), die auch gegen Länder, die selbst nicht über Atomwaffen verfügen, eingesetzt werden sollen; erst im März sind Pläne bekannt geworden ("Nuclear Posture Review") denen zufolge der Einsatz von Atomwaffen unter drei Voraussetzungen möglich sei: Atomwaffen könnten danach erstens gegen Ziele, die gegen nichtatomare Waffen resistent sind, eingesetzt werden, zweitens als Vergeltung für einen Angriff mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen und drittens für den Fall "überraschender militärischer Ereignisse", was immer das bedeuten mag;
  • die USA mit ihren Schwindel erregend hohen Rüstungsausgaben die anderen NATO-Staaten zu mehr militärischer Rüstung drängen und in der Welt für einen neuen Rüstungswettlauf sorgen werden: Der US-Militäretat im Haushaltsjahr 2002/2003 wird mit 394 Mrd. Dollar größer sein als der Gesamthaushalt der Bundesrepublik Deutschland;
  • die USA sich militärisch unangreifbar machen wollen (z.B. mittels einer nationalen Raketenabwehr), sich aber gleichzeitig das Recht herausnehmen in aller Welt militärisch zu intervenieren;
  • die USA Rüstungskontrollverträge und andere internationale Vereinbarungen (z.B. den ABM-Vertrag) nicht beachten oder einseitig kündigen; das neueste Beispiel, das besonders bei den europäischen Bündnispartnern auf Empörung (zumindest hinter vorgehaltener Hand) gestoßen ist, betrifft die Annullierung der Unterschrift unter das römische Statut für den Internationalen Strafgerichtshof (vgl. hierzu "US-Präsident Bush brüskiert die Weltgemeinschaft").

    Das jüngste Beispiel für ihre fundamentalistische Arroganz lieferte die Führungsmacht des Westens bei der UN-Kinderkonferenz ab, als sie sich nicht nur weigerte, das Verbot der Todesstrafe in das Schlussdokument aufzunehmen, sondern zusammen mit dem Vatikan und - bezeichnenderweise - einigen islamischen Staaten alle Formulierungen ablehnte, die als eine vage Befürwortung der Abtreibung hätten interpretiert werden können (vgl. FR, 13.05.2002)

    Man sieht: Die Gründe, die US-Politik öffentlich zu kritisieren, werden immer zahlreicher. Die Demonstrationen anlässlich des Bush-Besuchs in der Bundesrepublik (21./22. Mai) richten sich dabei nicht gegen den Staatsbesuch als solchen (derartige Besuche sind selbstverständlicher Grundbestandteil jeglicher internationaler Politik), sondern gegen die konkrete Politik der US-Regierung, insbesondere deren kriegerische Außenpolitik. Dass dieser Protest - wie das bei der Friedensbewegung üblich ist - ausschließlich mit friedlichen Mitteln ausgedrückt wird, sollte sich dabei von selbst verstehen. Insofern gehören alle Versuche von Seiten der CDU/FDP und einiger Medien, die Aktionen in Berlin schon im Vorfeld in Misskredit zu bringen, sie vielleicht sogar verbieten zu lassen, zur Stimmungsmache und geistigen Vorbereitung auf jene Gewalt, die angeblich verhindert werden soll. Das totale Demo-Verbot und die anschließenden Polizeiübungen bei der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Januar/Anfang Februar lassen erahnen, worum es hier geht. Immer schon war der Weg zur Gewalt mit Verboten gepflastert. In München war es nicht zuletzt der Besonnenheit der Demonstranten zu verdanken, dass alles noch so relativ friedlich ablief. In Berlin werden am 21. Mai Tausende und Abertausende Menschen friedlich demonstrieren, und im ganzen Land werden einen Tag später die "Bushtrommeln für den Frieden" gerührt werden. So laut, dass das auch an die Ohren der in uneingeschränkter Solidarität mit den USA verbundenen Bundesregierung dringt. Denn das politische Signal der Mai-Proteste der Friedensbewegung reicht über Bush und über den Tag hinaus. Es geht nicht nur darum "auf den Bush zu klopfen". Es geht auch um die kritische Begleitung der außen- und sicherheitspolitischen Aspekte des Bundestagswahlkampfes. Hier ist neben der Friedensbewegung auch der kritische Geist der Friedenswissenschaft gefragt.

    Peter Strutynski

    Dieser Beitrag erscheint in diesem Tagen im "FriedensJournal", 2/2002, einer neuen Zeitschrift, die vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegeben wird.



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