Kein Konsens im Kongreß
USA: Einigung zu Haushaltskürzungen gescheitert. Republikaner bestehen auf Steuersenkung, Demokraten gegen Sozialabbau. Streichungen automatisch in Kraft
Von Philipp Schläger, New York *
Amerikas Haushaltspolitiker sind gescheitert. Die Unnachgiebigkeit der Republikanischen Partei hat einen Kompromiß für Budgetkürzungen unmöglich gemacht, wie am Montag abend (Ortszeit) aus Washington gemeldet wurde. Über die nächsten zehn Jahre hätten insgesamt 1,2 Billionen Dollar eingespart werden sollen. Die Konservativen hatten die USA unter dem Einfluß der rechtspopulistischen Tea-Party-Bewegung im August an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gebracht. Im letzten Moment einigten sich damals die Demokraten und die republikanische »Grand Old Party« (GOP) darauf, eine Sparkommission einzusetzen. Das zwölfköpfige Superkomitee aus jeweils drei Abgeordneten und drei Senatoren beider Parteien sollte sich auf Kürzungen einigen und im Kongreß bis zum 23.November ein Gesetz durchbringen. Die Frist für einen Kompromiß lief schon in der Nacht zum Dienstag ab, weil die parlamentarischen Beratungen mindestens weitere 48 Stunden erfordert hätten.
Im August hatten die beiden Kongreßparteien vereinbart, daß im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen ab dem Jahr 2013 automatisch Kürzungen in Kraft treten sollen. Das bedeutet auf zehn Jahre verteilt Einsparungen in Höhe von 1,2 Billionen Dollar, davon 600 Milliarden im Verteidigungsetat. So werden dann sogar die Mittel für die staatliche Krankenversicherung für Senioren namens Medicare verringert. Politiker der »Grand Old Party« deuteten allerdings gleich wieder Gesprächsbereitschaft an. So hat der Senator John McCain aus dem Bundesstaat Arizona ein Interesse an höheren Militärausgaben, weil die Rüstungsindustrie in seiner Heimat von staatlichen Aufträgen profitiert.
Keine Steuergeschenke
Die Demokraten machen die kompromißlose Haltung ihrer Opponenten gegen Steuererhöhungen für das Scheitern verantwortlich. Dies bestätigten die Republikaner indirekt. Die Gespräche seien ergebnislos geblieben, weil das Lager von US-Präsident Barack Obama keinem Kompromiß zugestimmt hätte, der Steuererhöhungen für Reiche ausschließt. Der Präsident zeigte sich verärgert über den Stillstand und die Verhandlungsstrategie der Konservativen. »Sie bestehen darauf, Steuergeschenke in Höhe von 100 Milliarden Dollar für die reichsten zwei Prozent der Amerikaner zu machen, auch wenn das bedeutet, das Defizit durch gravierende Kürzungen bei der Bildung und der medizinischen Forschung zu reduzieren«, erklärte Obama in einer Stellungnahme, »sogar, wenn das tiefe Einschnitte in Medicare bedeutet«. Er kündigte zudem an, jeden Versuch mit seinem Veto zu blockieren, die automatischen Kürzungen im Verteidigungsetat zu umgehen. »Meine Botschaft ist eindeutig: Nein.« Der Druck müsse aufrechterhalten werden, um zu einem Kompromiß zu kommen. Der einzige Weg, die automatischen Kürzungen zu verhindern, seien erneute Gespräche über einen alternativen Sparplan, sagte der Staatschef.
Chance verbaut
Aber nicht nur den erzkonservativen Republikanern geben die Demokraten die Schuld für die Verhandlungspleite, sondern auch einem prominenten Lobbyisten. Grover Norquist, Präsident der Organisation »Americans for Tax Reform« (Amerikaner für eine Steuerreform), begann schon in den 80er Jahren einen landesweiten Kreuzzug, nachdem ihn der damalige republikanische Präsident Ronald Reagan dazu aufgefordert hatte. Er bekämpfte jedwede Steuererhöhung mit seinem »Taxpayer Protection Pledge« (Gelöbnis zum Schutz des Steuerzahlers). Die erste Unterschrift leistete Reagan persönlich. Inzwischen haben zahlreiche prominente Parteigänger und eine bedeutende Anzahl von Kongreßabgeordnete und Senatoren der GOP die Verpflichtung unterzeichnet, darunter alle Republikaner im Superkomitee. Im Nachrichtensender CNN beschuldigte die demokratische Senatorin und Vizechefin der Sparkommission, Patty Murray, ihre Widersacher, Loyalität mit einem Lobbyisten zu üben mit ihrem Land. Unter diesen Bedingungen sei eine Lösung unmöglich.
Hätten sich die Kontrahenten geeinigt, wäre es zu einem vereinfachten Abstimmungsverfahren in beiden Kongreßkammern gekommen. Änderungen wären nicht zulässig gewesen. Im Senat hätte zudem eine Mehrheit von 51 Stimmen ausgereicht, in der Regel sind zur Verabschiedung von Gesetzentwürfen 60 nötig. Sonst kann die Minderheit mit den Verfahrenstricks der »Filibuster« alle Gesetzesvorhaben blockieren. Jeder zukünftige Kompromiß unterliegt nun wieder dieser zermürbenden Verzögerungstaktik– und wird damit noch schwieriger.
* Aus: junge Welt, 23. November 2011
Zurück zur USA-Seite
Zurück zur Homepage