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Widerstand erwacht in USA

Proteste gegen Überwachung am Nationalfeiertag / "New York Times": Auch Briefverkehr wird erfasst

Von John Dyer, Boston *

Lange haben die US-Amerikaner gelassen auf den Abhörskandal reagiert. Doch nun erwacht der Widerstand zumindest der Internetgemeinde. Mit Aktionen im Netz und auf der Straße protestiert sie gegen die flächendeckende Abhörung.

Am 4. Juli wird in den Vereinigten Staaten gefeiert. Es ist Independence Day, der Unabhängigkeitstag. In diesem Jahr trübten Proteste in mehr als 100 Orten die Feierlaune. Auch dabei ging es um Unabhängigkeit und Freiheit. Die Gruppe »Restore the Fourth« protestierte gegen die Überwachung der Bürger und ihrer Telefon- und Internet-Kommunikation durch die Geheimdienste, allen voran die NSA (National Security Agency).

Die Bewegung »Restore the Fourth« (Stellt den Vierten wieder her) bezieht sich nicht auf den Unabhängigkeitstag am 4. Juli, sondern auf den vierten Verfassungszusatz. Der schützt USA-Bürger vor willkürlicher Ausspähung ohne richterliche Anordnung im Einzelfall. Die Sammlung von Milliarden von Kommunikationsdaten durch die NSA war im Juni durch Informationen Edward Snowdens bekannt geworden, der früher für die CIA und ein Subunternehmen der NSA arbeitete. Snowden soll sich immer noch im Transitbereich eines Moskauer Flughafens aufhalten. Seine Asylanträge in mehreren Staaten waren bisher erfolglos.

Jonathan Trueblood organisierte die Protestaktion von »Restore the Fourth« in Iowa. »Der 4. Juli ist ein Tag, an dem wir der Unabhängigkeit unseres Landes gedenken und damit auch unserer Verfassung. Wir wollten das zusammenbringen und gegen die traurigen Vorfälle protestieren und dagegen, dass unsere Rechte mit Füßen getreten werden«, sagte Trueblood. »Aber noch haben wir diese Rechte.«

Mehrere große Internetfirmen wie Reddit, Mozilla oder Wordpress, die vermutlich ebenfalls überwacht worden sind, unterstützen »Restore the Fourth«. Ein Sprecher der Gruppe, Michael Reed, sagte: »Reddit hat die Information darüber, wie weit die NSA geht, nicht gut aufgenommen. Deshalb haben wir dort begonnen, uns zu organisieren. Bisher in mehr als 100 Städten und es wird immer größer.«

Die Gruppe fordert den Kongress auf, den »Patriot Act« zu ändern, das Terrorbekämpfungsgesetz, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beschlossen und seither mehrfach fortgeschrieben wurde. Sie verlangt vor allem, dass es keine generelle flächendeckende Überwachung mehr geben dürfe.

Auch Mozilla, das Unternehmen mit dem beliebten Internet-Browser Firefox hat die US-Regierung aufgefordert, endlich alle sogenannten Spionageprogramme offen zu legen. Die Internetseite dazu meldete am 4. Juli schon 550 000 Unterzeichner, darunter den chinesischen Dissidenten Ai Wei Wei. »Für mich wäre es schockierend, wenn die amerikanischen Bürger erlauben würden, dass das weiter geht«, schrieb er zu den NSA-Überwachungen. Einem Zeitungsbericht zufolge wird auch der Briefverkehr innerhalb der USA registriert. Absender und Empfänger jeder über den staatlichen Postdienst USPS verschickten Sendung werden von Computern abfotografiert, berichtet die »New York Times«. Die Zeitung beruft sich auf Mitarbeiter des Justizministeriums und einen ehemaligen Agenten der Bundespolizei FBI.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 5. Juli 2013


Spitzel scannen nicht nur E-Mails

USA: Gesamter Briefverkehr wird vom FBI erfaßt. Merkel telefoniert mit Obama **

Die USA lassen offenbar den gesamten Briefverkehr innerhalb des Landes registrieren. Absender und Empfänger jeder über den staatlichen Postdienst USPS verschickten Sendung werden von Computern abfotografiert, berichtete die New York Times am Mittwoch (Ortszeit). Die Zeitung beruft sich dabei unter anderem auf Mitarbeiter des Justizministeriums und auf einen ehemaligen Agenten der amerikanischen Bundespolizei FBI.

Allein im vergangenen Jahr sollen demnach rund 160 Milliarden Postsendungen durch das Überwachungsprogramm »Mail Isolation Control and Tracking« (MICT) gescannt worden sein. Auf diesem Wege soll die US-Regierung die Briefkontakte von Millionen Einwohnern zurückverfolgen können. Wie lange die Daten gespeichert werden, geht aus dem Bericht nicht hervor. Laut der Zeitung wurde die MICT-Regelung im Jahr 2001 ins Leben gerufen, nachdem Briefe mit dem tödlichen Gift Anthrax an US-Politiker verschickt worden waren.

Ähnlich wie die Abhörmaßnahmen des US-Geheimdienstes NSA diene das MICT-Programm vor allem der Arbeit der Strafverfolgungsbehörden, schreibt die Zeitung. Sie zitiert einen ehemaligen FBI-Agenten mit den Worten »Es ist eine Informationsgoldgrube«. Schon die Briefumschläge reichten aus, um wertvolle Hinweise für die Ermittler zu sammeln. Eine Sendung tatsächlich zu öffnen, erfordere dagegen den Beschluß eines Richters.

Unterdessen haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und US-Präsident Barack Obama am Mittwoch abend per Telefon über die Datenausspähung durch den US-Geheimdienst NSA unterhalten. Obama habe versichert, daß er die Sorgen über das Programm sehr ernst nehme, teilte das Weiße Haus am Donnerstag mit. Nach Angaben von Merkels Sprecher Steffen Seibert sagte der US-Staatschef den Verbündeten »Informationen über diese Aktivitäten« zu, was die Kanzlerin ausdrücklich begrüße. Ob das Telefongespräch vom NSA mitgeschnitten wurde, teilten beide Seiten nicht mit.

** Aus: junge Welt, Freitag, 5. Juli 2013


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