Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wer stoppt die "konservative Koalition"?

Die Bush-Administration und ihre innenpolitischen Gegner: Wohin treiben die USA mit und nach den Republikanern?

Von Conrad Schuhler*

Die Demokratische Partei (DP) geriet nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen in eine länger anhaltende Phase der Schreckensstarre. Die Parteielite um den Kandidaten Kerry und die Clintons zog sich zunächst ebenso zurück wie die progressiven Aktivisten der Partei, die nach ungeheurem Einsatz und ungeheuren Erwartungen nun erschöpft und desillusioniert allenfalls noch zur Beschimpfung und Verächtlichmachung der Wählermehrheit im Stande waren. Beide Seiten haben diese Phase Mitte 2005 überwunden und gehen nun mit völlig verschiedenen Konzepten an die Mobilisierung der Partei für die Kongreßwahl im Herbst 2006, die ein erster Test wird, ob und wie die »konservative Koalition« überwunden werden kann.

Es sind drei große Politikfelder, auf denen die Gegenseite geschlagen werden soll: Die Friedensaktivisten um Tom Hayden glauben, in der Frage des Irak-Krieges eine so mächtige Bewegung entfachen zu können, daß im US-Kongreß eine Mehrheit zustande kommt, die den Präsidenten zum Rückzug zwingt.

Durchgängig alle Fraktionen der Partei gehen davon aus, daß das Bush-Projekt der Privatisierung der Rentenversicherung im Kongreß zu Fall gebracht werden kann, und so eine Mehrheit gegen die reaktionäre Innenpolitik der Regierung heranwächst.

Die Gruppe um Howard Dean, den Vorsitzenden des Demokratischen Nationalen Komitees (DNC), hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2006 eine Graswurzel-Organisation in der Partei geschaffen zu haben, die den lokalen Einflußgruppen der Republikaner überlegen ist.

Petition der Friedensbewegung

Die Forderungen der Friedensbewegung, die als Petition dem Kongreß übergeben werden, lauten: Die USA geben alle Pläne auf, im Irak permanente Militärbasen zu errichten und Kontrolle über die irakische Öl-Förderung auszuüben. Die USA erklären, daß sie binnen weniger Monate, nicht Jahre, ihre Truppen zurückziehen; der Rückzug beginnt im Dezember 2005. Die USA bitten die Vereinten Nationen, den Truppenabzug zu überwachen und die Verantwortung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau zu übernehmen. Es wird ein unabhängiger Friedensbotschafter ernannt, der das Militärmodell in eines der Konfliktlösungen überführt. Es werden sofort Friedensgespräche aufgenommen mit der irakischen Opposition, einschließlich der Aufständischen, um gemeinsam eine politische Lösung zu finden. (Vgl. Tom Hayden, How to Get Out of Iraq. In These Times. www.alternet.org/story/24539/) Die Aussichten, daß diese Petition auch nur den Beifall der Mehrheit der demokratischen Kongreß-Mitglieder findet, sind sehr gering. In nur drei Bundesstaaten haben demokratische Parteitage 2005 Resolutionen gegen den Irak-Krieg verabschiedet (Kalifornien, Wisconsin, Massachusetts). Nur vier Abgeordnete des Repräsentantenhauses haben Anträge für einen Truppenabzug eingebracht. Im Senat wurde Ted Kennedy von den eigenen demokratischen Kollegen gezwungen, seinen Antrag wieder zurückzuziehen. Allerdings hat sich in der demokratischen Fraktion des Repräsentantenhauses (das »Haus«) mittlerweile eine Gruppe »Raus aus dem Irak« mit mehr als 60 Mitgliedern gebildet, die in erklärter Opposition zur Fraktionsführung steht. Dennoch ist nicht zu erwarten, daß die Demokraten im Kongreß zur »Friedenspartei« werden, womit sie auch bei den Wahlen 2006 in der die Menschen am meisten beschäftigenden Frage keine überzeugende Alternative zur Bush-Partei anbieten.

Gegen »Rentenreform«

Bei der Privatisierung der Rentenversicherung sind sich die Demokraten in ihrem Nein einig, und sie haben gute Chancen, sich im Kongreß durchzusetzen und sich in diesen Debatten als das »soziale Gewissen« im Politbetrieb zu profilieren. Die Fraktionsführung hofft, ihre 203 Abgeordneten zusammenzuhalten und mindestens 15 Republikaner herüber zu ziehen. (Roger Hickey: A Battle Progressives Can Win, The American Prospect. www.alternet.org/story/ 21158/) Diese Aussicht ist realistisch, schon rund 30 Republikaner haben zu erkennen gegeben, daß sie die Regierungspläne nicht unterstützen wollen.

Deans neue Strategie

Howard Dean hat als DNC-Vorsitzender damit begonnen, schrittweise in allen 50 Bundesstaaten permanent arbeitende lokale Strukturen aufzubauen. Die Dean-Gruppe verfolgt damit zwei Ziele: Zum einen will sie der allgegenwärtigen Präsenz der Republikaner vor Ort eigenes Personal entgegenstellen, das eingebunden ist in die lokalen Verkehrskreise und so den politisch unverzichtbaren »Nachbarschaftsbonus« erhält; zum anderen will sie die Macht der Honoratioren-Zirkel brechen, die heute noch innerhalb der Demokratischen Partei herrschen. Sicher scheint, daß sie das erste Ziel bis 2006 nicht erreichen können. Ob sie das zweite, eine neue innerparteiliche Machtverteilung erreichen, ist ebenfalls fraglich. Denn mit dem organisationspolitischen Wandel ist auch ein Wechsel der politischen Inhalte verbunden. Dean und seine Graswurzel-Aktivisten wollen die Partei wegführen von der Prägung »weiß, Neu-England, Leistungselite« und öffnen für Schwarze, Latinos und alleinstehende Frauen, den Hauptstützen der Demokraten, und ganz allgemein für die Arbeiterklasse, deren Anliegen und deren Mitgliedern der Patrizier Kerry im Wahlkampf so fern war.

Die Parteihierarchen nehmen ihre Entmachtung natürlich nicht kampflos hin. Ihr Rennpferd im Stall heißt Hillary Clinton, die systematisch zur Präsidentschaftskandidatin der Demokratischen Partei aufgebaut wird. Dazu leistet auch die konservative Nachrichtenmaschine ihren Beitrag. Im Juni 2005 veröffentlichte FoxNews eine selbst durchgeführte Umfrage, nach der 44 Prozent der befragten eingeschriebenen Mitglieder der DP für Hillary Clinton als nächste Kandidatin sind. Kerry hatte 17 Prozent erhalten, sein Kandidat für den Vizepräsidenten, John Edwards, 14 Prozent. Von Howard Dean war als möglichem Kandidaten gar nicht die Rede; festgehalten wurde aber, daß nur noch 23 Prozent der Wähler ein günstiges Bild von Dean hätten, zehn Prozent weniger als im März 2005. (www.foxnews.com/ printer-friendliy_story/0,3566,159796,00.html)

Bei den Republikanern liegt übrigens der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani vorne, ein ausgemachter Liebling der »konservativen Koalition«. FoxNews bringt als hohen Sympathieträger auch noch Condoleezza Rice ins Spiel, die aber keine Ambitionen auf das Weiße Haus habe. Wie man sieht, würde die konservative Propaganda die alte Duell-Situation »Republikanische Erst-Konservative« gegen »Demokratische Zweit-Konservative« gerne erhalten und baut zum Abfangen eines möglichen Frauen-Faktors schon mal eine eigene weibliche Leitfigur auf.

Unterlegene Demokraten

Die Demokraten beziehen keine Position gegen den Irak-Krieg und für den sofortigen Truppenabzug. Auch eine bessere lokale Organisation kann den Nachbarn keine bessere Antwort in dieser nach wie vor entscheidenden Frage geben. Indem die Demokraten dieses Feld räumen, ermöglichen sie dem Bush-Lager eine neue Wahlkampagne nach dem Muster »Furcht siegt über Wut«. Die Hauptfehler der 2004-Kampagne werden 2006 – die Wahlen für Kongreß und Haus werden im Zeichen nationaler Fragen stehen – wiederholt, auch wenn in einzelnen Staaten und Gemeinden eine aktive Friedensposition herausgestrichen wird. Die Organisationskraft der Demokraten wird dem Nachbarschafts- und Vereinsnetzwerk der Republikaner nicht gewachsen sein. Die Demokraten könnten dies nur überwinden, indem sie die politische Debatte mit der Leidenschaft eines friedlichen und sozialen Ethos führen und einen Gegenentwurf zum reaktionären Konzept der »konservativen Koalition« anbieten. Aber dazu kann sich die Demokratische Partei nicht aufschwingen, dazu sind die progressiven Kräfte zu schwach und auch zu unentschlossen.

Sollte sich Hillary Clinton 2008 als Präsidentschaftskandidatin durchsetzen, erlebt Amerika eine Art Kopie von 2004: Der eine Flügel der Republikanischen Partei kämpft gegen den anderen, der sich Demokratische Partei nennt. Damit wird die DP kaum mehr Wähler in der Mitte holen und aus dem Heer der Nichtwähler keine gewinnen.

Spaltung der Gewerkschaften

50 Jahre nach seiner Gründung hat sich Ende Juli 2005 der American Federation of Labor – Congress of Industrial Organizations (AFL-CIO), der Dachverband der Gewerkschaften, gespalten. Beim Gewerkschaftskongreß in Chicago hatten sich vier Gewerkschaften, darunter so starke wie die Service Employees International Union (SEIU – 1,8 Millionen Mitglieder), die Transportgewerkschaft Teamsters (1,4 Millionen Mitglieder) und die United Food and Commercial Workers Union (UFCW – 1,4 Millionen Mitglieder) sofort verabschiedet. (Konrad Ege: Zur Ader gelassen. Freitag, 12.8.2005) Drei weitere Gewerkschaften sind fürs erste noch in der AFL-CIO geblieben, aber auch schon Mitglied im Verband der Ausgetretenen, die »Change to Win«-Koalition (Verändern, um zu gewinnen). Treten die drei auch noch aus, was nur eine Frage der Zeit sein dürfte, dann hat die AFL-CIO 40 Prozent der Mitglieder verloren.

Der Wortführer der Rebellen, der SEIU-Vorsitzende Andy Stern, machte »fundamentale Meinungsverschiedenheiten« mit der AFL-CIO-Führung über die Grundsätze der organisationspolitischen Arbeit für die Spaltung verantwortlich. Während die traditionelle Arbeit der AFL-CIO sich auf die Betreuung der Kernbelegschaften bereits gewerkschaftlich organisierter Betriebe konzentriert, verlangt Stern die Verlagerung des Schwerpunkts auf die »90 Prozent unorganisierter Arbeiter« und hier vor allem auf die Bezieher kleiner Einkommen, auf Immigranten und Frauen. Zum Hintergrund der Auseinandersetzung gehört, daß der gewerkschaftliche Organisationsgrad von der einstmaligen Höhe von 35 Prozent auf 13 Prozent (in der privaten Wirtschaft auf nur acht Prozent) gesackt ist. (Vgl. Frank Joyce: Fate of the Union. www.alternet.org/story/ 21312/) Gegenüber diesem allgemeinen Niedergang aber hat die SEIU in den letzten neun Jahren mit ihrem Ansatz 900 000 neue Mitglieder gewonnen.

Kritik am Vorgehen der »Change to Win«-Neuerer kam schnell auch von links. Im Freitag werden führende Reformer innerhalb der AFL-CIO zitiert, die Stern und Kollegen vorhalten, Gewerkschaften könnten nur Erfolg haben, wenn sie Teil einer sozialen Bewegung seien. Dieser Art von Kritik hat Stern schon früher entgegengehalten, daß von einer fortschrittlichen sozialen Bewegung nur die Rede sein könne, wenn sie sich um die Lebensdingungen der Leute kümmert, die Tag für Tag zur Arbeit gehen, »was das ist, was 80 Prozent der Amerikaner immer noch tun«. Diese Leute müsse man erreichen, weil sie es verdienten, und weil ohne sie keine Mehrheit im Lande gegen die Rechte zustande kommen könne. Deren wirkliche Sorgen seien: »Wie kriege ich ein anständiges Essen auf den Tisch, wie komme ich zu Krankenschutz für die Familie? Wie kann ich die Pflege für meine Mutter organisieren? Wie kann ich die Rechnungen für die Arztrezepte finanzieren?« (Toward a More Perfect Union. Interview von Lakshmi Chaudhry mit Andy Stern. www.alternet.org/module/printversio/ 21213)

Stern erklärt damit, daß es weder eine fortschrittliche soziale Bewegung (Stern unterstützt aktiv die Friedensbewegung) noch eine Demokratische Partei gibt, die in diesem Sinne fortschrittlich wäre. Die »Change to Win«-Koalition könnte auf dem Weg dahin von großer Bedeutung sein, denn die SEIU sucht seit Jahren nicht nur die Zahl der Mitglieder zu erhöhen, sondern in die Aktionen vor Ort nach Möglichkeit soziale Gruppen und Bewegungen mit einzubeziehen. Die Spaltung hat das Gewicht der Fraktionen innerhalb der Demokratischen Partei verschoben. Bisher war die AFL-CIO oft ein verläßlicher Partner der Parteirechten. Dieser Partner ist nun schwächer. Die Koalition der gewerkschaftlichen Neuerer könnte sich hingegen als eine Stütze für die Graswurzel-Fraktion um Howard Dean herausstellen, die auf dieselben sozialen Gruppen zielt wie die SEIU.

Integrative Kräfte

Auf dem Weg zur Schaffung einer Kraft gegen die neokonservative Koalition ist die Demokratische Partei immer noch eher ein Teil des Problems als seiner Lösung. Mit ihrer klaren Parteinahme für neoliberale »Reformen« und für den Irak-Krieg demonstriert die alte Führung der Partei stets aufs neue, daß sie nicht der »politische Arm« von Friedensbewegung und sozialen Bewegungen ist und sein will. Die Demokratische Partei blockt die Bewegungen, die ohnehin nicht überschätzt werden dürfen, an der Tür zum Parla- ment ab. Ihre Funktion besteht vor allem auch darin, den Schwung der Menschen an der Basis aufzufangen und so zu filtrieren, daß er ohne jede Prägekraft im Kongreß ankommt. Während die Republikaner die Rechte mobilisieren, versucht die Demokratische Partei, die Linke zu kastrieren. Auf beiden Seiten mit Erfolg, wie die letzten Jahre und Wahlen zeigen.

Der Aufbruch mit dem neuen DNC-Vorsitzenden Howard Dean und seiner progressiven Mitstreiter und ihrem Versuch, daß Establishment der Partei zu entmachten, steckt noch in den Anfängen. Zu erwarten, bis 2008 könnte ihnen dies gelingen, ist unrealistisch. Die entscheidende Frage ist, wie sich die Bewegungen außerhalb der Demokratischen Partei entwickeln und mit ihrer Kraft in die Demokratische Partei hineinwirken. Viel wird von der Entwicklung der »Change to Win«-Koalition der Gewerkschaften abhängen, die sich von der AFL-CIO abgespalten haben. Gelingt es ihnen, ihre Mitgliederzahlen und ihren Einfluß auf soziale Bewegungen vor Ort erheblich zu vergrößern und die Kooperation mit den Progressiven in der DP fortzuführen, wird sich auch Deans Graswurzel-Konzept in der Demokratischen Partei behaupten. Selbst in diesem positiven Fall handelt es sich um eine langfristige Perspektive. Bis 2006, den nächsten Wahlen zum Kongreß, und bis 2008, der nächsten Präsidentenwahl, wird diese Perspektive nicht realisiert. Die Friedensbewegung hat die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich, aber nur in der Sache, nicht als politisch mobilisierte Kraft. Dafür gibt es mehrere Gründe, vor allem diese zwei: Erstens werden viele US-Bürger durch Präferenzen in anderen Fragen (die Mission Amerikas, die traditionellen moralischen Werte u.ä.) davon abgehalten, sich in der konkreten Frage auch wirklich gegen den Präsidenten und seine Politik zu engagieren. Zweitens haben viele Menschen so viel damit zu tun, in Zweit- und Drittjobs ihr Überleben zu sichern, daß ihnen politisches Engagement als nicht vertretbarer Luxus vorkommt. Mit der Hurrikan-Katastrophe in Louisiana und Missisippi sahen viele Linke die Chance gekommen zu zeigen, wie politische Entscheidungen direkt das tägliche Leben vor Ort bestimmen. Es war Präsident Bush, der die Unterzeichnung und Realisierung des Kyoto-Abkommens zur Eindämmung des CO2-Ausstoßes für die USA ausschloß. (...) Im Zuge der Irak-Politik hat Washington das Budget der Pioniere in New Orleans um 44 Prozent gekürzt. 35 Prozent der Nationalgarde Louisianas leistet ihren Dienst im Irak. Eine große Zahl der Hochwasser-Fahrzeuge und der Generatoren war aus Louisiana nach dem Irak abgezogen worden. Die Dämme brachen, weil das Geld für ihren Ausbau in andere Bereiche des »Heimatschutzes« abgezogen worden war. (...)

Es kann keinen vernünftigen Zweifel geben, daß die Energie- und Kriegspolitik der Bush-Regierung mit für die Katastrophe im Südosten der USA, die Tausenden das Leben kostete und ganz New Orleans zum nassen Tod verurteilte, verantwortlich ist.

Doch selbst diese ungeheuerliche Tatsache wird die Mehrheit der US-Bevölkerung nicht aufrütteln. Schon 1998 hat der TV-Evangelikaner Pat Robertson gewarnt, daß Hurrikane vor allem die Gemeinden und Städte heimsuchen werden, die Gott für ihre Sünden bestrafen will. New Orleans, The Big Easy, war in den Augen der großen Mehrheit schon seit je die Hauptstadt der Sünde, mit seinen Franzosen und Schwarzen, mit seinem Jazz und seinen Bordellen, mit seinem Gemisch aus Karibik und »altem Europa«. Das Mitgefühl der US-Bürger mit New Orleans und seinen Bewohnern zeigt sich darin, daß über 60 Prozent gegen einen Wiederaufbau New Orleans sind. Möge sie im Orkus bleiben, wohin Gott sie verdammt hat. (Süddeutsche Zeitung, 3.9.2005)

»Law and Order«

»New Orleans« zeigt noch etwas anderes, nämlich wie dünn der Film über dem gesellschaftlichen Zusammenhalt der Gruppen und Institutionen, über den »gesellschaftlichen Werten« ist. Es waren die Schwarzen und die Armen, die in New Orleans als Opfer der Fluten zurückgelassen wurden. Sie wurden tagelang nicht versorgt. Wenn sie versuchten, an Küchen oder Nahrungsmitteldepots heranzukommen, wurden sie von Nationalgarde und Marines mit gezieltem Feuer zurückgetrieben. Militär und Polizei wurden eingesetzt mit der klaren Priorität, zunächst für Ruhe und Ordnung und Sicherung des Eigentums zu sorgen, bevor sie sich der Hilfe für die Bevölkerung zuwenden würden. Die Bevölkerung antwortete damit, daß sie die Hubschrauber und Schiffe der Truppen beschossen. Sofort nach dem Desaster hatten Banden die Kontrolle der Stadt übernommen. Augenzeugen berichten von einem Krieg aller gegen alle. Jeder mußte jederzeit gewahr sein, überfallen oder getötet zu werden. Dies könnte die Zukunft des ganzen Landes in manchem vorweg genommen haben. Es wächst der Widerspruch gegen Krieg und Verarmung, es wachsen auch die Bewegungen und Gewerkschaften, die diese Wut, diese Verzweiflung, diese Forderungen aufgreifen. Doch: Es gibt keine Transmission, keine Verbindung dieser Forderungen und Bewegungen mit den offiziellen Parteimaschinen oder gar mit der Regierung. Die entscheidende Frage wird sein, ob sich die anstauende Wut, die wachsende Abscheu vor dem, was Washington produziert, übersetzen läßt in eine politische Bewegung, die stark genug ist, die Politik zu prägen. Gelingt dies nicht, treiben die USA in die Richtung eines Polizei- und Überwachungsregimes, das versucht, eine zunehmend widerstrebende Bevölkerung unter Kontrolle zu halten. Längst schon liegt »der Mehltau des Totalitären über den Vereinigten Staaten« (Michael Schneider, Paranoia und permanenter Krieg, Freitag, 21.2.2003), der sich bereits in Form verschiedener Gesetze materialisiert hat. Deren gravierendstes ist der USA Patriot Act (»Patriot« ist ein Kürzel für: Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism – Amerika vereinend und stärkend durch das Bereitstellen angemessener Mittel, die zum Aufhalten und zur Zerstörung des Terrorismus erforderlich sind.) Dort wurde ein neuer Straftatbestand, »domestic terrorism« (inländischer Terrorismus) geschaffen, der Handlungen für strafbar erklärt, die »geeignet erscheinen ... , die Politik einer Regierung durch Einschüchterung oder Zwang zu beeinflussen«. Mit diesem Gummiparagraphen, der ohne weiteres auf Aktionen des zivilen Ungehorsams, auf Demonstrationen, Streiks usw. ausgedehnt werden kann, können die Behörden ohne Anfangsverdacht gegen jede Organisation und Person vorgehen, einschließlich geheimer Telefon- und Internetüberwachung und geheimer Wohnungsdurchsuchung ohne Durchsuchungsbefehl. (Vgl. Schuhler, a.a.O., S. 66 f.) Der Patriot Act soll in dieser Regierungsperiode weiter »verfeinert« werden. Die Bush-Koalition legt sich die Instrumente für einen totalitären Staat zurecht. Aber auch für die USA gilt, daß man mit Bajonetten zwar die Macht erobern und für eine Weile halten, aber auf Dauer nicht auf ihnen sitzen kann. Dies ist allerdings kein Natur-, sondern ein soziales Gesetz. Das heißt, die Menschen müssen sich frei machen von denen, die sie mit einer reaktionär umgemünzten nationalen Ideologie, mit der permanenten Produktion von Angst und mit staatlicher Gewalt in Schach halten.

* Die "junge Welt" veröffentlichte am 24. September 2005 das Schlußkapitel des soeben als isw-Report Nr. 63 erschienenen Heftes "Bush und danach. Wohin treiben die USA?" von Conrad Schuhler (46 S., 3,50 Euro, Bezug über isw München, Johann-von-Werth-Str. 3, 80639 München, Mail: isw_muenchen@t-online.de).

In dem Report werden die Gründe für die kulturelle Hegemonie und mediale Dominanz der Allianz von Neoliberalen, Neokonservativen und Religiöser Rechten unter der Bush-Administration untersucht und die Widersprüche innerhalb der »konservativen Koalition« aufgezeigt. Im hier veröffentlichten Abschnitt wird der Frage nachgegangen, wie es um die Chance der Bildung eines politischen Gegenblocks steht.


Weiterführende Literatur:
  • Brocker, Manfred, God bless America. Politik und Religion in den USA, Darmstadt 2005

  • Schuhler, Conrad, Unter Brüdern. Die USA, Europa und die Neuordnung der Welt, Köln 2003

  • Sylvers, Malcolm, Die USA – Anatomie einer Weltmacht, Köln 2003



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