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Kontaktanbahnung beim Abendessen in Genf

Erste Begegnung der Außenminister Clinton und Lawrow

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Es ist die erste persönliche Begegnung zwischen Russlands Außenminister Sergej Lawrow und seiner neuen USA-Kollegin Hillary Clinton, die am heutigen Freitag im schweizerischen Genf stattfindet. Hoffen und Bangen halten sich die Waage, auf beiden Seiten und aus gutem Grund.

Zwar war Wladimir Putin einer der ersten Staatschefs, die dem damaligen USA-Präsidenten George W. Bush nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Unterstützung zusagten. Mit Billigung Moskaus stellten die Herrscher der zentralasiatischen Republiken der NATO Luftraum und Basen für ihre »Antiterror-Operation« in Afghanistan zur Verfügung. In der zweiten Amtszeit beider Präsidenten trübte sich das russisch-amerikanische Verhältnis allerdings zusehends.

Washington warf Russland Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen, kerntechnische Zusammenarbeit mit Iran, Waffengeschäfte mit anderen »Schurkenstaaten« und Versuche vor, Öl und Gas zur politischen Erpressung zu missbrauchen.

Moskau indes sieht vor allem seine Sicherheit bedroht: durch das weitere Vordringen der NATO in Richtung Osten entgegen anderslautenden Zusagen an Michail Gorbatschow und Boris Jelzin, durch Pläne zur Stationierung US-amerikanischer Raketenabwehrstellungen in Osteuropa und durch Washingtons Expansion im postsowjetischen Raum. Nicht zuletzt mit Hilfe nichtstaatlicher Organisationen, die den US-amerikanischen Republikanern nahe stehen, übernahmen in der Ukraine und in Georgien prowestliche Politiker die Macht. Gleichzeitig versucht der Westen, die Kontrolle über die Energievorkommen der Kaspi-Region und die Transportwege zu erlangen.

Als Bush Ende Januar an Barack Obama übergab, war das russisch-amerikanische Verhältnis so schlecht wie nie seit Ende des Kalten Krieges. Nachdem Russland sich mit Putins berühmter Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 als Großmacht auf der weltpolitischen Bühne zurückgemeldet hatte, war die Kluft noch tiefer geworden. Russland setzte das KSE-Abkommen aus, das die konventionellen Streitkräfte in Europa begrenzt, und der Westen lieferte Moskau mit der Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos die Steilvorlage für die Anerkennung der von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien. Und das war nur die Spitze des Eisbergs.

Dmitri Medwedjew und Barack Obama, die sich am 2. April am Rande des G-20-Gipfels in London treffen, hätten also jede Menge zerschlagenes Porzellan zu kitten. Ob ihnen das gelingt, hängt auch vom heutigen Treffen ihrer Außenminister ab. Das findet in Form eines Abendessens statt, und das bedeutet in der Sprache der Diplomatie, dass beide Seiten zu Kompromissen bereit sind.

Vorsichtige Signale wurden bereits ausgetauscht. Wenn die USA auf die Raketenabwehr in Osteuropa verzichteten, wäre Moskau des Zwangs zur Nachrüstung enthoben. Für den russischen Haushalt, dessen Defizit wegen der Krise bis zu acht Prozent des Bruttoinlandprodukts erreichen könnte, wäre das eine enorme Entlastung.

Washington weiß um diese Zwänge, spürt durchaus auch eigene, dürfte aber, auch auf Drängen der israelischen Lobby, für den Verzicht einen entsprechend hohen Preis verlangen: Einstellung weiterer kerntechnischer Zusammenarbeit mit Iran und Verzicht auf die Lieferung von S-300 Raketen. Ebenso auf Pläne für die ständige Anwesenheit der russischen Seekriegsflotte im östlichen Mittelmeer. Darüber und über Rüstungslieferungen an Syrien hatte sich dessen Präsident Baschir al-Assad bereits unmittelbar nach dem Augustkrieg im Kaukasus mit Medwedjew im Prinzip verständigt. Zu den Rüstungslieferungen gibt es, ebenso wie mit Iran, bereits ein Abkommen. Dessen Erfüllung will Moskau jedoch von Washingtons Einlenken im Raketenabwehrstreit und von neuen Verhandlungen zur strategischen Abrüstung abhängig machen. Hillary Clinton glaubt zwar, Russland fühle sich inzwischen weniger bedroht durch den Raketenschild, doch diesen Glauben wird Sergej Lawrow gewiss nicht nähren.

* Aus: Neues Deutschland, 6. März 2009

K o m m e n t a r e

Das Ende der Eiszeit

Von Olaf Standke **

Glaubt man den Botschaften aus Brüssel, weht der Wind des Wandels durch die NATO-Hallen. Für die Frühlingsbrise sorgte Hillary Clinton, die neue Außenministerin der USA. Sie sei mild, hört man, und reiche bis nach Moskau. Dort sollen schon vor der gestrigen Pakt-Tagung Liebesgrüße aus Washington eingetroffen sein, mit der Offerte, auf den geplanten US-amerikanischen Raketenschild vor der Haustür Russlands zu verzichten, wenn der Kreml nur im Kampf gegen Teherans Atompläne kooperiere. Konstruktiv wolle man künftig wieder zusammenarbeiten, betonte nun auch Clinton. Ein erstes sichtbares Zeichen ist die gegen den Widerstand osteuropäischer Mitgliedstaaten beschlossene Wiedereinsetzung des Russland-NATO-Rates. Vor allem auf Druck der Bush-Regierung hatte die Allianz den Dialog nach dem Kaukasus-Konflikt im Vorjahr einseitig auf Eis gelegt.

Die Rückkehr zur Normalität wird in Moskau als »Sieg des gesunden Menschenverstandes« begrüßt – und sie ist in der Tat eine Voraussetzung, um dringende sicherheitspolitische Probleme zu lösen, ob nun global oder regional. Wie dauerhaft dieses Tauwetter ist, bleibt allerdings abzuwarten. Denn von Hillary Clinton war gestern auch zu hören, dass man die NATO-Türen für Länder wie Georgien und die Ukraine wie bisher weit offen halten werde. Und das dürfte in Moskau kaum auf Gegenliebe stoßen.

** Aus: Neues Deutschland, 6. März 2009 (Kommentar)


Wir sind Obama

Freundliche Signale an Moskau

Von Werner Pirker ***


Kaum hatte die neue US-Außenministerin Hillary Clinton eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit Rußland in Aussicht gestellt, gab auch schon der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier seine Meinung kund, daß es an der Zeit wäre, den NATO-Rußland-Gipfel wiederzubeleben. Im Wettbewerb um die Übernahme des neuen Obama-Geistes in der Weltpolitik will niemand zurückstehen. Also sollen auch die Beziehungen zwischen der NATO und Rußland auf eine neue Grundlage gestellt werden, was bedeutet, daß die sie belastenden Faktoren vorerst ausgeklammert werden müßten.

Das schien vor sieben Monaten noch unmöglich – als der brutalen georgischen Machtdemonstration gegenüber den abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien eine russische Militärintervention folgte, welche die Wahrscheinlichkeit künftigen georgischen Abenteurertums stark reduziert haben dürfte. Damals hatte es ganz den Anschein, als wäre der Kalte Krieg zwischen West und Ost in seiner ganzen Intensität wieder ausgebrochen. Als hätte Moskau seine Panzer mit Absicht ausgerechnet am 40. Jahrestag der Militärintervention in der CSSR nach Georgien rollen lassen, um so die Rückkehr des roten Imperiums zu demonstrieren. Auch wenn das Imperium kein rotes mehr ist und der Panzerkommunismus ohne Kommunismus wenig Sinn ergibt.

Was Moskau aber tatsächlich deutlich machen wollte, war seine Unduldsamkeit gegenüber Bestrebungen der USA und der NATO, sich in seinem historischen Einflußbereich festzusetzen und an Rußlands Grenzen eine ihm feindlich gesinnte Allianz zu bilden. Ein solches Szenario, lautete die eindeutige Botschaft der russischen Führung, bedeute den Kriegsfall. Das scheint man im Westen mehr oder weniger verstanden zu haben.

Was von den »Moskowitern« nun erwartet wird, ist ihre Mitwirkung an der imperialistischen Befriedung von Krisenherden wie Afghanistan. Wie es heißt, soll Moskau bereit sein, sich an der Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte zu beteiligen. Die imperialistischen Interventen scheinen schwer überfordert zu sein, so schwer, daß sie einen Teil der Lasten auf die Russen abschieben wollen. Die haben freilich schon genug zivilisatorische Hilfe an Afghanistan geleistet.

Als Schutzmacht der afghanischen Linkskräfte haben die Sowjettruppen für den größten Fortschrittsschub in der Geschichte des Landes gesorgt. Als Fremdherrschaft aber wurden sie von den Afghanen nicht geduldet. Der Westen hat deren Widerstand unterstützt und die Niederlage der UdSSR – nicht nur in Afghanistan – herbeigeführt. Doch aus den »Freiheitskämpfern« wurden »Terroristen«. Und aus den Kündern der Freiheit Besatzer. Die größte Hilfe, die das postsowjetische Rußland Barack Obama bezüglich Afghanistan anbieten kann, ist die Übermittlung des Wissens um die Vergeblichkeit aller Versuche, das Land am Hindukusch unter fremde Herrschaft zu zwingen.

*** Aus: junge Welt, 6. März 2009 (Kommentar)


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