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Die Suche nach dem eigenen Weg

Die Erinnerungen des Robert Meeropol, Sohn von Ethel und Julius Rosenberg

Von Ronald Friedmann *

Wie geht man mit dem Tod der eigenen Eltern um, wenn man weiß, dass sie – als man selbst noch im frühen Kindesalter war – nicht an einer heimtückischen Krankheit oder durch einen tragischen Unglücksfall starben, sondern auf Verlangen des Staates vorsätzlich getötet wurden? Wie gestaltet und lebt man sein eigenes Leben im Wissen um das Schicksal der Eltern? Die Erinnerungen von Robert Meeropol, dem jüngeren der beiden Söhne von Julius und Ethel Rosenberg, die am 19. Juni 1953 als angebliche Atomspione im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurden, sind ein bewegendes Dokument der Zeitgeschichte.

Robert Meeropol schildert, wie er als damals Sechsjähriger die Nachricht vom Tod seiner Eltern erhielt, wie er bei seinem nur wenige Jahre älteren Bruder Michael Schutz suchte, dem einzigen Menschen in jener Zeit, in dessen Nähe er das Gefühl der Sicherheit verspürte. Voller Liebe und Hochachtung berichtet er über das Leben mit Abel und Anne Meeropol, den Adoptiveltern, die das Sorgerecht gegen zahllose Widerstände der Behörden erkämpften und verteidigten. Und von den Brüdern als Eltern akzeptiert wurden, auch weil sie sich zeitlebens bemühten, das Vermächtnis der ermordeten leiblichen Eltern zu bewahren, ohne jedoch ihren Schützlingen vordergründig eine Verantwortung für dieses Vermächtnis aufzuerlegen, eine Verantwortung, der die Brüder vielleicht nicht gewachsen gewesen wären.

Der Leser erfährt und versteht, warum Robert Meeropol dennoch mehr als ein halbes Leben benötigte, um seinen Platz und seine Aufgabe in dieser Welt zu finden – die Gründung und Leitung des Rosenberg Fund for Children, einer ausschließlich aus Spendenmitteln finanzierten Stiftung, deren Aufgabe darin besteht, den Kindern politisch verfolgter Menschen materielle und damit auch moralische Hilfe zu leisten. Solidarität, wie sie Robert Meeropol und sein Bruder selbst erlebten.

Meeropols Beschreibung seiner Suche nach dem eigenen Weg vermittelt dem Leser vielfältige und überraschende Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt linksintellektueller Aktivisten in den USA, wobei dieser Begriff »links« in den USA anders verstanden wird als der Begriff »links« hier in Europa. Es sind nicht auf langfristige Ziele angelegte politische Parteien und Organisationen, die die Menschen zusammenführen, sondern es sind vor allem zeitlich, räumlich und thematisch begrenzte Vorhaben, wie die Bewegung gegen die Todesstrafe, festgemacht an konkreten Fällen, die immer wieder neue Konstellationen hervorbringen.

Die Auseinandersetzung mit der Frage der juristischen bzw. ethisch-moralischen Schuld oder Unschuld der leiblichen Eltern nimmt in dem Buch naturgemäß einen breiten Raum ein. Bis ins junge Erwachsenenalter war es Teil der Selbstschutzstrategie der beiden Brüder, es als eine unumstößliche Tatsache zu sehen, dass die Eltern in jeder Hinsicht unschuldig und Opfer einer staatlichen Verschwörung zu ihrer Tötung waren. Erst in späteren Jahren, so schildert es Robert Meeropol überzeugend, öffneten sich die Brüder für eine differenziertere Sichtweise.

Zu dieser Entwicklung trug wesentlich bei, dass Robert Meeropol und sein Bruder, unterstützt von engagierten Anwälten, aber auch Nichtregierungseinrichtungen wie dem National Security Archive, die US-Behörden immer wieder zwangen, im Rahmen des Freedom of Information Act (FIOA) zehntausende Seiten von Akten über den Fall von Ethel und Rosenberg herauszugeben. Besonders wichtig war dabei die Veröffentlichung der sogenannten Venona-Dokumente, der entschlüsselten sowjetischen Funksprüche aus den Jahren zwischen 1941 und 1949.

Ab Mitte der 90er Jahre begannen die Brüder die Möglichkeit zu akzeptieren, dass Julius Rosenberg zwar kein Atomspion gewesen war, also im Sinne der gerichtlichen Anklage und Verurteilung tatsächlich unschuldig, er aber auf Grund seiner Überzeugung als Kommunist dem sowjetischen Geheimdienst dennoch wichtige militärische und technische Informationen übermittelt hatte. Ethel und Julius Rosenberg, so urteilt ihr jüngster Sohn, hatten formal gesetzwidrig, aber unter den konkreten historischen Umständen dennoch legitim gehandelt. Aus Sicht der in den USA Herrschenden und Regierenden hatten sie allerdings schwerste Schuld auf sich geladen, weil sie als Kommunisten dem bestehenden System Widerstand entgegengesetzt hatten.

Robert Meeropol: Als die Regierung entschied, meine Eltern umzubringen. Der Fall Rosenberg. Ein Sohn erzählt. Zambon Verlag, Frankfurt am Main. 382 S., br., 15 €.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2010


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