Obama sucht einen Obersten Richter
Konservative haben am höchsten Gericht der USA zur Zeit die Mehrheit
Von John Dyer, Boston *
Die Ernennung eines Nachfolgers für den im Juni ausscheidenden Obersten Richter David Souter
wird für USA-Präsident Barack Obama auch ein Test seiner Unabhängigkeit. Die ihn tragenden
Gruppen fordern schon die Berufung eines Kandidaten mit Minderheiten-Hintergrund, zumindest
aber einer Frau.
Mit der Berufung eines Richters für das oberste amerikanische Gericht, den Supreme Court, steht
Präsident Barack Obama schon zu Beginn seiner Amtszeit vor einer großen gesellschaftspolitischen
Herausforderung. Nach der Ankündigung des 69-jährigen Verfassungsrichters David Souter, dass er
zum Ende der Sitzungsperiode im Juni ausscheiden wolle, begannen die verschiedenen
Einflussgruppen, ihre Wünsche anzumelden. Verfassungsrichter werden auf Lebenszeit berufen.
Ihre Ernennung bedeutet also auch eine Weichenstellung weit über die Amtszeit des Präsidenten
hinaus. Derzeit gelten sieben der neun Richter als konservativ, auch der 1990 von Präsident George
H. Bush ernannte Souter. Doch votierte er häufig »liberal«.
Für Obama kann diese Berufung innenpolitisch ein Glücksfall werden, denn er »ist in der seltenen
Lage, dass er bei der Auswahl sehr viel Freiheit hat«, erklärte Christopher Eisengruber von der
Princeton Universität, Autor eines Buches über die Wahl von Verfassungsrichtern. Der Präsident
beruft zwar, doch muss der Senat seinen Vorschlag bestätigen. Seit dort der Republikaner Alan
Specter die Seiten gewechselt hat, kann Obama wohl mit der für die Zustimmung notwendigen
Mehrheit rechnen.
Der »U.S. Supreme Court« ist die letzte Instanz für US-Amerikaner, die sich in ihren
Verfassungsrechten beeinträchtig fühlen. Seine Entscheidungen müssen mit Mehrheit getroffen
werden. Es ist also absehbar, dass Obama einen liberalen Richter bestimmen wird, um ein
Gegengewicht gegen die konservative Mehrheit zu schaffen. Obwohl er selber Jurist ist, hat der
Präsident schon deutlich gemacht, dass er keinen Paragrafenreiter bevorzugt. »Ich werde jemanden
suchen, der versteht, dass Gerechtigkeit keine Sache abstrakter Rechtstheorien oder von Fußnoten
in Rechtskommentaren ist«, sagte er kürzlich. »Es geht auch darum, wie unsere Gesetze das
tägliche Leben der Menschen berühren, ob sie sich ihren Lebensunterhalt verdienen, für ihre
Familien sorgen können, ob sie sich sicher in ihrem Heim fühlen und gut aufgehoben in ihrer
eigenen Nation.«
Es scheint möglich, dass Obama keinen der amtierenden Bundesrichter bestimmt. Als einer der
ersten Namen wird der des ehemaligen Gouverneurs von Kalifornien, Earl Warren, genannt. Hinter
den Kulissen hat der Kampf um Einfluss auf die Präsidentenentscheidung schon begonnen. Die
Linke plädiert für einen Minderheitenvertreter oder eine Frau. Überfällig wäre aus ihrer Sicht ein
asiatischstämmiger oder ein hispanischer Richter. »Wenn Obama keine Frau beruft, wird er bei den
politischen Kreisen, die ihm selber wichtig sind, viel zu erklären haben«, meint Harvard-
Rechtsprofessor Mark Thushnet.
Die konservative Rechte bereitet sich ebenfalls schon auf einen Kampf gegen jeden Kandidaten vor,
der für Homosexuellen-Rechte oder für das Recht auf Abtreibung eintritt. »Der Präsident und die
Senatoren müssen sich davor hüten, einen linken Justiz-Aktivisten zu benennen«, erklärte etwa
Wendy Long vom konservativen Judicial Confirmation Network. Trotz der absehbaren Mehrheit der
Demokraten wollen die Republikaner im Senat nicht von vornherein jeden Kandidaten akzeptieren.
Durch Specters Wechsel stellen die Demokraten derzeit 59 Senatoren. Die Regeln des Senats
sehen bei Ernennungsbestätigungen eine notwendige Mehrheit von 60 Mitgliedern vor. Noch ist der
Rechtsstreit um die Senatorenwahl in Michigan nicht abgeschlossen. Aber die Demokraten gehen
davon aus, dass der Wahlsieg ihrer Kandidaten dort bestätigt werden wird. Dennoch sieht auch der
demokratische Senator Charles Schumer aus New York voraus, dass »eine Reihe von
Republikanern versuchen werden, jede Berufung des Präsidenten zu verhindern.« Andererseits, so
der als moderat geltende Senator Lindsay Graham aus South Carolina, sei die genaue Prüfung der
Kandidaten schließlich ihre Aufgabe. Er wolle keinen designierten Obersten Richter unfair
behandeln, sagte Graham. »Aber es ist notwendig, ihre Rechtsphilosophie und ihre Erfahrung zu
durchleuchten.« Der Präsident will die Nominierung und Senatsbestätigung bis zum August
abgeschlossen haben.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2009
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