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Wie Angst und Hass geschürt werden

Philip Schläger über die Neue Rechte in den USA

Von Viktor Grossman *

Die Lektüre lässt erschaudern. Detailliert beschreibt Philip Schläger die Bedrohung der USA durch extreme Kräfte, die sich schon längst der Republikanischen Partei bemächtigt haben und am 6. November die Ernte ihrer jahrelangen Unterwanderung einzufahren hoffen: das Weiße Haus zu erobern.

Mitt Romney, einst als moderat geltend, vor allem aber ein Karrierist, der seine Ansichten stetig ändert, so es ihm nützt, würde beim Sieg der Rechten im Präsidentenwahlkampf wohl weniger entscheidend sein als Paul Ryan, der designierte Vize-Präsident. Er ist der Hoffnungsträger der führenden Köpfe der Tea Party: jung, rechts, angriffslustig. Wie einst der Vizepräsident von Bush jun., Dick Cheney, soll Ryan garantieren, dass das Boot USA weiter auf rechtem Kurs segelt. Und dies meint, wie Schläger deutlich benennt: Die Milliardäre und Millionäre, die kleine Oberschicht der USA, die sogenannten »Ein-Prozent«, sollen noch weniger besteuert, ihre immensen Profiteinnahmen nicht beschnitten werden, auch wenn dies die Wirtschaft weiter ruiniert, die Luft und die Böden verseucht und das Weltklima verschlechtert. Dafür sollen Sozialmaßnamen, auch jene, die noch aus der Amtszeit von Franklin D. Roosevelt stammen, weiter abgebaut, am besten gänzlich abgeschafft werden. Das öffentliche Rentensystem und das Gesundheitswesen sollen privatisiert werden, Obamas halbe Gesundheitsreform will man rückgängig machen. Der Staat soll keine Essenmarken für Arbeits- und Obdachlose zahlen. Schulen wie Gefängnisse sollen noch eiliger privatisiert werden. Die Nationalparks und der Artenschutz wie auch die bereits geringe Subventionierung von Kunst und Kultur seien auf dem Altar der Profitmacherei zu opfern, Frauenrechte, in langem opferreichen Kampf durchgesetzt, wieder zu streichen. Ryan will die Abtreibung verbieten, auch bei Inzest, Vergewaltigung oder gesundheitlicher Gefahr für die Frau; Abtreibung gilt als »Mord«. Die Ehe zwischen Homosexuellen verbiete die Bibel. Die Klimaerwärmung sei ein Schwindel der Wissenschaftler!

Wie konnten diese Neandertaler so stark werden? Schläger informiert: Murdock, der Mann, der Fox News kontrolliert, den wichtigsten Fernsehkanal, wie auch die Zeitung mit der größten Auflage, das »Wall Street Journal«, und das Massenblatt »New York Post«, lässt täglich Millionen von US-Amerikanern einflüstern, Obama würde von ihnen höhere Steuern einfordern, um Taugenichtse durchzufüttern. Der derzeitige Präsident sei kein echter US-Bürger, stamme aus Kenia, sei Muslim und wolle die Scharia, Sozialismus, Kommunismus oder gar Faschismus einführen. Begriffliche Unwissenheit wird ausgenutzt, um Angst zu schüren. Und alter Rassedünkel bricht durch: Die Weißen, die einst regierten, werden nun von ihren früheren Dienern, den Schwarzen und Latinos, beherrscht. Um solchen Unsinn in die Köpfe von Millionen US-Amerikanern zu hämmern, geben auch die Gebrüder Charles und David Koch Unsummen aus, die mit ihren Pipelines, Chemie- und Düngemittelfabriken sowie Papiermühlen jährlich um die 100 Milliarden Dollar Gewinn machen. Sie gehören zu den mächtigen Sponsoren der Tea Party. Weitere zahlkräftige Verbündete sitzen in der Öl-, Agrar-, Pharma- und Rüstungsindustrie. Ihnen geht es nicht nur um die Gewinnung von Kansas und Utah, sondern der USA und der ganzen Welt.

Was tut Obama dagegen? Das Buch verheimlicht nicht seine schwache Gegenwehr, sein Einknicken vor dem Gegner. Und dennoch, er habe etwas für die Armen, Kranken und Schwachen, für Frauen, Kinder, Schwarze und Schwule getan. Seine Außenpolitik ist zwar fast so aggressiv wie die seiner Vorgänger, er stellt sich jedoch immerhin den Kriegsabsichten Israels gegen Iran in den Weg. Die Occupy-Aktivisten, auf die er sich hätte stützen können im Kampf gegen die Rechten, ließ er indes nach anfänglicher schwachen Bejahung auseinanderjagen.

Schläger vermag nicht vorauszusagen, ob Obama bei einem Sieg nach links rücken oder erneut enttäuschen würde. Er macht aber klar, was für eine große Gefahr Romney und Ryan, die rassistische Tea Party und die hinter ihr stehenden Milliardäre bedeuten. Dieses Buch sei allen interessierten Zeitgenossen empfohlen.

Philip Schläger: Tea Party, Republikaner und die Politik der Angst. Amerikas neue Rechte. Rotbuch. 286 S., br., 14,95 €.; ISBN 978-3-86789-149-3

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. Oktober 2012


Schwerkrank oder halbtot?

Der Amerikanische Patient - ein Befund von Josef Braml

Von Reiner Oschmann **


Die Diagnose Josef Bramls (Jg. 1968), ähnelt der Ausgangslage eines jüngst erfolgreichen Amerika-Romans von Gary Shteyngart: Die USA führen erdölhungrig Krieg, sie haben die Weltmachtführung verloren, eine Restaurationsregierung agiert ratlos gegen den »Islamofaschismus«, und der geschwächte Dollar ist nur etwas wert, wenn er an den chinesischen Yuán gekoppelt wird.

Der Autor, der als Berater der Weltbank und in der ersten Kammer des US-Kongresses (Abgeordnetenhaus) gearbeitet hat, formuliert einen alarmierenden Befund. Bei der Buchvorstellung in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, wo er mit dem früheren Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit, Karsten D. Voigt (SPD), über die Krankheitsschwere des Patienten stritt, sagte Braml: Die Wirtschafts-, Finanz- und Energieprobleme der USA sind heute so groß, dass die Regierung nicht mehr frei handlungsfähig ist. Die politischen Gewalten, Legislative und Exekutive, blockieren sich zunehmend, weil es nichts mehr zu verteilen gibt, nachdem man lange auf Pump gelebt hat. Diese Handlungsunfähigkeit wirkt sich auf die Welt, auch auf Deutschland, aus.

Braml schreibt: »Zwar erheben die Vereinigten Staaten nach wie vor den Anspruch, eine liberale Weltordnung amerikanischer Prägung aufrechtzuerhalten, doch die wirtschaftliche Schwäche und die Einschränkungen der politischen Führung hindern sie zunehmend daran, ihre globale Ordnungsfunktion wahrzunehmen.«

Der Autor attestiert Herzrhythmusstörungen der US-amerikanischen Wirtschaft und Gesellschaft: in der Auto- und Immobilienbranche, der Infrastruktur und im Konsum (»wo soll die wirtschaftliche Kraft herkommen, wenn immer mehr Amerikaner als Konsumenten ausfallen?«). Die Arbeitslosigkeit liege entgegen offiziellen Angaben bei 20 Prozent. Ein Rekordhaushaltsdefizit sei erreicht, das Energiedilemma evident. »Amerikas Abhängigkeit von importiertem Öl ist zum wirtschaftlichen Problem und sicherheitspolitisch relevanten Thema geworden. Um die Energieressourcen und Handelswege zu sichern, hat Washington bisher auf die kostspielige Strategie massiver Militärpräsenz gesetzt. Diese Strategie lässt sich wegen der schlechten sozioökonomischen Verfassung Amerikas und wegen des schwindenden innenpolitischen Rückhalts im eigenen Land nicht länger aufrechterhalten. « Deshalb werden die USA die Lasten der für sich beanspruchten weltweiten Führung auf die Alliierten abzuwälzen versuchen.

Der brisante Untertitel, der einen drohenden Kollaps beschwört, wird in der verdienstvollen Untersuchung nur im Abspann behandelt. Voigt äußerte bei der Buchvorstellung die Vermutung, der Titel verdanke sich verlegerischem Kalkül. Er verkenne die Probleme der USA nicht, sie besitze jedoch große dynamische Fähigkeiten. Eine Besonderheit der US-Amerikaner bestehe darin, »dass die sich in der Verzweiflung nicht gemütlich einrichten«. Braml stimmte zu. Er schreibe Amerika nicht ab, »aber Amerika muss umsteuern, weil Arbeit, Kapital und Know How nicht mehr stimmen«.

Josef Braml: Der amerikanische Patient – Was der drohende Kollaps der USA für die Welt bedeutet. Siedler-Verlag: München 2012. 222 S., geb., 19,99 €.; ISBN: 978-3-886-80998-1

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 18. Oktober 2012


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