Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Obama-Regierung lahmgelegt

Republikaner blockieren US-Haushalt / Zwangsurlaub für 800 000 Staatsdiener

Von Olaf Standke *

Das Haushaltsjahr 2014 begann in den USA am Dienstag im Finanznotstand: Nach dem Scheitern einer nächtlichen Krisensitzung im Kongress für einen Übergangsetat hat das Weiße Haus rund 800 000 Staatsbedienstete in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt.

Erstmals seit 17 Jahren stehen US-Bürger wieder massenhaft vor verschlossenen Behördentüren. Anträge für Renten, staatliche Krankenversicherungen oder Führerscheine werden nicht bearbeitet. Auch staatliche Museen und Nationalparks bleiben landesweit zugesperrt; öffentliche Dienstleistungen wie die Müllentsorgung kommen zum Erliegen. Tausende Familien verlieren zudem vorübergehend ihr Einkommen. Weil sich Republikaner und Demokraten im Kongress nicht über einen Übergangshaushalt einigen konnten, hat die Regierung den »Government Shutdown« angeordnet, fährt große Teile der Verwaltung herunter und muss rund 800 000 der 2,1 Millionen Staatsbediensteten in unbezahlten Zwangsurlaub schicken. Im Weißen Haus sind davon 1300 der 1700 Mitarbeiter betroffen. Der letzte derartige Stillstand unter Präsident Bill Clinton dauerte 21 Tage.

Ausnahmen gelten nur für Angestellte in der Grundversorgung und in Sicherheitsbereichen, z.B. Soldaten, Mitarbeiter an Grenzposten oder in Krankenhäusern. Doch obwohl Präsident Barack Obama dem Pentagon finanzielle Mittel per Gesetz garantiert hat, hält das Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI etwa einen Militäreinsatz in Syrien auf absehbare Zeit kaum für realistisch. Die Kreditwürdigkeit der USA leidet vorerst nicht, doch warnt die Ratingagentur Standard & Poor‘s bereits vor einer Rückstufung. Zumal eine weitere umkämpfte fiskalische Entscheidung ansteht: Bis zum 17. Oktober muss sich der Kongress auf eine Erhöhung der Schuldenobergrenze von bislang 16,7 Billionen Dollar (12,4 Bill. Euro) einigen. Andernfalls droht den USA die Zahlungsunfähigkeit; sie könnten dann keine Kredite mehr aufnehmen – mit verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Der Führer der demokratischen Senatsmehrheit Harry Reid sprach gestern von einem »sehr traurigen Tag für unser Land«. Der Etatstreit eskalierte, weil die von der rechten Tea-Party-Bewegung getriebenen Republikaner versuchen, Obamas wichtigstes innenpolitisches Projekt zu blockieren: seine Gesundheitsreform. Die Konservativen, die das Repräsentantenhaus dominieren, wollen einen Übergangshaushalt an Maßnahmen koppeln, mit denen die Umsetzung von »Obamacare« um ein Jahr verzögert werden würde. Seit Dienstag können die Bürger in speziellen Internetbörsen die Preise von Krankenversicherungen vergleichen, ab dem 1. Januar 2014 wird der Abschluss einer Police Pflicht.

Der Präsident warf den Konservativen jetzt »Erpressung« vor. Und ein Kompromiss ist vorerst nicht abzusehen. »Wir werden nicht in den Vermittlungsausschuss gehen, wenn eine Waffe an unseren Kopf gesetzt wird«, betonte Reid.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. Oktober 2013


Washington im Etat-Dilemma

Die Rechnung der Republikaner könnte am Ende wieder nicht aufgehen

Von John Dyer, Boston **


John Boehner ist eine zentrale Figur im US-Haushaltsstreit. Der integre Republikaner steht zwischen der rechten Tea-Party und dem Weißen Haus – und muss ein Ende fürchten wie vor 17 Jahren, als seine Partei nach dem »Shutdown« der Regierung Clinton die nächste Wahl verlor.

John Boehner steckt in der Falle. Kurz vor Beginn des Haushaltsnotstands in den USA hielt der Sprecher des Repräsentantenhauses am Montag gegen Mitternacht eine Rede vor seinen republikanischen Kollegen. Seine Worte zum ersten »Shutdown«, der »Abschaltung der Regierung«, seit 17 Jahren klangen widersprüchlich. Und zeigten, wie verfahren der Budgetstreit zwischen den Republikanern mit der staatskritischen Tea Party in ihren Reihen und den Demokraten mit einem unnachgiebigen Weißen Haus ist. »Ich bin nicht gekommen, um die Regierung zu schließen«, sagte der Abgeordnete aus Ohio. »Das amerikanische Volk will keinen Shutdown und ich will ihn auch nicht.« Wenige Minuten später war es 1. Oktober und die Regierung von Barack Obama regiert seither ohne gültigen Haushalt und daher ohne Genehmigung des Parlaments, staatliche Gelder auszugeben.

Boehner gilt parteiübergreifend als integer. Doch die meisten US-Amerikaner sehen diesen Budgetnotstand als Kernstück seiner dreijährigen Arbeit als Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus. Ihm wird vorgehalten, der auf Staatsferne setzenden rechten Tea-Party-Gruppe in seiner Fraktion erlaubt zu haben, die Zustimmung zum Haushalt des Präsidenten von der Verschiebung der Gesundheitsreform Obamas abhängig zu machen. Der hat die um ein Jahr verzögerte Inkraftsetzung von Teilen seines Programms abgelehnt. Aus Sicht der Republikaner trägt er deshalb die Schuld an der Situation. Aber das Argument ist schwach, denn die »Obamacare« genannte Reform wurde 2010 vom Kongress gebilligt, der Präsident wurde danach wiedergewählt und das Oberste Gericht hat die umstrittenen Teile für rechtens erklärt.

In einer Umfrage von CNBC vom Montag sprachen sich 59 Prozent der US-Amerikaner dagegen aus, die Gesundheitsreform und das Haushaltsgesetz miteinander zu verknüpfen. Nur 19 Prozent waren dafür. Die Umfrage lässt vermuten, dass Boehners Ruf nach der vorübergehenden Schließung und Zwangsbeurlaubung mehrerer Hunderttausend Staatsangestellter ähnlich leiden könnte wie der von Newt Gingrich, der als republikanischer Fraktionschef 1996 die Regierung des demokratischen Präsidenten Bill Clinton gut drei Wochen lang auf Eis legte. Die Rechnung bekamen Gingrich und die Republikaner bei den folgenden »Zwischenwahlen« zum Kongress präsentiert: Sie erlitten eine deutliche Niederlage.

»Sie können kein Lösegeld dafür erpressen, dass Sie Ihren Job machen«, hatte sich Präsident Obama noch am Montag an die Republikaner gewandt. Es sei Aufgabe der Abgeordneten, seinem Haushalt zuzustimmen. Die Gesundheitsreform könnten sie ohnehin nicht aufhalten. Zwar formierte sich im republikanischen »Caucus« (Fraktion) eine Gruppe moderater Abgeordneter, die mit den Demokraten einen befristeten Übergangshaushalt beschließen wollten. Doch Boehner konnte die Tea-Party-Vertreter nicht gewinnen. Und ohne ihre Stimmen geht nichts im konservativ dominierten Repräsentantenhaus.

Was sich jetzt abgespielt hat, macht einen neuen Trend in der US-amerikanischen Politik deutlich. Kongressmitglieder, vor allem der Tea-Party-Gruppe, kümmern sich viel stärker um die Belange ihres Wahlkreises als um das Wohlergehen des Landes. Viele Abgeordnete fürchten, dass bei den Zwischenwahlen 2014 die Wähler ihre Stimme lieber einem energischen Kritiker des Systems in Washington geben als einem moderaten.

»Boehner ist der falsche Mann zum falschen Zeitpunkt«, meint denn auch Politologe James Thurber von der American University. »Er hat eine Fraktion, die er nicht kontrollieren kann.« In der Tat kann John Boehner die Tea Party nicht zufriedenstellen und wird zugleich von den Moderaten unter den Republikanern zunehmend kritisiert. So auch von Dana Rohrabacher aus Kalifornien. In der Sitzung am späten Montagabend wetterte sie hinter verschlossenen Türen: »Wir haben uns selber in den Kopf geschossen.«

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. Oktober 2013


USA machen dicht

Kompromißversuch gescheitert: Mit Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober ist die Supermacht ohne gültigen Etat. Der Kriegsapparat ist nicht betroffen

Von Klaus Fischer ***


Es ist ein Akt staatlicher Selbstverstümmelung. Die Supermacht USA kann einen Teil ihrer Bundesverwaltung nicht mehr bezahlen, muß Behördenangestellte in Zwangsurlaub schicken, Institutionen schließen und Leistungen aussetzen. Nur der Kriegs- und Geheimdienstapparat bleibt intakt. Ursache ist ein politisches Systemversagen, denn es gibt mit dem Beginn des neuen Haushaltsjahres am 1. Oktober keinen beschlossenen Etat. Nach dem Scheitern einer nächtlichen Krisensitzung im Kongreß – dort sollte am Montag in letzter Minute ein Kompromiß geschlossen werden – hat das Weiße Haus am Dienstag große Teile der Verwaltung geschlossen bzw. deren Tätigkeit auf ein Minimum reduziert. Rund 800000 öffentlich Bedienstete wurden nach Hause geschickt. Betroffene Familien verlieren vorübergehend ihr Einkommen. Erstmals seit 17 Jahren stehen damit die US-Bürger vor verschlossenen Behörden. Ausnahmen gelten – neben dem Militär – nur für Angestellte, die für die grundlegendsten Dinge wie die teilweise staatliche Krankenversorgung verantwortlich sind.

Augenscheinlicher Auslöser der zeitweiligen Staatsstillegung ist die Weigerung der oppositionellen Republikaner im Kongreß, einen Etat passieren zu lassen, solange die Regierung von Präsident Barack Obama an ihrer Gesundheitsreform festhält. Auch nach Auslaufen der Frist um Mitternacht (Ortszeit) war keine Einigung zwischen den Abgeordneten der Demokratischen und der Republikanischen Partei in Sicht. Der Vorschlag, führende Vertreter beider Seiten einen Weg aus der Krise suchen zu lassen, scheiterte. Hauptursache der Turbulenzen ist allerdings die extrem hohe Staatsverschuldung. Sollten Parlament und Regierung bis zum 17. Oktober keine Einigung über die Erhöhung der gesetzlich festgelegten Schuldenobergrenze von derzeit 16700 Milliarden US-Dollar erzielen, drohen weitere ernste Konsequenzen.

Vermutlich wird kaum ein US-Bürger die Situation toll finden, sie etwa als Beleg für eine vermeintlich lebendige Demokratie betrachten. Trotz geschickten Taktierens des Präsidentenlagers – Umfragen zufolge gelten die Republikaner als Hauptschuldige an der Misere – ist das Ganze eine Blamage für die selbsternannten Führer der Welt. Allerdings geht der politische Hickhack noch nicht so weit, die Grundkompetenzen der USA infrage zu stellen: die Dominanz auf den globalen Finanzmärkten und das Vorhalten von überlegener militärischer Macht. Ja, und auch Hollywood sowie das Google-Facebook-Microsoft-Kartell dürften zunächst kaum Nachteile durch das Staatsversagen haben.

So erklärte der Präsident in einer Botschaft an die Truppe, die Soldaten würden trotz der Finanzmisere weiter ihren Sold erhalten. Obama hatte am Montag abend extra ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet. Die vielen Zivilangestellten des Pentagons müssten sich in den kommenden Tagen aber auf »Unsicherheiten« und Urlaub einstellen. Auch die Aktienmärkte zeigten sich am Dienstag weitgehend unberührt von dem »Shutdown« genannten Herunterfahren der US-Bundesverwaltung. Zuletzt war der US-Staatshaushalt zwischen Dezember 1995 und Januar 1996 »eingefroren«. Der Stillstand unter Präsident William Clinton dauerte 26 Tage. (Quellen: dpa, Reuters)

*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 2. Oktober 2013


Fiskalische Zwangsjacke

Von Olaf Standke ****

Sagt Ihnen der Name Newt Gingrich noch etwas? Zuletzt scheiterte der Rechtsaußen kläglich bei den US-Präsidentschaftsvorwahlen. Doch der Republikaner war einmal ein mächtiger Mann. Mitte der 90er Jahre wollte er Bill Clinton aus dem Weißen Haus kippen, und sein Hebel sollte der »Government Shutdown«, die fiskalische »Abschaltung der Regierung« sein. Am Ende wurde der Demokrat für weitere vier Jahr gewählt. Eine Mehrheit der Bürger hatte die Blockadepolitik satt. Doch offensichtlich sind die Konservativen nicht klüger geworden. Denn obwohl das demoskopisch erfasste Unverständnis erneut sehr groß ist, nimmt die einflussreiche Tea-Party-Bewegung den Kongress und letztlich das ganze Land gleichsam wieder in Geiselhaft.

Barack Obamas Gesundheitsreform samt Krankenversicherung für alle ist in den Augen dieser Marktradikalen der Einfall des Kommunismus in das Reich der unbegrenzten Freiheit. Das bringt Beifall in erzkonservativen Wahlkreisen und sichert ihr Mandat. Um das sozialpolitische Vorzeigeprojekt des Präsidenten wenigstens zu verzögern, boykottieren sie den Haushalt für das nächste Fiskaljahr, sodass die Regierung ihre Verwaltungsaufgaben nicht wahrnehmen kann. Da gleichzeitig nicht weniger heftig um eine erforderliche Erhöhung der Schuldenobergrenze gestritten wird, droht der – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – größten Volkswirtschaft der Welt demnächst sogar die völlige Zahlungsunfähigkeit. Dann mit Folgen, die weit über die USA hinausreichen könnten.

**** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. Oktober 2013 (Kommentar)


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