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DARPA, die Forschungsstätte des Pentagon – Einzigartiges Waffenlabor des US-Militärs

Ein Beitrag von Thomas Horlohe in der Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Christoph Heinzle (Moderation):
Wir bleiben in den USA – und bei einer Einrichtung, die ähnlich wie die Spezialkräfte von einem besonderen Mythos umweht ist. DARPA, das weltweit wohl einzigartige Forschungslabor des US-Verteidigungsministeriums. Ein bisschen denkt man dabei an James Bond und seine technischen Spielereien, wenn man von den Entwicklungen der Forschungseinrichtung hört. Doch viele Ergebnisse der Agentur haben sich längst im militärischen Alltag bewährt. Thomas Horlohe blickt hinter die Kulissen:


Manuskript Thomas Horlohe

Eine Behörde, die für Innovationen zuständig ist? Erfolgreich, seit über 50 Jahren? Und das im Heimatland des Fortschritts durch freie Marktwirtschaft, den USA? Geleitet von einer Frau? – Ja. Die „Defense Advanced Research Projects Agency“, abgekürzt DARPA, die Behörde für fortschrittliche Forschungsprojekte des US-Verteidigungsministeriums, ist schon etwas Besonderes. Der breiten Öffentlichkeit ist sie nahezu unbekannt, zumal in Deutschland. Bei Technikfreaks hingegen ruft das Kürzel DARPA Bewunderung und Begeisterung hervor. Wer einmal dort gearbeitet hat, ist voll des Lobes, wie William Coblenz in einem Werbevideo der DARPA:

O-Ton Coblenz (overvoice)
„Es ist der aufregendste Arbeitsplatz in der öffentlichen Verwaltung, den man sich überhaupt vorstellen kann. Man kann in Bereichen tätig sein, in denen man nie zuvor gearbeitet hat. Man bekommt die wirklich harten Nüsse zu knacken und genügend Ressourcen, um die Richtung der Forschung zu beeinflussen, national und weltweit.“

Mit wenig mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist die DARPA eine kleine Behörde mit flacher Hierarchie. Unter der Direktorin gibt es sechs Forschungs- und Technologiebereiche und darunter nur noch die Arbeitsebene der Projektmanager und ihrer Stellvertreter, etwa 120 an der Zahl. Eigene Labors oder Forschungszentren hat die DARPA nicht. Sie vergibt ausschließlich Forschungsaufträge an Hochschulen und Industrie. Der Haushalt der DARPA beträgt derzeit drei Milliarden US-Dollar. Das entspricht zwar nur 3,7 Prozent aller Mittel, die das US-Verteidigungsministerium für Forschung und Entwicklung ausgibt. Aber dieses Geld wird für die wissenschaftlich und technisch anspruchsvollsten und ehrgeizigsten Vorhaben aufgewandt. Das macht die DARPA zu einer Art Traumfabrik des US-Militärs, mit Projekten irgendwo zwischen Science Fiction, Genialität und Wahnsinn.

Ein Beispiel: „Multilingual Automatic Document Classification, Analysis and Translation“, kurz MADCAT - ein Programm zur automatisierten Übersetzung und Inhaltsanalyse fremdsprachiger Dokumente. Intelligente Maschinen sollen erbeutete Briefe, Zeitungsartikel, Flugblätter, Notizen auf Fotos, aber auch Grafitti oder den Inhalt von Festplatten aus dem Arabischen ins Englische übersetzen. 30 Millionen US-Dollar hat die DARPA bereits hierfür investiert. Im laufenden Haushaltsjahr sollen es weitere 20 Millionen sein.

Für das US-Militär ist das gut angelegtes Geld, denn Fremdsprachenexperten, die arabische Sprachen und Dialekte beherrschen, sind bei Militär und Nachrichtendiensten äußerst knapp und wegen ihrer langen Ausbildungszeiten auch teuer. Übersetzungscomputer wären die ideale Abhilfe. Sie sind billiger, schneller, beliebig vermehrbar und ermüden nicht.

Der konkrete Nutzen für das Militär wird noch deutlicher, wenn man sich das Kommandounternehmen gegen Osama bin Laden im letzten Jahr in Erinnerung ruft. Im pakistanischen Versteck des Top-Terroristen wurden zahlreiche Dokumente und Datenträger erbeutet. Hätte dieses Material schneller ausgewertet werden können, wären Anschlussaktionen gegen das Al QaidaNetzwerk sehr viel früher und mit größeren Aussichten auf Erfolg möglich gewesen.

Das MADCAT-Projekt ist nur eines von mehreren, mit denen die DARPA einem Strukturproblem von US-Militär und Nachrichtendiensten beizukommen versucht: Sie drohen in der Datenflut zu ertrinken. Besonders seit dem dramatischen Anstieg der Einsätze von Aufklärungsdrohnen, übrigens auch eine DARPA-Erfindung, werden mehr Bilddaten gesammelt, als ausgewertet werden können. Die DARPA lässt automatisierte Erkennungs- und Auswertungssysteme für Videoaufzeichnungen entwickeln. Aus der Fülle des Bildmaterials sollen vordefinierte Sequenzen herausgefiltert werden können, z.B. Personen die etwas vergraben. Im März letzten Jahres zeigte DARPA-Direktorin Regina Dugan vor einem Kongressausschuss auf, wie die Datenflut kanalisiert werden kann:

Zitat Dugan
„Automatisierte Systeme können Menschen für die Aufgaben frei halten, die sie am besten erledigen können und Computern solche Tätigkeiten überlassen, die am besten von Maschinen bewältigt werden. Wenn wir erfolgreich sind, dann kommen wir künftig mit der doppelten Zahl von Bildauswertern aus, statt einer Verfünfzehnfachung, die notwendig wäre, wenn wir weiter mit herkömmlichen Methoden arbeiten.“

Alle Projekte der DARPA sind sehr ehrgeizig, wie beispielsweise neue Methoden, um die viel zu langen Entwicklungszeiten für Rüstungsprojekte radikal zu verkürzen. Andere Vorhaben sind genial, wie „Stealth“, die erfolgreiche Tarnkappen-Technologie, die Flugzeuge für Radar unsichtbar macht, oder die Absicht, Satelliten künftig im Weltraum aus Komponenten zusammen zu setzen, statt sie in einem tonnenschweren Stück in ihre Umlaufbahn zu katapultieren. Andere Projekte klingen fantastisch, wie Armprothesen, die durch einen Mikrochip im Gehirn gesteuert werden, oder die Vorstellung, aus Metadaten sozialer Netzwerke sicherheitspolitisch wichtige Ereignisse vorhersagen zu wollen. Unkonventionell sind die Versuche, die Hacker-Gemeinde für die Entwicklung von Angriffs- und Abwehrwaffen im „World Wide Web“ einzuspannen und unter den Mitarbeitern der IT-Branche ein Cyber-Reservistenkorps zu rekrutieren.

Bisher jedoch geben ihre Erfolge der DARPA Recht. Wir können uns täglich selbst davon überzeugen. Wenn wir über das Internet E-Mails versenden oder mit Smartphone und Navi die künstlichen Sterne des „Global Positioning System“ anpeilen, dann dank früherer DARPA-Visionen, die Wirklichkeit geworden sind.

Die DARPA ist bei alledem auf eine enge Zusammenarbeit mit Hochtechnologieunternehmen, Hochschulen und den Forschungs- und Entwicklungszentren der Teilstreitkräfte angewiesen. Dort rekrutiert sie auch ihr Personal. Die Projektmanager bleiben meist nur drei bis fünf Jahre. Wie die Ansprüche, ist auch die Fluktuation hoch. Das sorgt für Flexibilität und Innovationstempo, wie Steven Welby beschreibt, der vom Projektmanager zum Bereichsleiter für Taktische Technologien aufstieg:

Zitat Welby
„Alle arbeiten mit befristeten Verträgen. Sie sind hier, um etwas zu erreichen. Die Uhr läuft. Jeder hat den Ehrgeiz, den Stand der Technik voran zu treiben, mit anspruchsvollen Terminsetzungen. Wenn jedes Jahr 25 Prozent Ihres Personals wechselt, dann können Sie blitzartig umsteuern und schnell etwas bewegen. Ich würde nie ein Unternehmen auf diese Art führen. Aber um Motor für Innovationen zu sein, ist das perfekt.“

Die engen, fast symbiotischen Beziehungen zu Universitäten und Industrie haben der DARPA aber auch Kritik und Korruptionsvorwürfe eingetragen. Anfang letzten Jahres wurde bekannt, dass die DARPA Aufträge in Millionenhöhe an ein Rüstungsunternehmen vergeben hat, das DARPA-Direktorin Dugan zusammen mit ihrem Vater gegründet hatte. Der oberste Rechnungsprüfer des Pentagon ermittelte. Aber Regina Dugan blieb im Amt. Ganz offenbar muss mehr geschehen, bevor sich das Pentagon von Spitzenwissenschaftlern trennt. Schließlich hängt die militärische Überlegenheit der USA maßgeblich von ihrer technologischen Überlegenheit ab.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 10. März 2012; www.ndr.de/info


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