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Die blanke Heuchelei

Pax Pentagon – der Krieg als Frieden verkauft

Von Karl Drechsler

Einen Versuch, das zu leisten, wozu das internationale Recht gegenwärtig offenkundig nicht in der Lage ist, nennt Michael Mandel sein Buch. Ihm geht es darum, »die USA und ihre Komplizen der Verbrechen anzuklagen, die sie an den Menschen im Irak, in Afghanistan und Jugoslawien begangen haben«. Das Rechtssystem unserer Tage sei zwar in der Lage, »die Feinde der USA bis ans Ende der Welt zu verfolgen«, Amerika aber selbst lasse es »ungeschoren davonkommen«, meint der Professor an der York University in Toronto.

Das Völkerrecht, insbesondere die Charta der Vereinten Nationen sowie die Urteile der Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio, verbieten jeden Einsatz militärischer Gewalt eines Staates gegen einen anderen. Es gibt lediglich zwei präzis formulierte Ausnahmen. Der Einsatz von Gewalt ist erlaubt erstens auf der Grundlage einer gültigen, eindeutigen Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und zweitens im Rahmen des eng definierten »naturgegebenen Rechts auf Selbstverteidigung«. Davon ausgehend qualifiziert Mandel das Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten im Kosovo 1999, in Afghanistan 2001 und im Irak 2003 als völkerrechtswidrig und illegal, als unmoralisch, ungerechtfertigt und unnötig. Jeder dieser Kriege müsse nach Buchstaben und Geist der UN-Charta als »größtes internationales Verbrechen« eingestuft werden. Der Kosovokrieg und die Bombardierung Jugoslawiens waren keine »humanitäre Intervention«, wie die USA unter Bill Clinton und die NATO behaupteten. Die Vereinigen Staaten verfolgten imperiale Interessen und geostrategische Ambitionen. Der Konflikt zwischen dem serbischen Staat und den Kosovo-Albanern wurde von ihnen ausgenutzt, um Führungsrolle zu demonstrieren und ihr Hegemoniestreben nicht nur auf dem Balkan, sondern generell durchzusetzen. Die 78 Tage dauernde Bombardierung Jugoslawiens mit etwa 25 000 Bomben und Raketen, die Tötung Hunderter Zivilisten sowie der auf 60 bis 100 Milliarden US-Dollar geschätzte wirtschaftliche Schaden sind durch nichts zu rechtfertigen, so Mandel. Auch der Krieg gegen Afghanistan war keine »Selbstverteidigung gegen den Terrorismus«, wie die US-amerikanische Administration behauptete. Das Land am Hindukusch diente Terroristen zwar als Unterschlupf und Operationsbasis. Das war aber keine Bedrohung der USA, die eine Invasion gerechtfertigt hätte.

Besonders ausführlich argumentiert Mandel im Fall des Irak-Krieges. Da das Land in keinerlei Hinsicht über das militärische Potenzial verfügte, um die USA oder einen ihrer Verbündeten angreifen zu können, gab es auch keinen Anspruch auf Selbstverteidigung. Wer anfangs noch geglaubt hatte, der Krieg diene der Befreiung der Iraker, wurde angesichts des wachsenden Widerstandes großer Teile der Bevölkerung gegen die amerikanischen Besatzer bald eines Besseren belehrt. Und wo, fragt Mandel, bleiben Humanität und Menschenrechte in einem Krieg, der inzwischen Zehntausende Menschenleben gekostet hat und dessen Ende nach wie vor nicht abzusehen ist?

Breiten Raum widmet der Autor dem Internationalen Strafgerichtshof für Jugoslawien (IStGHJ). Bei dessen Gründung waren die USA die treibende Kraft, während sie den (allgemeinen) Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag nach wie vor nicht anerkennen. Mit den vom IStGHJ geführten Prozessen gegen Slobodan Miloševic und andere Angeklagte geht es nach Meinung von Mandel nicht primär darum, in Jugoslawien verübte Kriegsverbrechen zu ahnden. Die Hauptaufgabe des Gerichtes sei es vielmehr, den völkerrechtswidrigen Krieg der USA und der NATO in Jugoslawien zu rechtfertigen. Und das serbische Volk soll davon überzeugt werden, dass es mit der Duldung und Unterstützung von Miloševic die Bombardierungen selbst verursacht und damit verdient habe. Dagegen gingen beim IStGHJ zahlreiche Anzeigen von Organisationen und Personen aus der ganzen Welt ein. Sie forderten, Anklage auch gegen Spitzenvertreter der USA und der NATO zu erheben. Namentlich genannt wurden George W. Bush, Ronald Rumsfeld, Condoleezza Rice, Tony Blair, Javier Solana und andere. Mit der Ablehnung dieser Anträge durch die Richter des IStGHJ und die ansonsten gnadenlose Chefanklägerin Carla del Ponte wurde deutlich, dass es sich bei diesem Gericht um keine Rechtsinstitution, sondern ein Instrument US-amerikanischer Politik handelt. Die vom IStGHJ geführten Prozesse können nur als Farce angesehen werden. Sie sind geprägt von blanker Heuchelei, »die Hommage des Lasters an die Tugend«.

Der Rezensent hat zwei kritische Bemerkungen: Für Mandel steht außer Frage, die Amerikaner und ihre Verbündeten haben schwere Verbrechen begangen, doch das bedeute nicht, dass deren Gegner unschuldig seien. Trotz dieses Statements laufen seine konkreten Darlegungen dann aber teilweise (eventuell ungewollt) darauf hinaus, Miloševic von seinen schweren Verbrechen mindestens partiell zu entlasten und ihn fast vom Täter zum Opfer zu machen. Zweitens: Die Kritik an Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen, ist wohl doch überzogen. Sicherlich hat dieser in den hier behandelten Fragen Positionen der USA übernehmen bzw. sie sogar unterstützen müssen. Bei vielen anderen schwerwiegenden Entscheidungen hat er sich aber – im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten – dem Druck aus Washington widersetzt.

Mandel stellt mehr oder weniger resignierend fest: Obwohl die USA und ihre Verbündeten illegale Kriege geführt und Kriegsverbrechen begangen haben, mussten sie sich dafür bisher vor keinem Gericht verantworten. Es wäre auch eine Illusion, in absehbarer Zeit etwas anderes zu erwarten. Das internationale Strafrecht der Gegenwart ist eben leider hart nur gegenüber den Schwachen, aber mild gegenüber den Starken. Die konstruktiven Prinzipien, die die Charta der Vereinten Nationen und die Kriegsverbrecherprozesse von Nürnberg und Tokio zur Ächtung von Kriegen entwickelt haben, kommen im internationalen Recht unserer Tage nur ungenügend oder gar nicht zur Geltung.

Michael Mandel: Pax Pentagon. Wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen. Zweitausendeins, Frankfurt (Main) 2005. 448 S., br., 15 EUR.

Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2006


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