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Hoffnungsträger in der Krise

Über zwei Drittel der US-Amerikaner glauben, dass der neue Präsident sein Wahlversprechen vom Wandel in Washington wahr machen kann

Von Max Böhnel, New York *

Am Tag vor der historischen Vereidigung des ersten schwarzen Präsidenten des Landes gedachten die US-Amerikaner gestern Martin Luther Kings. Barack Obama würdigte die herausragende Bedeutung des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers für die Einheit der Nation. Bereits am Sonntag hatten Hunderttausende mit einem Open-Air-Konzert in Washington den politischen Wechsel gefeiert. Die Show zur Amtseinführung des 44. Präsidenten der USA wird heute um 12 Uhr Ortszeit ihren Höhepunkt erreichen, wenn Obama mit der Hand auf der Bibel den Amtseid leistet.

Zweieinhalb Stunden dauerte das Spektakel. Unter dem Motto »We are one« (Wir gehören zusammen) heizten Pop-Größen wie Bruce Springsteen, Sheryl Crow und Steve Wonder, U2, Beyoncé, Jon Bon Jovi und Shakira Hunderttausenden am bitterkalten Lincoln Memorial ein. Und Barack Obama, seine Frau Michelle wie die beiden Töchter Malia und Sasha sangen kräftig mit.

Große Probleme, große Erwartungen

Da dürfte die traditionelle Zeremonie vor dem Westflügel des Parlamentsgebäudes heute auf dem Kapitolsberg etwas steifer werden und der neue Präsident in seiner rund 15-minütigen Rede wohl an das offizielle Motto der Inaugurationsfeiern anknüpfen: »Renewing America's Promise«, das amerikanische Versprechen erneuern. Angesichts der politischen und sozialen Probleme, die sich aufgetürmt haben, wird Obama ab sofort allerdings nur noch an seinen Taten gemessen.

Doch von einem grauen Alltag mit bangen Fragen war in den Tagen vor der Inauguration in großen Teilen der Bevölkerung keine Rede. Die Erwartungshaltung an die Obama-Regierung ist groß – zu groß, wie viele Beobachter aus Wirtschaft und Politik meinen. Tatsächlich herrscht in Umfragen vom Wochenende trotz der verheerenden Wirtschaftskrise und der internationalen Brandherde, die selbst in den USA nicht zu übersehen sind, überwältigender Optimismus vor. Viele erhoffen sich von dem 47-Jährigen, dass er das Abrutschen der USA von der Rezession in eine Depression verhindert. Laut »Washington Post« und »ABC-News« glauben über zwei Drittel, dass Obama sein Wahlversprechen vom »change« (Wandel) in Washington wahr machen werde. Sie halten ihn für »ehrlich« und »vertrauenswürdig«, für eine »starke Führungsfigur« und einen »guten Krisenmanager« sowie für ideologisch »auf der richtigen Seite«. 79 Prozent der Befragten finden ihn »gut«. In den meisten Umfragen befürworten auch Republikaner seine Präsidentschaft.

Das erinnert an die »Obamanie« aus den Wahlkampfzeiten. Was sich heute in Washington abspielt, wird die damaligen Rekorde sogar noch toppen. In den Medien ist die Rede von der »größten Feier der Geschichte«. Man schätzt, dass 1,5 bis vier Millionen Menschen das geschichtsträchtige Ereignis miterleben wollen. Der Ausnahmezustand, der seit Tagen in der Hauptstadt herrscht, ist auf jeden Fall schon rekordverdächtig. Das größte Sicherheitsaufgebot aller Zeiten in der Stadt am Potomac sieht weit über 40 000 Kräfte vor, darunter 10 000 Mitglieder der »National Guard«, 7500 Soldaten und 25 000 Polizisten – Obama versprach übrigens »die offenste Vereidigungsfeier der Geschichte«.

Dabei werden die Brücken über den Fluss für den Normalverkehr gesperrt. Wer eine der 250 000 Eintrittskarten für die Vereidigung ergattern konnte, muss scharfe Kontrollen über sich ergehen lassen. Die meisten werden die Zeremonie in klirrender Kälte und auf einem Dutzend von Großbildschirmen mitverfolgen. Das gilt auch für die Parade auf der Meile zwischen Kongress und Weißem Haus, die sich der Vereidigung anschließt, und das künstlerische Rahmenprogramm von der »Queen of Soul« Aretha Franklin bis zum Klassikquartett mit dem Cellisten Yo-Yo-Ma und dem Geiger Itzhak Perlman. Gleich nach Obamas Rede wird dessen Freundin, die Dichterin Elisabeth Alexander, ein eigens von ihr verfasstes Gedicht vortragen.

Volksverbundenheit auf der Schiene

»Wir werden die Stimme der Durchschnittsamerikaner nach Washington tragen«, hat der designierte Präsident in seiner Radioansprache am Wochenende gesagt, als auch eine geschichts-trächtige Eisenbahnfahrt begann. Familie Obama begab sich auf die Spuren von Abraham Lincoln, der vor 148 Jahren zu seiner Amtseinführung in die Hauptstadt reiste. Mehrere Hunderttausend Menschen jubelten an der Strecke den Obamas zu, über 200 Kilometer von Philadelphia, wo 1776 die Unabhängigkeitserklärung verabschiedet wurde, bis nach Washington. In Wilmington im Bundesstaat Delaware stiegen der zukünftige Vizepräsident Joseph Biden und seine Frau zu. Eine solche Fahrt neuer Präsidenten war einst Bestandteil der politischen Kultur in den USA. Biden übrigens absolvierte in den letzten 36 Jahren als Senator täglich die Strecke Wilmington-Washington und zurück per Bahn, ohne sich in der Hauptstadt niederzulassen.

Den Montag (19. Jan.), den traditionell arbeitsfreien »Martin Luther King Day« zum Gedenken an den Geburtstag des ermordeten Bürgerrechtlers, hatte das Übergangsteam des designierten Präsidenten zum Tag freiwilliger Gemeindearbeit ausgerufen. Obama selbst pries dazu auf der Webseite »Youtube«, wo er mindestens ein Mal in der Woche millionenfach aufgerufene Botschaften laufen lässt, das neu eingerichtete Internet-Werkzeug usaservice.org. Hunderttausende US-Amerikaner begaben sich zu Informationsveranstaltungen in öffentlichen Schulen, kochten in Suppenküchen für Arme und leisteten anderweitig Freiwilligenarbeit. Bürgerrechtler und Linke versuchen, den 1986 eingerichteten Feiertag, der jeden dritten Januarmontag begangen wird, landesweit wieder so zu gestalten, wie er eigentlich gedacht war – und die Menschen zu politisieren.

Für den heutigen Abend sind sämtliche Veranstaltungsräume der Bundeshauptstadt seit Wochen ausgebucht. Denn auch zehntausende Politiker, Lobbyisten und Prominente aus dem ganzen Land wollen sich im Rahmen des Personalwechsels im Weißen Haus positionieren – alte Kontakte bewahren, neue knüpfen und sich selbst finanziell wie politisch absichern. Vordergründig handelt es sich bei den Dutzenden von Bällen in Frack und Abendkleid um ein exklusives Vergnügen. Doch geht es vor allem um politische »backdoor deals« (Hinterzimmergeschäfte). Für die Klatsch- und Mainstreampresse steht dagegen im Vordergrund, wie viele Bälle das neue Präsidentenpaar besucht. Die Clintons hatten mit 14 in der einen Nacht einst einen Rekord aufgestellt.

Forderung ans FBI: Bush sofort verhaften

Die linke Prominenz trifft sich ab 18 Uhr in Smoking und Stola zur »Friedensgala« im Postmuseum in der Nähe des Hauptbahnhofs. Mit dabei sind unter anderem Harry Belafonte, Joan Baez, Alice Walker und Amy Goodman. Die linken Feministinnen der Aktionsgruppe »Codepink« werden den ganzen Tag über bei den Zuschauern Armbänder mit der Aufschrift »promises« (Versprechen) verteilen. Wie viele Demonstranten sich vor dem FBI-Hauptquartier einfinden werden, wusste am Wochenende niemand so recht. »Ein paar Hundert vielleicht«, sagte ein Aktivist gegenüber ND. Ihre Forderung: »Bush sofort verhaften«.

Amtseid mit Symbolwert

Protokoll ist Politik. Daher enthält das von der Verfassung diktierte Ritual des Eids während der Amtseinführung politische Fingerzeige. Barack Obamas Entscheid etwa, dem konservativen Evangelikalen Rick Warren zu seiner Inauguration die Hauptpredigt zu übertragen, ist weniger eine Botschaft des verheißenen »Wandels« (Change), mit der der Senator ins Weiße Haus kommt, als sein Signal, möglichst viele Denk- und Glaubensrichtungen einzubinden.

Auch das kulturelle Begleitprogramm ist so wertkonservativ gewählt, dass sich mancher aus Obamas Anhang im falschen Film wähnt – Beruhigung und Einbindung statt Polarisierung und Aufbruch. Wobei es Verständnis gibt für den Entschluss, in Zeiten der Wirtschaftskrise keine deplatzierte Partylaune zu verbreiten. Doch nicht junge Künstlerinnen wie Beyoncé werden auftreten, sondern künstlerischer Aufwiegelung unverdächtige Entertainer wie die Soul-Queen Aretha Franklin (66). Sie sang bereits für Martin Luther King und Bill Clinton und empfing von Bush die Medal of Freedom (höchste zivile Auszeichnung der USA). Franklin ist Verbeugung vor Christentum, Familie und Beständigkeit – kein Symbol des Wandels, doch eine geschickte Wahl.

Der 20. Verfassungszusatz, 1933 verabschiedet, legt Zeit und Datum des Amtseids am 20. Januar auf 12 Uhr fest. In den Anfangsjahren der Nation, als es noch schwierig war, im Winter zu reisen, fand die Amtseinführung im März statt. Obamas Vereidigung ist die 56. eines Präsidenten seit George Washington 1789. Obgleich seitdem viele Elemente hinzukamen, sind die wichtigsten Schritte im Wesentlichen unverändert geblieben: Der Eid wird im Kapitol, dem Sitz von Senat und Repräsentantenhaus, an der Westseite des Gebäudes mit Blick auf die National Mall abgelegt – so, wie es seit Amtseinführung von Thomas Jefferson (3. Präsident) 1801 geschieht. Er war der Erste, der in Washington ins Amt eingeführt wurde, seine beiden Vorgänger Washington und John Adams leisteten den Eid noch in Philadelphia.

In der Zeremonie, seit 1949 im Fernsehen übertragen, wird Obama vor einem Richter – heute der Präsident des Obersten Gerichtshofs, John Roberts, – den in Artikel II, Absatz I der Constitution festgelegten Eid schwören: »Ich gelobe feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten getreulich verwalten und die Verfassung der Vereinigten Staaten nach besten Kräften erhalten, schützen und verteidigen will.« Nach dem Eid umreißt der 44. Präsident in einer Einführungsrede die großen Linien seiner vierjährigen Amtszeit. R.O.



* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2009


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