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Auch künftig gibt es unterschiedliche Interessen

Karsten D. Voigt über die Erwartungen an Barack Obama

Karsten D. Voigt gehört zu den führenden deutschen Experten in Fragen der Sicherheitspolitik und war von 1983 bis 1998 außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Seit 1999 ist der 67-Jährige Koordinator für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Mit ihm sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Olaf Standke.



ND: Der erste schwarze Präsident im Weißen Haus, das ist für die USA ein historischer Tag. Auch für den Rest der Welt?

Voigt: Natürlich, weil es zeigt, dass die USA in der Lage sind, sich innen- und außenpolitisch zu erneuern.

Nur ist Obama nach acht desaströsen Amtsjahren von Bush die Projektionsfläche so vieler Hoffnungen, gerade auch in Europa, dass Enttäuschungen programmiert scheinen.

Deshalb ist es so wichtig, darauf hinzuweisen, dass bei allen Erwartungen, die man zu Recht an Barack Obama und seine Regierung richten kann, Interessen- und Meinungsunterschiede zwischen einer Weltmacht USA und einer europäischen regionalen Macht wie Deutschland auch in Zukunft nicht völlig ausbleiben werden.

Gilt Obama eigentlich als nachtragend? Schließlich hat ihm Bundeskanzlerin Merkel einen Wahlkampfauftritt vor dem Brandenburger Tor verweigert.

Das wird keine Rolle spielen bei der Zusammenarbeit, im Gegensatz zu den Chancen neuer Gemeinsamkeiten. Und die gibt es ganz offensichtlich, wie etwa bei der Frage einer engagierten Politik gegen die Gefahren des Klimawandels. Aber es ist auch zu erwarten, dass die neue US-amerikanische Führung beim Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle sehr initiativ sein wird.

In Deutschland sind noch immer taktische Atomwaffen aus den USA stationiert. Rechnen Sie mit deren Abzug? Wird es eine konkrete Initiative aus Berlin geben?

Ich halte es für wichtig, dass die Zahl der Atomwaffen in der Welt insgesamt drastisch reduziert wird. Dazu sind amerikanische Vorstöße allemal, aber auch russisch-amerikanische Initiativen notwendig. Es ist das Ziel wichtiger Leute in der neuen Administration, Nuklearwaffen in der Welt insgesamt abzuschaffen. Da sind einige Atomwaffen, die in Deutschland lagern, eher von symbolischer Natur und weniger von militärstrategischer Bedeutung. Diese Frage hat im US-Wahlkampf praktisch keine Rolle gespielt, anders als die Abrüstung von nuklearen Interkontinentalraketen.

Ein wichtiges Symbol für die verheerende Politik Bushs ist das Gefangenenlager Guantanamo. Der neue Präsident hat die schnelle Schließung versprochen, aber er braucht wohl die Hilfe der Europäer, wenn es um die Aufnahme ehemaliger Häftlinge geht. Wird Deutschland sie leisten?

Zumindest Bundesaußenminister Steinmeier ist bereit dazu. Wie das dann konkret aussehen wird, hängt natürlich auch davon ab, mit welchen Wünschen die amerikanische Regierung an Deutschland herantritt und um welche Personen es sich handelt.

Bundesinnenminister Schäuble sieht aber keine Möglichkeiten.

Es ist offensichtlich, dass es in dieser Frage unterschiedliche Auffassungen gibt, so etwas kann in einer Koalition schon einmal passieren.

Das ist mit Blick auf Guantanamo durchaus symptomatisch für die gesamte EU. Die Bush-Regierung hat in der Vergangenheit zum Beispiel versucht, das »alte« und das »neue« Europa gegeneinander auszuspielen. Auch Obama scheint es nicht leichter zu machen, mit einer Stimme gegenüber den USA aufzutreten.

Das hängt von den Themen ab. Beim Thema Klimawandel wird es nicht nur eine gemeinsame europäische Stimme, sondern auch gemeinsame europäisch-amerikanische Initiativen geben müssen, um andere Länder wie Russland, Indien und China dazu zu bringen, ihre CO2-Emission ebenfalls zu reduzieren. Bei anderen Fragen wie dem prinzipiellen Umgang mit Russland spielen verschiedene historische Erfahrungen wie die unterschiedliche geostrategischen Lage natürlich eine Rolle. Deshalb wird es da lebhafte Diskussionen geben. Aber das ist in Bündnissen normal.

Der neue Präsident hat Afghanistan zur zentralen Front im Kampf gegen den Terrorismus erklärt und will die Zahl der US-amerikanischen Soldaten dort verdoppeln. Muss Deutschland mit ähnlichen Forderungen rechnen?

Die Deutschen haben ja gerade die Zahl ihrer Soldaten dort erhöht. Im Übrigen geht es nicht nur um Soldaten, es geht auch um Polizisten, es geht um die politisch-wirtschaftliche Stabilisierung in Afghanistan und in Pakistan.

Die Bundesrepublik wird also mit einem ganzheitlichen Sicherheitskonzept in die Gespräche um eine neue Afghanistan-Strategie der NATO gehen?

Das wird sicher auf deutscher Seite so sein, aber ich sehe auch Ansätze für eine ähnlich gerichtete Diskussion in den Vereinigten Staaten.

Die künftige Außenministerin Hillary Clinton hat jetzt bei ihrer Senatsanhörung gesagt, die Welt erwarte Führung durch die USA. Sie auch?

Das ist das Selbstverständnis der USA, dass sie als Weltmacht unverzichtbar sei. Aber die neue Führung hat auch deutlich gemacht, dass sie Partner braucht, um globale Probleme wie den Klimawandel, den internationalen Terrorismus oder regionale Konflikte wie den zwischen Israel und den Palästinensern zu lösen.

Nachdem die Konturen der künftigen Politik unter Präsident Obama deutlicher werden, befürchten Kritiker, dass die Veränderungen möglicherweise nur atmosphärisch, aber nicht substanziell sein werden. Haben Sie da mehr Hoffnung?

Ich habe mehr Kenntnisse. Es wird natürlich grundlegende inhaltliche Veränderungen geben, über die Themen Klimawandel und nukleare Abrüstung haben wir schon gesprochen. Und für die Bürger in den USA ist etwa die veränderte Orientierung in der Gesundheitspolitik sehr substanziell. Andererseits wird es auch Kontinuität geben, und zwar die einer Weltmacht, die bei der Lösung der globalen Probleme in dem Bewusstsein handelt, dass ihr Engagement nicht nur gut für die USA ist, sondern letzten Endes auch den Idealen der Demokratie und der Marktwirtschaft in anderen Teilen der Welt dient. Diese Verbindung von Macht und Idee ist typisch für die US-Politik. Da gibt es unterschiedliche Varianten, die liberale wird jetzt durch Obama repräsentiert.

Zahlen & Fakten

Der USA-Präsident wird gern als mächtigster Mann der Welt bezeichnet. Denn er steht an der Spitze des weltweit einflussreichsten Staates. Laut Verfassung ist er Staats- und Regierungschef in einem, außerdem Oberkommandierender der Streitkräfte. Damit kann er Truppen in einen Krieg schicken und muss erst nach 90 Tagen dem Parlament Rechenschaft darüber ablegen. Er hat auch die Kontrolle über die zahlreichen Atomwaffen der Supermacht.

Der Präsident hat das letzte Wort bei der Gesetzgebung. Vorlagen, die zuvor im Kongress (Parlament) mit seinen beiden Kammern Repräsentantenhaus und Senat mit Mehrheit verabschiedet wurden, können nur mit seiner Unterschrift in Kraft treten. Er kann auch jedes Gesetz durch ein Veto stoppen. Zudem ernennt er die Richter des Obersten Gerichts (Supreme Court), die über wichtige verfassungsrechtliche und gesellschaftspolitische Fragen entscheiden.

Die Machtfülle des Präsidenten wird durch die Gewaltenteilung beschränkt. Sein Veto gegen ein Gesetz etwa kann der Kongress mit Zweidrittelmehrheit überstimmen. Ohne die Zustimmung des Senats tritt ohnehin kein Gesetz in Kraft. Um ein Gesetz durchzubringen, sind 60 der 100 Senatsstimmen erforderlich. Die Republikaner können also mit ihrer 41-Stimmen-Minderheit Gesetzesvorhaben blockieren. Zu den Befugnissen des Oberhauses zählt auch das Mitspracherecht bei der Besetzung hoher Staats- und Regierungsämter.

Ein wichtiges Privileg des Repräsentantenhauses ist sein Initiativrecht in der Haushalts- und Steuergesetzgebung. Daneben können die Abgeordneten Untersuchungsausschüsse einsetzen, um Fehler und Versäumnisse des Präsidenten aufzudecken.

Der Präsident kann nur für eine weitere Amtsperiode wiedergewählt werden. Einzige Möglichkeit, einen US-Präsidenten gegen seinen Willen abzusetzen, ist ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment). Dafür braucht der Senat eine Zweidrittelmehrheit. ND



* Aus: Neues Deutschland, 20. Januar 2009


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