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Obamas Kabinett mit vielen "Clintonistas"

Dank Wirtschaftskrise wurde die Regierung in Rekordzeit formiert

Von Reiner Oschmann *

Heute (15. Dezember) wird der neue USA-Präsident vom Wahlmännergremium bestimmt. Die Mannschaft von Barack Obama steht inzwischen weitgehend. Am Wochenende erst präsentierte Obama Shaun Donovan als künftigen Wohnungsbauminister. Der arbeitete bereits unter Bill Clinton in der Regierung und ist damit typisch für das künftige Kabinett, das der Demokrat in Rekordzeit formiert hat.

Am Sonnabend (13. Dez.) der Architekt und bisherige Chef der Wohnungsbaubehörde von New York Shaun Donovan, der Wohnungsbauminister werden soll, kurz zuvor der ehemalige Mehrheitsführer im Senat Tom Daschle, der als Gesundheitsminister eine Reform der Krankenversicherung in den USA durchsetzen soll, und der Physik-Nobelpreisträger Steven Chu, der als Energieminister für die grünen Ambitionen des künftigen Präsidenten steht - Barack Obamas Kernmannschaft ist inzwischen formiert. Das Personalkarussell hatte nicht nur rasch Fahrt aufgenommen, es wird auch dicht umlagert: 300 000 Bewerbungen für 3300 Posten im Zuge des Amtswechsels sind aktenkundig. Das ist ebenso rekordreif wie das Tempo, in dem der 44. Präsident sein Team für den Amtsantritt formiert. Weder Vorgänger von Obamas Demokraten noch republikanische Präsidenten wie Ronald Reagan oder beide Bushs hatten zu diesem Zeitpunkt ihr Kabinett und wichtige Beraterfunktionen annähernd gut besetzt.

Neben Obamas Bemühen, in dieser Frage nicht die Fehler etwa eines Bill Clinton zu begehen, wirken heute besondere Zwänge. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagte der künftige Stabschef des Weißen Hauses, Rahm Emanuel. »Wir haben die schlimmste Lage seit der Weltwirtschaftskrise und den größten Kriegseinsatz unserer Truppen seit Richard Nixon.«

Die Tatsache, dass zu Obamas Kernmannschaft viele Politiker zählen, die unter Clinton (1993-2001) dienten, und die frühere First Lady sogar Außenministerin wird, wirft Fragen auf: Ist Obamas eigenes Reservoir zu klein, und welchen inhaltlichen Kurs lässt das erwarten? Obama sagt dazu, er schätze wie sein Vorbild Abraham Lincoln »starke Persönlichkeiten und starke Meinungen«. Er habe keine Scheu, auch Personen an seinen Tisch zu holen, die nicht als Ja-Sager aufgefallen sind.

Der Rivalitätsaspekt lenkt das Augenmerk besonders auf die Berufung Hillary Clintons. Bis zur Nominierung war sie auch von angeblichen »Insidern« ausgeschlossen worden. Auf keinem Gebiet hatten sich Obama und Clinton während der Vorwahlen erbitterter attackiert als in der Außenpolitik. Er warf ihr vor, dass sich ihre außenpolitische Erfahrung darauf beschränke, mit Botschaftern Tee getrunken zu haben. Sie akzeptiert nun, Außenamtschefin eines Mannes zu werden, dessen außenpolitische Meriten doch »mit einer einzigen Rede 2002« begonnen und geendet hätten. Stellt man ihren Ehrgeiz in Rechnung, womöglich irgendwann einen neuen Anlauf auf die Präsidentschaft zu wagen, wird die Frage noch drängender, was Obama bewog, ihr das State Department anzutragen.

Mehrere Faktoren dürften dazu beigetragen haben: Sie gehört zu den gescheitesten USA-Politikern - und ist auf dem prestigeträchtigsten Kabinettsposten ganz an die Weisungen des Präsidenten gebunden. Außerdem hofft er mit ihr Pluspunkte bei US-amerikanischen Juden zu sammeln. Clinton hat sich stets als klare, nicht selten einseitige Unterstützerin Israels gezeigt. Diesen Bonus in den Augen jüdischer Wähler besitzt Obama nicht.

Der Rückgriff auf »Clintonistas« wie den künftigen Wirtschaftsberater Lawrence Summers (einst Finanzminister), UNO-Botschafterin Susan Rice, Handelsminister Bill Richardson, Justizminister Eric Holder oder Stabschef Emanuel ist weniger überraschend, als es scheint. Kein Präsident der Demokraten kann auf Erfahrungen von Beratern verzichten, die unter dem letzten demokratischen Präsidenten vor Obama gesammelt wurden. Und das war Clinton. Zudem haben einige »Clintonistas« früh auf Obama gesetzt, etwa Clintons Sicherheitsberater Tony Lake.

Problematischer unter dem Blickwinkel versprochenen »Wandels« stimmt die Tatsache, dass Obamas Wirtschafts- und Finanzleute meist sogenannte New Democrats aus der Clinton-Ära sind, Politiker und Berater wie der bisherige New Yorker Notenbankpräsident und neue Finanzminister Tim Geithner, die maßgebend zur Schleusenöffnung für die Märkte beigetragen haben, die als Ursache für den heutigen Kollaps des Turbokapitalismus gilt. Auch der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber James Jones als künftiger Nationaler Sicherheitsberater und der alte wie neue Verteidigungsminister Robert Gates signalisieren nicht nur die Kompromisse, zu denen sich Obama gegenüber dem Pentagon in Zeiten zweier Kriege genötigt sieht. Beide Männer erinnern daran, auf welch schmalem Grat sich der junge Präsident gerade in der Militärpolitik bewegt.

So sind auch Neuinterpretationen des angekündigten Truppenrückzugs aus Irak innerhalb von 16 Monaten zu bewerten. Obama macht »heute klarer als je zuvor« (»New York Times«), dass Zehntausende Soldaten in Irak bleiben, auch wenn es zum Rückzug aller Kampftruppen in der genannten Frist kommt. Laut »New York Times« könnte sich die Zahl der verbleibenden Militärs, deren Aufgabe in der Ausbildung von Irakern, logistischer Hilfe und »dem Schutz amerikanischer Zivilisten« bestünde, »sogar auf bis zu 70 000 belaufen - weit über 2011 hinaus«. Das wäre fast die Hälfte der 146 000 Mann, die derzeit in Irak stehen. Noch langsamer als die Mühlen der Geschichte mahlen wohl manchmal die Mühlen des »Change«.

Hintergrund - Electoral College

Eigentlich stimmen die US-amerikanischen Wähler nur indirekt über ihren Präsidenten ab. Denn alle vier Jahre am Dienstag nach dem ersten Montag im November bestimmen sie Wahlmänner und -frauen für den Bundesstaat oder Bundesdistrikt, in dem sie wohnen. Die Zahl dieser Elektoren hängt von der Bevölkerungsstärke des jeweiligen Staates ab. In den meisten davon gewinnt der Präsidentschaftskandidat alle Delegierten für das »Electoral College« (Wahlmännerkollegium), der die Mehrheit der Stimmen erringt.

Die Elektoren küren ihrerseits 41 Tage nach dem Wahltag den Staatschef und seinen Stellvertreter. Am heutigen Montag geben die 538 Männer und Frauen in den 50 Bundesstaaten und in der Hauptstadt ihre Stimmen für den 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten in versiegelten Umschlägen ab. Diese werden anschließend an den Kongress weitergeleitet.

Das Wahlmännerkollegium geht auf frühere Vorstellungen von Demokratie zurück. Für die Väter der USA-Verfassung galt im Jahr 1789 als Volkswille noch der Wille der Gebildeten. Mit diesem System sollte die Einflussnahme ungebildeter Schichten beschränkt werden. Festgeschrieben ist es im zweiten Artikel der Verfassung der Vereinigten Staaten. Zwei Mal wurde der Wahlvorgang durch Verfassungsänderungen angepasst - 1803 durch den 12. Zusatzartikel und 1961 durch den 23. Zusatzartikel.

Wie sich das Kollegium entschieden hat, erfährt die Öffentlichkeit am 6. Januar, dem ersten Sitzungstag des neu gewählten Kongresses. Dann öffnet der Präsident des Senats die Umschläge, und die Stimmzettel werden in Anwesenheit der Mitglieder beider Kammern ausgezählt. Für den Einzug ins Weiße Haus sind 270 Stimmen erforderlich. Am 4. November dieses Jahres konnte Barack Obama 365 Wahlmänner gewinnen.
Sta



* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2008


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