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Der Krieg geht weiter

Obama verteidigt Drohnenmorde, deutet aber neue Einsatzregeln an. Appell an Kongreß, Auflösung des Guantánamo-Gefangenenlagers nicht länger zu blockieren

Von Knut Mellenthin *

In einer mit Spannung erwarteten Rede hat Barack Obama sich am Donnerstag in der National Defense University – einer Art Weiterbildungsanstalt für berufserfahrene Militärs – zur Zukunft des »Kriegs gegen den Terror« geäußert. Neben der selbstverständlichen, aber unbestimmten Aussage, daß dieser Krieg nicht ewig dauern dürfe, betonte der US-Präsident auch die Notwendigkeit, diesen weltweit fortzusetzen. Dabei schloß er ausdrücklich den Einsatz bewaffneter Drohnen ein – unter Umständen auch, wie in Pakistan, gegen den erklärten Willen der dortigen Regierung. Ein zweites wichtiges Thema seiner Rede war das Gefangenenlager im Stützpunkt Guantánamo auf Kuba, wo immer noch 166 Menschen ohne Aussicht auf einen rechtsstaatlichen Prozeß festgehalten werden. Obama hatte zu Beginn seiner Amtszeit die Auflösung des Lagers versprochen, war aber am heftigen Widerstand des Kongresses, einschließlich vieler Abgeordneter und Senatoren seiner eigenen Demokratischen Partei, gescheitert.

Obama hat im Vergleich zu seinem republikanischen Vorgänger George W. Bush die Angriffe unbemannter Flugkörper gegen Ziele in Pakistan vervielfacht. In zwei weiteren Ländern, Jemen und Somalia, hat er überhaupt erst den Drohnenkrieg eingeführt. Die Zahl der Opfer geht in die Tausende, wobei nur von höchstens fünf Prozent der Getöteten wenigstens ihr Name bekannt ist. Im Gegensatz zur Legende vom »gezielten Töten« sogenannter hochrangiger Terroristen sind die meisten Opfer allenfalls einfache bewaffnete Aufständische, die nie im Leben zu einer »direkten Bedrohung« für die USA hätten werden können.

In seiner Rede sprach der Präsident jetzt, wenn auch nur in allgemeiner Form, von den rechtlichen Problemen und vom Schaden für das Ansehen der Vereinigten Staaten, die mit den Drohnenangriffen verbunden seien. Er verwies darauf, daß er einen Tag zuvor eine Anweisung unterzeichnet habe, die »klare Richtlinien« für die Einsätze und deren Kontrolle durch den Kongreß enthalte. Allerdings ist über den Inhalt dieser Presidential Policy Guidance, wie die offizielle Bezeichnung lautet, nichts bekannt. Eine reale Tendenz läßt sich nur anhand der Statistik ablesen oder vermuten: Obama befahl oder genehmigte in seinem ersten Jahr als Präsident, 2009, 53 Angriffe gegen Pakistan, mehr als Bush während seiner ganzen achtjährigen Amtszeit. Ein Jahr später trieb Obama die Zahl sogar auf 117 hoch. Seither ist sie rückläufig, lag allerdings 2012 mit 46 immer noch höher als im letzten Jahr von Bush, der 35 Drohnenattacken gegen Pakistan angeordnet hatte. Falls die Tendenz der ersten fünf Monate anhält, wird sowohl dort als auch im Jemen die Zahl der Angriffe mit unbemannten Flugkörpern in diesem Jahr weiter sinken.

Zu Guantánamo erneuerte Obama seinen Appell an den Kongreß, einer Auflösung des Lagers nicht länger im Wege zu stehen. In seiner bisherigen Zeit als Präsident habe er die Entlassung von 67 Gefangenen in andere Länder veranlaßt, bis ihm der Kongreß sehr enge Beschränkungen auferlegt habe. Diese Blockade sei »sinnlos«, denn schließlich seien unter Bush 530 Gefangene »mit Unterstützung des Kongresses« entlassen worden. Damals habe sich sogar Senator John McCain – Obamas Gegner bei der Präsidentenwahl 2008 – für die Schließung Guantánamos ausgesprochen.

Obama gab in diesem Zusammenhang bekannt, daß er die Anordnung, generell keine Gefangenen aus dem Jemen in ihr Heimatland zu entlassen, aufgehoben habe. Von nun an werde es wieder eine Prüfung jedes Einzelfalls geben. Allerdings war dieses Moratorium von Obama selbst im Januar 2010 verfügt worden. Von 86 Gefangenen, die grundsätzlich entlassen werden könnten, weil gegen sie nichts vorliegt, stammen 56 aus dem Jemen. Republikanische Politiker haben sofort gegen die Ankündigung des Präsidenten protestiert.

* Aus: junge Welt, Samstag, 25. Mai 2013


Obama "verfeinert" Drohnenterror

US-Präsident verspricht wieder einmal Schließung Guantanamos

Von Max Böhnel, New York **


In der ersten großen Rede zur »Antiterror«-Politik in seiner zweiten Amtszeit kündigte US-Präsident Barack Obama eine »Verfeinerung« der Drohnenangriffe an. Zudem versprach er neue Bemühungen zur Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo.

Drohnen würden gegen ausländische Terrorverdächtige ab sofort nur noch eingesetzt, wenn eine Gefangennahme nicht möglich sei, sagte US-Präsident Barack Obama am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) an der National Defense University in Washington. »Wir werden die Souveränität von Staaten respektieren«, versprach er in einer mehr als eine Stunde dauernden Rede. Einen militärischen Einsatz von Drohnen im Luftraum über den USA werde es nicht geben. Ohne gerichtlichen Prozess dürften nur Menschen getötet werden, die eine »dauerhafte und unmittelbare Bedrohung für Amerikaner« darstellten.

Die bisherigen Drohnenangriffe seien immer »angemessen, effektiv und legal« gewesen, so Obama. Im Prinzip sei der Einsatz von Drohnen sowohl nach US-amerikanischem als auch nach internationalem Recht erlaubt, behauptete der Präsident.

Obama versprach ferner einen Vorstoß zur Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba. Er rief den Kongress auf, die Beschränkungen für die Überführung mutmaßlicher Terroristen auf US-Territorium aufzuheben. Das Pentagon werde ein Militärgericht bestimmen, vor dem den Guantanamo-Insassen der Prozess gemacht werden soll. Das Lager sei »in der ganzen Welt zu einem Symbol für ein Amerika geworden, das die Herrschaft des Rechts verspottet«, meinte der Staatschef. Jeder der 166 derzeitigen Insassen koste den Steuerzahler zudem fast eine Million Dollar im Jahr.

Als ersten Schritt kündigte der Chef des Weißen Hauses an, er werde ein 2009 erlassenes Moratorium der Rückführung jemenitischer Guantanamo-Insassen aufheben. Außerdem werde das Außenministerium beauftragt, die Überführung der Gefangenen einzuleiten.

Der US-Präsident kündigte eine »neue Phase« des Antiterrorkriegs an. Aber seine fein kalibrierte Rede signalisierte weder das Ende des Drohnenkriegs noch die baldige Schließung von Guantanamo.

»Wie transparent wird Washington bei neuen Drohnenangriffen sein? Wird es zukünftige Drohnenschläge überhaupt einräumen?«, fragte beispielsweise der Blogger der »New York Times« noch während der Rede. Konkretes hatte der US-Präsident dazu vermissen lassen. Den Geheimdienst CIA, der für das klandestine Programm verantwortlich ist, nannte er erst gar nicht, ebenso wenig seine eigenen Unterschriften unter Tötungsziele.

Die Rechtsanwaltsvereinigung »Center for Constitutional Rights« zeigte sich enttäuscht. Das »neue« Drohnenprogramm Obamas sei nur eine »Verfeinerung«. Darüber hinaus sei die Repatriierung von jemenitischen Guantanamo-Häftlingen zwar zu begrüßen, aber angesichts des derzeitigen großen Hungerstreiks im Lager viel zu wenig. Auch die Aktivistin Medea Benjamin von »Code Pink«, die die Obama-Rede mehrmals unterbrach, äußerte ihre Enttäuschung. Mit dem Ausruf »Werden Sie die Familien unschuldiger Opfer entschädigen?« wurde sie abgeführt.

Kritik von rechts übten die Republikaner. »Die Politik des Präsidenten signalisiert eine Kapitulation vor der Bedrohung durch Al Qaida«, tönte der republikanische Vorsitzende des Kongressausschusses für Innere Sicherheit, Michael McCaul. Senator John McCain sprach von einem »Realitätsverlust«.

** Aus: neues deutschland, Samstag, 25. 2013


Obama rechtfertigt Drohnenmorde

Bisher vier US-Bürger durch unbemannte Flugkörper getötet. Tausende Opfer im Ausland

Von Knut Mellenthin ***


Die USA halten am weltweiten Einsatz bewaffneter Drohnen fest. Presseberichten zufolge wollte Präsident Barack Obama am Donnerstag abend in einer Rede die Aktionen der unbemannten Flugkörper erstmals offiziell rechtfertigen. Bisher hatte er darüber nur andeutungsweise und sehr oberflächlich in Interviews gesprochen. Rund um die Drohneneinsätze herrscht äußerste Geheimhaltung. Nicht einmal die gesetzlichen Grundlagen und Richtlinien, nach denen sie erfolgen, sind der Öffentlichkeit bekannt. Selbst die dafür zuständigen Kongreßausschüsse konnten sich erst vor wenigen Monaten Einsicht in einige der wichtigsten Dokumente erkämpfen. Sie durften allerdings weder ihre Mitarbeiter hinzuziehen noch sich zum eigenen Gebrauch Kopien machen.

Was Obama in seiner vom Fernsehen übertragenen Rede in der National Defense University wirklich sagen würde, war bei Redaktionsschluß nicht bekannt. Allgemein wurde erwartet, daß der Präsident neben den Drohnen auch über die Perspektive des »Kriegs gegen den Terror« und über die Zukunft des US-Gefangenenlagers Guantánamo sprechen würde. Dort werden immer noch 166 Menschen ohne Aussicht auf ein Minimalstandards genügendes Rechtsverfahren festgehalten. Gegen die meisten von ihnen gibt es keine konkreten Vorwürfe. Beim Antritt seiner ersten Amtszeit im Januar 2009 hatte Obama die baldige Auflösung des Lagers versprochen.

Laut Presseberichten will die US-Regierung künftig die Rolle des Militärs beim Einsatz bewaffneter Drohnen vergrößern. Derzeit werden die meisten Angriffe unter der Regie des Auslandsgeheimdienstes CIA durchgeführt. Das hat einige klare innen- wie außenpolitische Vorteile. Daher wird es zumindest in Pakistan, dessen Regierung die US-amerikanischen Drohneneinsätze offiziell ablehnt, fürs erste wohl bei der bisherigen Arbeitsteilung zwischen Streitkräften und CIA bleiben.

Wenige Stunden vor Obamas Rede teilte Justizminister Eric Holder dem Kongreß schriftlich mit, daß seit 2009 vier US-Bürger bei Drohneneinsätzen getötet worden seien. Nur einer von ihnen, der 1971 in New Mexico geborene Anwar Al-Awlaki, der 2011 im Jemen ums Leben kam, sei bewußt und gezielt angegriffen worden. Gegen Awlaki hatte niemals ein Gerichtsverfahren stattgefunden. Während in den USA über mehrere tausend ausländische Drohnenopfer kaum diskutiert wird, ist die gezielte Tötung eigener Staatsbürger ohne Prozeß umstritten.

*** Aus: junge welt, Freitag, 24. Mai 2013


Mächtigster Mann

Obama und Guantánamo

Von Knut Mellenthin ****


Reden zu halten ist eine der wichtigsten Tätigkeiten eines US-Präsidenten. Barack Obama hat seit Beginn seiner Amtszeit im Januar 2009 wenig gesprochen, was sich im Wortlaut nachzulesen lohnt. Der Vortrag, den er am Donnerstag in der National Defense University hielt, kann als rare Ausnahme von der Regel gelten. Zwar fehlte es nicht an den typischen Platitüden wie »Jeder Krieg muß einmal enden« oder »Die Entscheidungen, die wir treffen, bestimmen darüber, wie die Nation – und die Welt – aussehen wird, die wir unseren Kindern hinterlassen«. Außerdem muß man auch in dieser Rede klare, konkrete Aussagen und Willensbekundungen suchen wie die berühmte Nadel im Heuhaufen. Und doch vermittelt der Text den Eindruck eines Menschen, der in Form eines Selbstgesprächs und durch das »Aufwerfen« unbeantworteter Fragen eine Art von selbstkritischer Diskussion anzustoßen versucht.

Es ist seltsam, den angeblich »mächtigsten Mann der Welt« dabei zu beobachten, wie er den Kongreß und indirekt auch die Bevölkerung seines eigenen Landes beschwört, der Auflösung des Gefangenenlagers Guantánamo nicht länger Steine in den Weg zu legen. »GTMO« (Kurzform für Guantánamo Bay Naval Base) hätte niemals errichtet werden dürfen, sagte Obama. »Überall auf der Welt« sei das Lager »zum Symbol für ein Amerika geworden, das die Herrschaft des Rechts mißachtet«. 150 Millionen Dollar jährlich koste »GTMO«, fast eine Million für jeden der 166 dort immer noch eingesperrten Menschen, »die keines Verbrechens angeklagt sind« und die von den USA »auf einem Stück Boden festgehalten werden, der nicht Teil unseres Landes ist«. »Betrachten Sie die derzeitige Lage«, appellierte Obama. »Wir machen Zwangsernährung an Gefangenen, die sich im Hungerstreik befinden. Ist es das, was wir sind? Ist es das, was unsere Gründer beabsichtigten? Ist dies das Amerika, das wir unseren Kindern hinterlassen wollen?«

Der Präsident der Vereinigten Staaten hat es wirklich schwer: Eine große Mehrheit der von ihm Regierten will die Existenz des Lagers verewigen. Schon der Gedanke, daß Gefangene aus »GTMO« in ein Hochsicherheitsgefängnis auf dem Territorium der USA verlegt werden oder gar einen fairen Prozeß bekommen könnten, versetzt die meisten »Patrioten« in Aufruhr. Da läuft der Präsident mit seinem Hinweis, daß aus solchen Gefängnissen noch nie ein Mensch entkommen sei und daß in den USA bereits einige hundert Terroristen verurteilt wurden, von denen viele gefährlicher gewesen seien als die meisten in Guantánamo Eingesperrten, gegen die Wand. Auf diesem Instrument können die Republikaner trefflich spielen, und selbst unter den Politikern seiner eigenen Partei hätte der Präsident nicht viel Rückhalt, wenn er versuchen würde, die Schließung Guantánamos durchzusetzen, wie er es bei seinem Amtsantritt verkündet hatte.

Aber, das sollte Obama als Jurist wissen: Kein Gesetz der USA zwingt irgendeinen Menschen, Präsident zu sein.

**** Aus: junge Welt, Samstag, 25. Mai 2013 (Kommentar)


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