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Wir sind Obama

Reis' Parteitag 01 *

Terrorismus bewirkt einiges, nicht nur Paranoia und volle Kinokassen, auch farbige Präsidenten. Mal ehrlich, Osama und sein Kollege Bush haben Obama erst möglich gemacht. Das ändert nichts an der Tatsache, dass mich Obamas Wahl tief berührt, um nicht zu sagen, beseelt hat. Da ging es mir so wie fast allen Bewohnern unseres globalen Dorfes von Kenia bis Lappland. Alle haben sich gefreut, sehen wir vom maßlos merkwürdigen Medwedew ab, dem Zar Putinistans, der Obamas Wahl mit einer Phalanx von Kurzstreckenraketen zu salutieren gedachte.

Der amerikanische Wählerwille zur Wiedergutmachung war grenzenlos, der Gang zur Urne ein Akt der Katharsis, eine rituelle Reinigung. Obama wurde nicht gewählt, obwohl, sondern weil er schwarz ist. Um sich Bush aus den Poren zu schrubben, mussten sie den Angehörigen einer Minderheit wählen, einen Mann mit einem irisch-kenianischen Chromosomensatz, wahrlich erstaunlich, aber einen Intellektuellen, das ist unfassbar. Das ist so, als würde das nächste Konklave eine minderjährige alevitische Molekularbiologin zum Papst wählen. Diese Päpstin hätte den Vorteil, dass sich der Vatikan leichter reformieren ließe als die USA, die auch fast unter die Fittiche einer Frau gelangt wären. Hillary wäre bestimmt ein prima Präsident geworden, aber sie war's halt schon mal. Nun wird sie Außenminister. Wir haben es an der US-Spitze mit einem Dreigestirn zu tun, ganz karnevalistisch: Prinz Barack, Jungfrau Bill und Bauer Hillary, nicht ausgeschlossen, dass der Bauer seinen Prinz am liebsten opfern würde. Wird Obama hingegen nicht, wie Hillary das mutmaßt, vor Amtsantritt erschossen, dann wird endlich ein Mann US-Präsident, der Aufklärung nicht für die Vorbereitung einer Bodenoffensive hält. Ich könnt heulen vor Rührung, wenngleich Obamas Wahl mein heiles, antiimperialistisches Weltbild auf den Kopf stellt.

McChicken, McNugget, McCain

McCain, der hätte nahtlos in mein Weltbild und in den kulturellen, amerikanischen Gesamtkontext gepasst: McChicken, McNugget, McCain. Und nach dessen Ableben erst, Sarah Palin als mächtigster Mann der Welt, toll, aber Obama? Das ist ein netter Mann, gut, etwas pathetisch: Yes, we can. Stellen Sie sich Angela vor: Ich frage Sie, können wir das? Ja, wir können das. Und warum können wir das? Weil wir das können. Wir würden vermuten, Angela sei auf Ecstasy. Uns befremdet die Agitationsrhetorik mit ihrer einpeitschenden Redundanz. Den charismatischen Politiker hat uns der Goebbels versaut, die Amis dürfen das, aber können sie es auch? Ist Obama nicht doch ein Potemkin'scher Präsident, hinter dem sich ein marodes Volk versteckt? Selbst wenn, es bleibt verblüffend.

Sind das die gleichen Amis, die Bush und Bush gewählt haben? George Bush, haben Sie seine Reden verfolgt? Mich schon: I believe in God and God believes in me. Aber was, wenn das stimmte? Wenn es Gott mal wieder für nötig gehalten hat, durch einen Bush zu uns zu sprechen, warum hat er ihn dann nicht angezündet? Oder wollte uns Gott prüfen? Bush war eine harte Prüfung, eine grausame Plage. Bush war nicht nur fromm, sondern göttlich, nach eigener Einschätzung. Da ist auch was dran, denn anders als unser Stellvertreter, der Ratzinger Sepp, der Interimscoach des Katholizismus, er war ja als Zwischenpapst geplant, quasi als Fristenlösung, die werden sich noch wundern in 40 Jahren, was ein deutsches Provisorium alles kann, anders als Ratzefatz ist Bush ein Zeichen der Offenbarung, denn wie Jesus so ist George das Ebenbild seines Herrn, darum heißt er so: Double You! Verdopple Dich, Bush. Wie der Vater so der Clon. Das war lustig, aber jetzt? Wohin mit meinen fröhlichen Vorurteilen? Bis zum 4. November war ich überzeugt, Halloween sei der einzige Tag, an dem die Amis ihre Maske abnähmen, weil da dieser nachdenkliche Kürbiskopf zum Vorschein kommt, jener dialektisch erleuchtete Gemüseschädel, der zumindest ein Quantum der Zerrissenheit ahnen lässt, welche die Rezeption unserer Welt gebietet. Doofer Ami, das ist doch doppelt gemoppelt wie korrupte Politiker oder religiöser Wahn. Religiöse Vernunft wäre geglaubtes Wissen, das ist ein Widerspruch in sich wie Steuermoral, Marktfreiheit, Radsport oder Krieg gegen den Terror. Si vis pacem, paradoxon. Wer versteht das noch, wir sind alle mit unserem Latein am Ende und Griechisch ist in den meisten US-Bundesstaaten nach wie vor eine Straftat.

Natürlich hab ich die Amerikaner stets beneidet um ihren obsessiven Optimismus, sie konnten auch nie anders, denn Pessimismus ist das Ergebnis von Bildung und Information. Auch ich habe ihre manische Freundlichkeit geschätzt oder zumindest widerstandslos über mich ergehen lassen, ihre geschichtslose Naivität als anmutig empfunden, als den pausbäckigen Charme einer Backfisch-Nation, die in ihrer unbekümmerten Unreflektiertheit so viel kindliche Kraft entfaltete, eben auch so viel kindliche Zerstörungskraft. Obama ist auch als Pädagoge gefragt, wie soll er seinen Landeskindern klarmachen, dass sich Erderwärmung nicht durch den Einsatz großer Klimaanlagen bekämpfen lässt.Bislang beschränkte sich amerikanische Bildungspolitik auf Waffensysteme, aber was passiert, wenn ein aufgeweckter Sprengkopf sein Bewusstsein erweitert? Kriegt die Splitterbombe dann ihren Moralischen und fragt nach dem Sinn: Wer bin ich und wenn ja wie viele? Wozu denken, wo ich doch schon bin? Wozu sein, wo doch nichts wird? Während die Bombe grübelt, peng, da hat es sie schon zerfetzt vor lauter Widersprüchen.

Es wird Obama kaum gelingen, die Amerikaner zu entwaffnen, aber gelingt es unter seiner Ägide, Waffen zu bauen, die klug genug sind, den zu töten, der sie abfeuert? Wenn die Waffen so klug sind, dass Krieg auf Arte übertragen werden muss, dann sinkt die Quote und dann ist Frieden, noch ist es nicht so weit. Obama hat das Glück, keinen Krieg mehr finanzieren zu können, aber drei an der Backe, Afghanistan, Irak und den Bürgerkrieg, demnächst. In irgendeiner Hecke wächst schon der Schütze. Ich habe Angst um diesen Mann und seine Familie, denn für viele Amerikaner ist die Welt nur noch in der Leichtathletik in Ordnung, da steht ein Weißer mit der Pistole am Rand und wenn der schießt, dann rennen die Neger. Ob Obama weiß, dass die Genetiker seiner Streitmacht ein Virus kodiert haben, das nur Schwarze dahinrafft, die Militärs halten das für einen Fortschritt.

Geheilt - und tot

Noch weniger als ihre Sturmgewehre lassen sich die Amis ihre Todesstrafe nehmen, die gehört zur ethischen Folklore. Da sitzt einer seit 37 Jahren in der Todeszelle, wird aber nicht hingerichtet, weil sein Gesundheitszustand es nicht zulässt, jetzt gilt er als geheilt, Pech gehabt. Er kommt auf den Stuhl, dieser Stuhl ist den USA heilig und elektrisch, wie fast alles. Zahnbürsten, Kaminfeuer, sogar Kriegsgefangene werden mit Strom versorgt. Denken Sie an Guantánamo, alle Häftlinge in trendigem Orange, der Farbe der Entsorgung. Nichts gegen Holland, Guantánamo hat nix mit Den Haag zu tun oder der Konvention, das Duale System für ideologischen Verpackungsmüll ist eher unkonventionell. In New York wurden DesasterSouvenirs verkauft, z. B. eine Seife mit dem Aufdruck: I was a Taliban, for a softer solution. Sollte ein Gag sein. Dann kam Abu Ghraib, der orientalische Zwingerclub mit Leinenzwang. Soldaten posierten als stolze Angehörige einer Herrchenrasse und Bush postulierte: We are the greatest people in the world. Fein und so bescheiden, das großartigste Volk der Erde, das waren wir auch schon mal. Man macht so seine Erfahrungen.

Ich will nicht nachtragend sein, Guantánamo wird sicher bald aufgelöst und vielleicht wird aus Unsinn tatsächlich noch UN-Sinn. Aber was machen wir, wenn Obama in Afghanistan nicht nur Krieg spielen, sondern was bewegen will? Er wird sehr höflich um Hilfe bitten. Wie reagieren wir? Scheiß Imperialisten, das läuft nicht mehr, nein, dann schnappt die Bündnisfalle zu und unsere Soldaten, lang als potenzielle Mörder gehänselt, werden Gelegenheit haben, ihr Potenzial weiter auszuschöpfen. Wenn wir Obama nicht helfen, wird aus Mister Yes-we-can der Präsident McCan, ein Loser. Kann er überhaupt gewinnen?

Aus Gorbatschow wurde Gorbi, aber was wird aus Obama? OBI? Der Heimwerker-Heiland, der eigenhändig die allzu mobilen amerikanischen Immobilien verleimt und die morschen Hütten zusammennagelt? Eine Immobilienkrise ist auch Häuserkampf, den muss er gewinnen, sonst wird aus dem Barrikaden- der Baracken-Obama.

Den Kapitalismus soll er retten, vor sich selbst, aber wie? Da hat er keinen Einfluss drauf, Kapitalismus ist keine Staats-, sondern höhere Gewalt, ein Naturgesetz, das der menschlichen Natur, das Gesetz des Mehrwerts und des damit verbundenen Gefühls, die Herrschaft des Unbeherrschbaren durch den Unbeherrschten, durch den Menschen, und wie willst Du einen Selbstmörder retten, der schon gesprungen ist? Da musst Du flitzen mit Deiner Hüpfburg.

Baracks Shout for Change könnte bald klingen wie der verzweifelte Ruf eines Obdachlosen nach Schnaps: Got some Change? Aber Kleingeld fehlt, das hat Hank Paulson verbraten, der noch amtierende Finanzminister ist ein Wahlverwandter der KfW, er überweist gern Geld an Banken, die es gar nicht mehr gibt, wie der Arzt, der seine Patienten an den Friedhof überweist, das ist in den USA auch sicherer, weil das mit der Krankenversicherung nicht so verbindlich geklärt ist.

Wie soll Obama das alles packen? Er wird nicht viel mehr machen können, als die Selbstheilungskräfte der amerikanischen Nation und des Marktes zu beschwören, tröstlich. Du liegst auf der Guillotine und der Anstaltsarzt beschwichtigt: Tut mir leid, da lässt sich nichts ändern, aber denken sie an die ungeheuren Selbstheilungskräfte ihres Körpers, vielleicht wächst der Kopf ja nach. Möglich ist das, aber was für Möglichkeiten hat Obama? Er wirkt so, als bräuchte er erst mal ein Jahr Urlaub. Das war auch Stress pur, zwei Jahre jeden Tag auf einer anderen Bühne die gleichen Sprüche klopfen, da bist Du platt, ich weiß wovon ich rede, ich bin auch Kabarettist.

* Der Autor
Thomas Reis, 45, ist eigentlich Historiker und uneigentlich Kabarettist ("Ich bin gerne Kabarettist, aber Henker beneide ich doch. Die verändern Menschen wirklich"). Er begann seine Karriere 1985 als sprachwitzbegabte Hälfte des "Duo Vital", seit 1992 ist er solo. Große Erfolge erzielte er zuletzt mit seinen Programmen "Gibt's ein Leben über 40?" und "Machen Frauen wirklich glücklich". Reis (www.thomasreis.de) lebt in Köln. Ab sofort blickt er regelmäßig in der FR auf die Ereignisse des Monats zurück.
Nächste Auftritte: 17.-20.12. 2008 Köln, Theater am Sachsenring

Aus: Frankfurter Rundschau, 29. November 2008
Mit freundlicher Genehmigung des Autors.



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