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Die Lektüre von Obamas Rede über den Iran

Von Phyllis Bennis *

Ganz plötzlich sprechen wir jetzt mit dem Iran. Nun sollte das eigentlich nicht ein so überraschender Paukenschlag sein. Aber angesichts der Wirklichkeit von mehreren letzten Jahrzehnte ist es das doch. Und es ist eine gute Sache, die schon zu lange auf sich warten ließ, die immer noch zu zögerlich abläuft, mit immer noch zu vielen Andeutungen über einen militärischen Einsatz im Hintergrund… aber wir reden miteinander. Der eine Außenminister mit dem anderen Außenminister, Kerry mit Zarif, all das ist ein gutes Zeichen.

Es gab da eine Menge problematischer Bereiche in der Rede – Präsident Obama hatte Recht als er sagte, dass die US-Politik im Mittleren Osten zu Vorwürfen von „Heuchelei und Widersprüchlichkeit“ Anlass gäbe. Die US-Politik – ihr Schutz israelischer Verletzungen internationalen Rechts, ihre bevorzugte Behandlung von Petro-Monarchien unabhängig von deren Menschrechtslage, ihr Verhätscheln von Militär-Diktatoren – duftet weiterhin stark nach Heuchelei und Widersprüchlichkeit. Und Obamas Rede ließ eine Menge davon erkennen.

Aber Präsident Obamas Rede vor der Vollversammlung der VN zeigte auch einige der außergewöhnlichen Verlagerungen in der globalen – insbesondere im Mittleren Osten und ganz besonders bezüglich Syriens – Politik, die während der letzten sechs bis acht Wochen Gestalt angenommen haben. Und was den Iran angeht, so waren das gute Nachrichten. Ja, der Präsident kramte seine vertraute Litanei hervor, dass „wir entschlossen sind, den Iran an der Entwicklung einer Atombombe zu hindern“ Aber dieses Mal gab es keine Drohung mit „alle Optionen sind auf dem Tisch“. Er fügte ausdrücklich hinzu, dass „wir keinen Regimewechsel anstreben und wir das Recht des iranischen Volkes auf Zugang zu friedlicher Nutzung der Atomkraft respektieren.“ Der Hinweis auf Irans Recht auf nukleare Energie repräsentierte einen wesentlichen Wandel von der ständig wiederholen Forderung vieler US-Falken und der israelischen Regierung, dass der Iran jegliche Urananreicherung aufzugeben habe.

Das Respektieren des Rechts teherans auf „Zugang“ zu Nuklearenergie hat natürlich immer noch etwas von einem Ausweichmanöver an sich – Artikel IV des Atomwaffensperrvertrags (NPT-Non-Proliferation Treaty) erkennt nicht nur den Zugang sonder „das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien zur Entwicklung von Forschung, Produktion und Verwendung von nuklearer Energie zu friedlichen Zwecken, ohne jede Diskriminierung:“ Der Iran ist seit langem Signatarstaat des NPT und damit im Besitz aller dieser Rechte. Obama erwähnte lediglich, dass „wir darauf bestehen, dass der Iran alle seine Verpflichtungen erfüllt“, die aus dem NPT-Vertrag erwachsen, ohne allerdings irgendetwas auch über die Rechte des Iran aus dem Vertrag zu sagen. Aber die klar hervorgehobene US-Anerkennung des iranischen Rechts auf nukleare Energie überhaupt – im Kontext einer neuen Bereitschaft zu offenen Gesprächen – ist gleichwohl von enormer Bedeutung.

Es war ebenfalls von Bedeutung, dass Obama über den Iran mit Respekt sprach, und den iranischen Interessen und Sichtweisen die prinzipiell gleiche Legitimität wie denen Washingtons zugestand. Er erkannte an, dass das iranische Misstrauen gegenüber den USA „tief verwurzelt“ sei und erwähnte (wenngleich sehr vorsichtig) die „Geschichte der US-Interventionen in die Geschicke des Landes und Amerikas Rolle beim Sturz einer iranischen Regierung in der Zeit des Kalten Krieges.“ In der Tat könnte seine Charakterisierung des 1953 von den USA unterstützten Staatsstreichs, der Irans demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Mossadegh stürzte, als ein Produkt des Kalten Krieges Teil eines Bemühens seinerseits gewesen sein, sich und seine Regierung von diesen Aktionen zu distanzieren. (Es bleibt natürlich ein Rest von Unaufrichtigkeit. Der primäre Grund für den Staatsstreich war viel eher eine Reaktion auf Mossadeghs Verstaatlichung des iranischen Öls als seine Verbindungen zur Sowjetunion.)

Obama schenkte auch den langjährigen iranischen Positionen neue Aufmerksamkeit. Er erwähnte, dass „der Oberste Führer eine Fatwa gegen die Entwicklung nuklearer Waffen ausgesprochen habe, und Präsident Rohani erst kürzlich wiederholt habe, dass die Islamische Republik nie eine nukleare Waffe entwickeln werde.“ Nun weiß jeder, der die iranische Atompolitik verfolgt hat, dass der Oberste Führer, Ali Khamenei, bereits im Jahr 2003 erklärt hatte, dass Nuklearwaffen eine Verletzung Islamischen Rechts darstellten und der Iran würde nie eine bauen oder einsetzen, und diese Fatwa, oder Rechtsmeinung, wurde bereits 2005 veröffentlicht. Dies ist also nichts Neues. Aber dass Präsident Obama diese Urteile im Kontext „der Basis für eine bedeutsame Vereinbarung“ erwähnt, ist in der Tat neu.

Die Mainstream Presse der USA und Offizielle der Regierung haben diese Aussagen lange Zeit verspottet und behauptet, dass Fatwas nicht bindend seien, dass 700 Jahre alte religiöse Gesetze keine Bewertung von Nuklearwaffen enthalten könnten, usw. Dabei aber ignorieren sie die wirkliche Bedeutung – dass Präsident Rohani, der Oberste Führer und der Rest der iranischen Regierung sich auch vor der eigenen Bevölkerung zu verantworten haben. Nach jahrelang wiederholten Erklärungen, dass Nuklearwaffen unislamisch seien, eine Fatwa verletzen würden, usw. wäre es nicht einfach für iranische Führer, in der Bevölkerung Unterstützung zu finden für die Entscheidung zum Bau der Bombe.

Es gibt noch eine ganze Reihe von Aspekten in Obamas Rede, die zu kritisieren wären – seine Bestätigung der Außergewöhnlichkeit Amerikas ( exceptionalism) und seine erneute Hinwendung zu dem bereits fehlgeschlagenen Versuch palästinensisch-israelischer Verhandlungen, seine Ansicht, dass auf Krieg und Gewalt nur mit militärischer Gewalt oder eben mit Garnichts reagiert werden könne, und noch weiteres mehr. Er hat nicht ausdrücklich seine Bereitschaft zur Teilnahme des Iran an den internationalen Verhandlungen über Syrien erklärt. Ferner besteht die ernste Gefahr, dass jeder Schritt der Annäherung an den Iran gefolgt wäre von Schritten zur Erfüllung israelischer Forderungen auf Kosten der Rechte der Palästinenser.

Dennoch stellt in dem breiteren Scenario der US-Iranischen Beziehungen all dies den Moment zu einer Vorwärtsbewegung dar, zum Begrüßen der neuen Herangehensweise der USA als Reaktion auf das neue Vorgehen Irans. Von den USA wird dabei mehr Flexibilität verlangt, als sie üblicherweise demonstriert. Die bekannten Gegner – im Kongress, in Israel und die pro-Israel Lobbys – haben sich bereits gerührt und kritisieren die neue Öffnung. Aber die letzten Wochen haben gezeigt, wie eine schnell organisierte Demonstration einer weitverbreiteten öffentlichen Meinung, die Verhandlungen statt Krieg forderte, erfolgreich sein kann. Wir sind in der Lage, eine Bewegung aufzubauen, die schnell, agil und mächtig genug ist, einen drohenden militärischen Angriff auf Syrien zu verhindern und stattdessen Schritte in Richtung diplomatischer Lösungen zu erzwingen. Zum jetzigen Zeitpunkt steht die Forderung zum Vertiefen und Konsolidieren diplomatischer Möglichkeiten und nicht zu deren Verzicht auf unserer Agenda – und vielleicht können wir noch einmal gewinnen.

Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken

* Phillis Bennis leitet das „New Internationalism Project“ am Institut für Politikforschung (Institute for Policy Studies-IPS) in Washington und arbeitet für das Transnationale Institut in Amsterdam. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind der Nahe und Mittlere Osten und die Vereinten Nationen. Außerdem arbeitet sie eng mit der amerikanischen Friedensbewegung „United for Peace and Justice“ zusammen.

Originalartikel: Reading Obama’s Iran Speech. In: The Nation (online), September 25, 2013



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