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Mehr Gleichheit wagen

Paul Krugman über die Zeit nach Bush – Stunde der Demokraten

Von Harald Loch *

Wahlkämpfe werden in den USA nach innenpolitischen Gesichtspunkten entschieden. Das gilt für die Wahlen der Abgeordneten und Senatoren wie für die Wahl des Präsidenten. Deshalb ist die Einmischung eines der bekanntesten Wirtschaftswissenschaftler, des 1953 geborenen, heute an der berühmten Princeton University lehrenden Paul Krugman so wichtig. »Nach Bush« heiß die deutsche Ausgabe seines Buches – im Original »The Conscience of a Liberal«.

Der diesjährige Nobelpreisträger für Wirtschaft stellt selbst so etwas wie dieses »liberale Gewissen« Amerikas dar, wobei das politische Wörterbuch in den USA »liberal« mit »links« übersetzt. Die bei uns als »neoliberal« inzwischen verschrieenen Kräfte werden dort mit dem Adjektiv »neokonservativ« bedacht. Die Zuordnung der Etikettierung war in der Geschichte der USA nie ganz eindeutig. Im letzten Jahrhundert hat sich die Faustformel durchgesetzt: »liberal« sind die Demokarten und die Republikaner eher »konservativ«.

Krugman holt weit in die Geschichte aus, grenzt das »Goldene Zeitalter« von der »Großen Kompression« im Gefolge des »New Deal« von Roosevelt ab und stellt fest, dass in den letzten drei Jahrzehnten der Wohlstand der Mittelschichten nicht mehr zugenommen hat. Am Wirtschaftswachstum und am Wohlstand haben – so rechnet Krugman vor – die unteren und mittleren Einkommensklassen nicht teilgenommen. Auch die »Besserverdienenden« haben eigentlich kaum Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung. Es ist eine Oligarchie von weniger als ein Prozent der Bevölkerung. »Spektakulär war der Zuwachs, wenn man in der Verteilung weiter nach oben geht: Das oberste Zehntelprozent erlebte eine Verfünffachung seines Einkommens, das oberste Zehntelpromille ist siebenmal reicher als 1973.«

Alle Zahlen sind natürlich inflationsbereinigt. Im Gegensatz zu früher ist die Quelle dieses Reichtums der »obersten Zehntausend« weniger das Eigentum an Produktionsmitteln, sondern er resultiert fast zur Hälfte aus Einkommen in Form eines Gehalts (inklusive Gewinnbeteiligungen, Aktienoptionen und anderen ertrags- oder umsatzabhängigen Gehaltsbestandteilen). Die Klasse der Superverdiener habe sich nach und nach im Gefolge von neokonservativen Politikentwicklungen herausgebildet. Ein ganzes Netzwerk von konservativen Denkfabriken und Medienverflechtungen habe diesen Aufstieg abgesichert, die konservative Bewegung hätte dazu die Partei der Republikaner gleichsam unterwandert und schließlich übernommen.

Paul Krugman schrieb eine polemische, wissenschaftlich auf festem Fundament stehende politische Kampfschrift – das macht sein Buch für die Neokonservativen so gefährlich. Der Autor verknüpft über die Jahrzehnte hinweg Politik und Wirtschaft, räumt mit dem konservativen – hierzulande würde man sagen: »liberalen« – Vorurteil auf, dass der Staat keinen oder allenfalls negativen Einfluss auf die Wirtschaft ausüben könne. Immer noch gibt es in den USA keine gesetzliche Krankenversicherung. Viele Arbeitsbeziehungen sind prekär, die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist drastisch gestiegen, der gesetzliche Mindestlohn – in den USA seit mehr als einem halben Jahrhundert eingeführt – reicht nicht mehr. Inzwischen hat die als »Hypothekenkrise« nur unzutreffend bezeichnete Einkommenskrise der amerikanischen Mittelschichten in aller Welt zu Milliardenabschreibungen auf sogenannte Suprime-Kredite geführt. In Wirklichkeit handelt es sich um ein zu geringes Masseneinkommen, der Wohlstand hat sich in Taschen allzu weniger konzentriert.

Krugmans Rezept ist ebenso einfach wie es »links« ist: Steuererhöhungen gegenüber den Superreichen und Höchstverdienern! Und er rechnet vor, dass das in der Vergangenheit, in Jahren großer Herausforderungen, auch die Wirtschaft angekurbelt hat. In einem Land mit anglo-amerikanischem Rechtssystem ist die Bezugnahme auf Präzendenzfälle auch in der Wirtschaftspolitik nicht tabu. Aus der Geschichte lernen, heißt für Krugman, an Roosevelts »New Deal« anknüpfen, das heißt also wieder: Mehr Gleichheit wagen!

Paul Krugman: Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2008. 320 S., geb., 24,90 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Oktober 2008


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