Mumia frei kämpfen
US-Bürgerrechtler Abu-Jamal und seine Verteidigung vor neuen juristischen Auseinandersetzungen. Internationale Solidarität verstärken
Von Jürgen Heiser *
Wer sich nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der USA vom Dienstag auf deutsche Medien wie Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Rheinische Post oder das 3sat-TV-Magazin Kulturzeit verließ, mußte glauben, 20 Jahre Solidaritätskampagne für den von der Hinrichtung bedrohten US-Journalisten Mumia Abu-Jamal hätten endlich zum Erfolg geführt. Doch die Meldungen »Mumia Abu-Jamal kann auf einen neuen Prozeß hoffen«, weil das Oberste Gericht der USA »ein Berufungsgericht im Bundesstaat Pennsylvania« angewiesen habe, »eine Neuauflage des Prozesses gegen Abu-Jamal zu prüfen«, erwiesen sich bei genauer Betrachtung als Ente. Diese wurde vor allem von der Nachrichtenagentur AFP in Umlauf gebracht.
In Wirklichkeit hob der U.S. Supreme Court ausgerechnet jene Entscheidungen der beiden Bundesgerichtsinstanzen von 2001 und 2008 auf, die Abu-Jamal einen neuen Jury-Prozeß über das Strafmaß in Aussicht gestellt hatten, in dem zumindest theoretisch eine Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft möglich gewesen wäre. Am 18. Dezember 2001 hatte Bundesrichter William Yohn befunden, daß das Todesurteil nicht verfassungsgemäß ist. Nach Yohn waren die Instruktionen, die der Vorsitzende Richter, der mittlerweile verstorbene Albert Sabo, den Geschworenen gegeben hatte, und das von ihm dazu verwendete Formular mißverständlich. Es könnte Geschworene dazu verleitet haben, irrtümlicherweise anzunehmen, daß sie keine mildernden Umstände berücksichtigen durften, solange nicht alle zwölf Jurymitglieder einstimmig der Meinung waren, daß solche mildernden Umstände existierten.
Diese Entscheidung von Bundesrichter Yohn war zumindest ein Teilerfolg. Dennoch mußte die Verteidigung in Berufung gehen, weil Yohn einen neuen Prozeß ablehnte. Abu-Jamal konnte aber mittlerweile stichhaltig seine Unschuld beweisen und wollte durch die Wiederaufnahme seines Verfahrens seinen Freispruch erreichen. Die Staatsanwaltschaft ging ebenfalls in Berufung, weil sie wie eh und je nichts anderes verlangte als die baldige Hinrichtung.
In seiner Entscheidung vom 28. März 2008 lehnte das 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia zwar ebenfalls einen neuen Prozeß ab, schloß sich aber Yohns rechtlicher Würdigung bezüglich der fehlerhaften Jury-Belehrung an. In einem Minderheitsvotum traf Thomas L. Ambro, einer der drei Bundesrichter dieser Kammer, sogar weitergehende Feststellungen. Sein Fazit: »Wenn auch nur eine einzige Person wegen ihrer Hautfarbe von einer Jury ausgeschlossen wird, verstößt das gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung in unserer Verfassung.« Folglich müsse dem Berufungssteller Abu-Jamal ein neuer Prozeß gewährt werden.
Aber weder zählte Richter Ambros Minderheitsvotum, noch wurde die Entscheidung der drei Richter rechtskräftig. Damit war die nächste -- und zunächst letzte -- Runde von Berufungsanträgen beider Parteien vor dem Obersten Gerichtshof der USA eingeleitet.
Das höchste Gericht, das die Berufung der Verteidigung bereits am 6. April 2009 verworfen und eine Wiederaufnahme des Verfahrens in letzter Instanz abgelehnt hatte, gab nun Dienstag dem Antrag der Staatsanwaltschaft insofern statt, daß es die beiden Entscheidungen der Bundesgerichte zur Frage der Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft aufhob. Allerdings mit der Einschränkung, daß das 3. Bundesberufungsgericht sich noch einmal eingehender mit der Frage der Belehrung der Geschworenen über die Berücksichtigung von mildernden Umständen befassen müsse.
Die hohen Richter wollen aber, daß die Bundesrichter in Philadelphia eine Grundsatzentscheidung mit einbeziehen, die der Oberste Gerichtshof am 12. Januar im Berufungsverfahren des Todeskandidaten Spisak aus Ohio getroffen hat. Auch wenn dieser Fall eines Neofaschisten, der sich öffentlich zu seinen Morden bekennt, nach Auskunft von Mumias Anwalt Robert T. Bryan »völlig anders liegt«, so ging es doch auch dort um die Frage der Belehrung der Jury zur Würdigung mildernder Umstände. Das hohe Gericht verneinte verneinte eine Kollision mit der Verfassung und widersprach der Vorinstanz, die deswegen das Todesurteil gegen Spisak aufgehoben hatte. Sein Todesurteil wurde also bestätigt -- und genau darauf läuft es jetzt auch in Abu-Jamals Fall hinaus.
Anwalt Bryan gegenüber jW: »Wir haben jetzt Monate intensiver juristischer Auseinandersetzungen mit umfangreichen Schriftsätzen vor uns.« Dann wird das Bundesgericht entscheiden, und die widerstreitenden Parteien werden erneut in Berufung gehen, der Oberste Gerichtshof also in letzter Instanz noch einmal entscheiden müssen.
»Mumias Körper ist eingesperrt, aber sein Geist und seine Feder sind frei. Deswegen wollen sie ihn hinrichten. Er ist nun in noch größerer Gefahr als zuvor!« so Bryan.
Die internationale Solidaritätsbewegung wird ihre Mobilisierung angesichts der sicheren Perspektive, daß es für Mumia Abu-Jamal nach dem Willen der US-Justiz am Ende nur die Bestätigung des Todesurteils geben soll, gerade jetzt und in den kommenden Monaten verstärken. Die offensive Verbreitung der Petition an US-Präsident Barack Obama ist dabei ein wichtiges Mittel, die US-Regierung unter Druck zu setzen.
* Aus: junge Welt, 21. Januar 2010
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