Jahrzehnte in der Todeszelle
Seit fast 28 Jahren kämpft Mumia Abu-Jamal gegen seine Hinrichtung. Heute wird er 55
Von Birgit Gärtner *
Heute wird der afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal 55 Jahre alt. Ein Mann in den besten Jahren also. Doch seine »besten Jahre« verbrachte der weltberühmte Publizist in der Todeszelle eines Gefängnisses in Philadelphia. Im Sommer 1982 wurde er ohne Beweis wegen Polizistenmordes zum Tode verurteilt.
Der engagierte Journalist war den Herrschenden in Politik und Justiz in Philadelphia wegen seiner kritischen Berichterstattung über die Polizeibrutalität gegenüber der schwarzen Bevölkerung ein Dorn im Auge. Er sollte zum Schweigen gebracht werden, deswegen wurde ihm der Mord angehängt. Diese Rechnung ging indes nicht auf: Mumia setzte seinen Kampf gegen die rassistische US-Gesellschaft und das repressive System im Knast ungebrochen fort und wurde weltweit zum Symbol für den Kampf gegen die Todesstrafe. Heute, nach fast 28 Jahren Haft, erreicht die »Stimme der Unterdrückten« durch Radioreportagen, Kolumnen und Bücher viel mehr Menschen auf der ganzen Welt als vor der Verhaftung am 9. Dezember 1981.
Zu den Black Panthers geprügelt
Mumia wurde am 24. April 1954 als Wesley Cook geboren. Seine Familie lebte in den Sozialsiedlungen in Philadelphia. Dort, wo in der »Stadt der brüderlichen Liebe«, wie Philadelphia aus dem Griechischen übersetzt heißt, die meisten Schwarzen lebten, lernte er früh, was es heißt, arm und schwarz zu sein. Mit 14 Jahren lehrte ihn ein Lehrer mit kenianischen Wurzeln die Geschichte der Schwarzen. Timone Ombima gab seinen Schülern afrikanische Namen, Wesley nannte er Mumia. Dem gefiel dieser Name so gut, dass er ihn beibehielt.
1969 kandidierte der Gouverneur von Alabama, George Wallace, bei den Präsidentschaftswahlen. Er trat offen für die Rassentrennung ein. In Philadelphia gab es eine große »Wallace-for-Presi- dent«-Kundgebung. Mumia machte sich mit drei Freunden auf den Weg, um gegen den Aufmarsch der Rassisten zu protestieren. Vier schlaksige schwarze Jungs gegen Tausende weiße Erwachsene ...
Sie wurden getreten und geschlagen und wussten sich schließlich nicht mehr anders zu helfen, als die Polizei zu rufen. Die kam tatsächlich -- um ihrerseits mit Schlagstöcken und Latten auf die Kids einzuprügeln und mit schweren Stiefeln auf sie einzutreten. Alle vier wurden ins Krankenhaus eingeliefert; Mumia war so entstellt, dass selbst seine Mutter ihn nicht mehr erkannte.
Der Polizeibeamte, der ihn so zugerichtet hatte, verabreichte ihm eine Lektion fürs Leben: »Er hat mich direkt in die Black Panther Party geprügelt«, sagt Mumia heute. In der Black Panther Party (BPP) entdeckte er den wirklichen Sinn seines Lebens -- das Schreiben. Bereits mit 15 Jahren wurde er der Verantwortliche für Information der BPP in Philadelphia. Er schrieb Artikel für die Black-Panther-Zeitung, die eine Auflage von mehreren Hunderttausend Exemplaren täglich hatte.
Mumia war ein journalistisches Naturtalent, der seine Umwelt aufsog wie ein trockener Schwamm das Wasser. Der den Bürgerrechtler Jesse Jackson und den Musiker Bob Marley mit derselben Neugier interviewte, mit der er eine Nonne mit der Frage »Hätten Sie nicht auch manchmal gern Kinder?« aus der Fassung brachte.
Bei den Black Panthers wurde Mumia erfasst von unbändiger Lebenslust und vom Feuer der Revolution. Um so schmerzlicher der Zusammenbruch der Partei Anfang der 1970er Jahre. »Ich fühlte mich, als hätte ich mich zum Ausgehen todschick gemacht und wüsste nun nicht, wo die Party läuft«, schreibt Mumia in dem Buch »... aus der Todeszelle« (Atlantik Verlag Bremen). Die Panthers bekämpften einander in einer blutigen Fehde, in der Ostküste gegen Westküste stand. Hinzu kam: »Um 1974 herum hatten die staatlichen Sicherheitskräfte mehr als 30 Militante ermordet und weit mehr ins Gefängnis gebracht, die Panther-Büros waren mit Informanten und Provokateuren durchsetzt.«
Auf dem College entdeckte Mumia eine neue Leidenschaft: das Radio. »Ein Tag ohne O-Ton ist wie ein Tag ohne Sonne«, schrieb er in dem Buch. Als Radioreporter in Philadelphia Ende der 70er thematisiert er rassistische Übergriffe der Cops auf die schwarze Bevölkerung, deckt Polizeiskandale auf und stellt den Verantwortlichen, etwa dem damaligen Polizeipräsidenten von Philadelphia, Frank Rizzo, unangenehme Fragen. Für seine Hörer wurde Mumia die Stimme der Unterdrückten. Ihm wurden verschiedene Medienpreise verliehen, er wurde zum Vorsitzenden der Vereinigung der schwarzen Journalisten in Philadelphia gewählt -- und zog sich Rizzos Hass zu.
Falsche Beweise und erpresste Zeugen
Am 9. Dezember 1981 wurde Mumia zufällig Zeuge, wie sein Bruder Billy von dem Polizeibeamten Daniel Faulkner kontrolliert und drangsaliert wurde. Er wollte seinem Bruder zu Hilfe eilen, es kam zu einem Gerangel. Am Ende war er selbst schwer verletzt, Faulkner war tot. Mumia arbeitete zu diesem Zeitpunkt als Taxifahrer, da die Herrschenden in Philadelphia so viel Druck auf die Medien gemacht hatten, dass der damals schon berühmte Reporter keine Anstellung bekam, mit der er seine Familie ernähren konnte. Er fuhr vor allem nachts und hatte sich deshalb eine Pistole zugelegt, die offiziell registriert war.
Weder wurde festgestellt, ob Mumias Waffe die Tatwaffe war, noch wurde er auf Schmauchspuren untersucht. Die Cops fanden einen toten Kollegen und einen blutverschmierten Schwarzen. Nachdem Rizzo klar wurde, wer dieser Schwarze war -- der ihm verhasste Radioreporter --, hatte er seinen Polizistenmörder. Mit Hilfe manipulierter Beweise, gefälschter Akten, erpresster Zeugenaussagen und vielem mehr wurde Mumia wegen Polizistenmordes im Juni 1982 zum Tode verurteilt.
Seitdem haben Mumias Tage keine Sonne mehr. Fast 27 Jahre verbrachte er unterdessen in der Todeszelle. Das bedeutet Leben auf sechs Quadratmetern. 23 Stunden Isolation, eine Stunde Hofgang, am Wochenende nicht einmal das. Mikrowellenessen, kein frisches Obst oder Gemüse. Wöchentlich drei Mal 15 Minuten privat telefonieren -- diese Gespräche muss er bezahlen. Sieben Bücher darf er gleichzeitig in der Zelle haben. Keine menschlichen Berührungen, Besuche nur durch Glasscheibe. Seine Lebensgefährtin Wadya hat Mumia seit Jahren nicht mehr in den Arm nehmen können; er hat Enkelkinder, die noch nie auf seinem Schoß saßen.
Trotzdem lässt er sich nicht unterkriegen. Im Gefängnis bildete er sich zum Gefangenenanwalt aus, schrieb Bücher, die weltweit verlegt wurden, macht Radioreportagen und schreibt Kolumnen. Dafür ernannte ihn die internationale Schriftstellervereinigung P.E.N. 2008 zum Mitglied. Für sein politisches Wirken wurde Mumia am 27. Mai 2001 in Lübeck mit dem Erich-Mühsam-Preis ausgezeichnet.
Solidarität ist dringender denn je
Den Preis nahm damals stellvertretend der Antifaschist Peter Gingold entgegen. »Wir, Überlebende des antifaschistischen Widerstands, des Holocaust, möchten unsere tiefste Verbundenheit mit Mumia zum Ausdruck bringen«, sagte Gingold in seiner Laudatio. Die Geschichte des deutschen Faschismus und Rassismus verpflichte die Deutschen, »politisch und moralisch am lautesten aufzuschreien und den Rassismus zu bekämpfen, wann und wo er auch zu Tage tritt, und sich mit jedem zu solidarisieren, der aus rassistischen Gründen verfolgt und dessen Leben bedroht wird«.
Die aktuelle Situation macht diesen Protest und diese Solidarität dringender denn je. Denn Anfang April 2009 lehnte der Oberste Gerichtshof der USA den Antrag von Mumias Anwalt Robert R. Bryan auf Wiederaufnahme des Verfahrens ab. Bryan wird Widerspruch gegen diese Entscheidung einlegen, der aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls kommentarlos abgelehnt wird. Dann bleibt auf juristischer Ebene nur die Entscheidung über das Strafmaß: lebenslange Haft oder Hinrichtung. Leben oder Tod, darum geht es in den nächsten Monaten für Mumia Abu-Jamal.
* Aus: Neues Deutschland, 24. April 2009
"Zwischen Hoffnung und Enttäuschung"
Die Ex-Gerichtsreporterin Peggy Parnass unterstützt Mumia und fordert ein Ende der Todesstrafe **
Die Hamburger Shoa-Überlebende, Autorin, Kolumnistin und langjährige Gerichtsreporterin Peggy Parnass ist Mitherausgeberin von Mumia Abu-Jamals erstem Buch » ... aus der Todeszelle«. Über ihren Kampf für den Journalisten und gegen die Todesstrafe weltweit sprach mit ihr für "Neues Deutschland" (ND) Birgit Gärtner. Wir dokumentieren im Folgenden das Interview.
ND: Warum unterstützen Sie Mumia Abu-Jamal?
Parnass: Mumia wurde wie viele hervorragende Journalisten bestraft für seine Qualität und seinen Mut, sich deutlich zu äußern. Kürzlich las ich, dass allein 2008 über 200 Journalisten weltweit in Ausübung und aufgrund ihres Berufes umgebracht wurden. Es ist den US-amerikanischen Gerichten gelungen, Mumia einzukerkern und zum Tode zu verurteilen. Glücklicherweise ist es ihnen nicht gelungen, ihn mundtot zu machen. Stellen Sie sich mal vor: Er denkt, er schreibt, er nimmt teil und lässt andere teilnehmen -- seit 27 Jahren mit dem Tod vor Augen. 27 Jahre ohne Familie, ohne Umarmungen, ohne Liebe, ohne Selbstbestimmung. Und das, obwohl in der ganzen Welt Millionen von Menschen -- berühmte und nicht berühmte -- sich für seine Freiheit eingesetzt haben. Wie muss er dadurch immer wieder zwischen Hoffnung und Enttäuschung hin und her geschleudert worden sein? Was muss es ihn kosten, überhaupt noch bei Verstand zu bleiben? Davor habe ich großen Respekt, und deshalb unterstütze ich ihn.
Der Fall legt nahe, dass Recht haben und Recht bekommen zwei unterschiedliche Dinge sind. Können Sie als ehemalige Gerichtsreporterin diese Erfahrung bestätigen?
Justiz findet nicht im luftleeren Raum statt. Ich glaube nicht, dass Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger unbeeinflusst von Medien, politischen Strömungen, Moden und Zeitgeist agieren können. Ich wurde Gerichtsreporterin, um deutlich und unerschrocken zu berichten, was in der deutschen Justiz läuft. Ich wollte über NS-Prozesse berichten. Aber die fanden ja nicht statt. In meinem Buch »Prozesse«, kommen in 81 Gerichtsreportagen nur drei NS-Prozesse vor: der Majdanek-Prozess, das Verfahren gegen Dr. jur. Ludwig Hahn, dem 280 000 Morde an Juden zur Last gelegt wurden, sowie ein Rechtsstreit zur Rehabilitierung von Fiete Schulz, dem wunderbaren Widerstandskämpfer, der von den Nazis mit dem Handbeil hingerichtet wurde. Im Majdanek-Prozess wurden die Angeklagten »im Namen des Volkes« zu ein Mal lebenslänglich, ein Mal zwölf, ein Mal zehn, ein Mal acht, ein Mal sechs, ein Mal vier, ein Mal 3,5, ein Mal drei und ein Mal zwei Jahren verurteilt. Dazu kam ein Freispruch. Ludwig Hahn bekam zwölf Jahre mit Haftverschonung ...
Keine positiven Ausnahmen?
Da gab es einen Oberstaatsanwalt, dessen Namen ich leider vergessen habe. Er kämpfte jahraus, jahrein vergeblich darum, Nazi-Täter vor Gericht zu bringen. Aber er wurde so gemobbt und gequält, dass er schließlich in der Psychiatrie landete.
Sind Sie generell gegen die Todesstrafe?
Seit vielen Jahren unterstütze ich Amnesty International in deren Kampf gegen die Todesstrafe weltweit. Nicht, weil niemand sie verdient hätte. Nur für die, die sie verdient hätten, ist sie mir zu human. Denn Massenmördern wünsche ich keinen schnellen Tod. Was für mich allerdings gegen die Todesstrafe spricht, sind die vielen Fehlurteile. Ich weiß nicht, bei wie vielen Gehängten oder auf dem elektrischen Stuhl oder per Giftspritze Hingerichteten sich später herausstellte, dass sie unschuldig waren.
Der juristische Kampf um die Wiederaufnahme des Verfahrens scheint verloren. Gibt es trotzdem Hoffnung auf Freiheit für Mumia?
Das, was wir alle wollten und immer noch wollen, die Wiederaufnahme seines Verfahrens, und damit letztendlich seine Freiheit, konnten seine Anwälte und seine Unterstützer auf der ganzen Welt nicht erreichen. Damit dürfen wir uns nicht abfinden, wir müssen weiter für seine Freiheit kämpfen. So lange das juristische Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann er zwar nicht hingerichtet werden, aber das Todesurteil ist nach wie vor gültig und könnte umgehend vollstreckt werden. Sein Leben ist also nach wie vor bedroht, zur Zeit mehr denn je, denn das alles kann sehr schnell gehen.
Die ganze Welt hofft auf Barack Obama. Glauben Sie, dass er sich für Mumia einsetzen wird?
Obama weiß, was es heißt, in den USA schwarz zu sein. Als Jurist wird er wissen, dass sich Rassismus wie ein roter Faden durch das US-Justizsystem zieht. Klar ist, dass Obama nicht alles kann, was die Welt sich jetzt im Freudentaumel von ihm verspricht. Aber auf die Freilassung von Mumia bestehen, das könnte er. Mit Hilfe seiner Frau, seiner Freunde und aller anständigen, auch weißen Amerikanern -- und der Unterstützung von Mumias Freunden auf der ganzen Welt.
Peggy Parnass: Prozesse. 16. Auflage, zu bestellen nur bei Buchhandlung Wohlers, Lange Reihe 70, 20099 Hamburg, 040 24 77 15.
** Aus: Neues Deutschland, 24. April 2009
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