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Das Leben Mumia Abu-Jamals ist weiterhin bedroht

Nur einer von drei US-Berufungsrichtern hatte Mut

Von Victor Grossman *

Das Leben Mumia Abu-Jamals ist weiterhin bedroht, auch wenn die Todesstrafe gegen ihn erst einmal aufgehoben wurde. Bleibt es dabei, soll der schwarze Journalist und Autor mit den wachen Augen und den langen Locken lebenslänglich eingesperrt werden.

Drei Richter des 3. US-Bundesberufungsgerichts haben sich die Argumente der Anwälte angehört, weit mehr als ein Jahr darüber nachgedacht und nun endlich, auf 118 Seiten mit hoch komplizierten juristischen Formulierungen, die Entscheidung gefällt: Mumia Abu-Jamal soll keinen neuen Prozess wegen des Mordes an einem weißen Polizisten in der Nacht des 9. Dezember 1981 erhalten. Obwohl Beweise verfälscht, Zeugen erpresst und bestochen, die Geschworenen ausgesiebt worden waren und der Richter ein notorischer Rassist ist, beschlossen die Richter, dass nur wegen des Strafmaßes noch einmal verhandelt werden dürfe. Innerhalb von 180 Tagen könnten die Staatsanwälte einen Geschworenenprozess ansetzen, aber nicht um festzustellen, ob Mumia schuldig oder unschuldig ist, sondern lediglich, um doch noch ein Todesurteil durchzusetzen. Falls sie das nicht wollen, so die Richter, bleibe es bei lebenslänglich hinter Kerkermauern.

Allein Richter Ambro sah den Fall anders. Auf 41 Seiten stellte er beispielsweise fest, dass die Auswahl der Geschworenen damals unzweifelhaft rassistisch war. Ja, in Philadelphia war Rassismus System, und wo Geschworene wegen ihrer Hautfarbe ausgeschlossen werden, gilt ein Prozess als unfair. Diese Einsicht bestätigte inzwischen sogar der Oberste Gerichtshof. Aber im Falle Mumia Abu-Jamals soll das nicht gegolten haben.

Robert R. Bryan aus San Francisco, der die Verteidigung leitet, mahnt nun dringend, nicht aufzugeben. Die Argumente von Richter Ambro waren so klug und überzeugend, dass Bryan mit ihnen versuchen wird, an alle neun Richter des Berufungsgerichts zu appellieren. Wenn das nicht gelingt, will er vor das Oberste Gericht gehen.

Die Position der beiden Richter, wonach für Mumia nicht gilt, was in anderen Fällen gelten mag, reflektiert den Symbolwert dieses Falls. Die Polizei, die Politik, die ganze Staatsmacht in Philadelphia und Pennsylvania wollen ihre Beute nicht freigeben, derart fürchten sie Abu-Jamals anklagende Stimme, die schon aus der Todeszelle so klar und mutig herausdrängt. Zu sehr ist er auch ein Symbol für über zwei Millionen inhaftierte US-Amerikaner geworden, mehr als in jedem anderen Land der Welt. Deutlich überproportional ist dabei die Zahl der Häftlinge mit dunkler Hautfarbe – auch eine Form der Einschüchterung des am meisten unterdrückten, aber zugleich kämpferischsten Teils der US-amerikanischen Gesellschaft. Gerade jetzt bekommen manche zudem Angst vor der Möglichkeit eines schwarzen Präsidenten. Ausgerechnet in Pennsylvania könnte Ende April eine Vorentscheidung im Kampf zwischen Barack Obama und Hillary Clinton um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten fallen. Es bleibt abzuwarten, ob der Fall Mumia Abu-Jamal diese Vorwahl beeinflussen wird. Dass aber gerade jetzt eine derartige gerichtliche Entscheidung gefällt wurde, muss nicht nur Zufall sein; die Gegner Obamas haben längst zur Waffe des Rassismus gegriffen.

Wie Michael Schiffmann, Sprecher des Netzwerkes gegen die Todesstrafe, betonte, sei die »zweitschlimmste Möglichkeit« eingetreten: »Mumia wird nicht hingerichtet, aber er bekommt auch keinen neuen Prozess. Lassen wir dennoch nicht die Hoffnung sinken. Jetzt müssen wir erst recht überlegen, was noch getan werden kann.« Und das Berliner Bündnis »Freiheit für Mumia Abu-Jamal« erklärte: »Die Bewegungen, die ihn schon zwei Mal vor der Hinrichtung gerettet haben, müssen wieder entstehen und erstarken.« Voraussichtlich wird der 12. April zum Internationalen Aktionstag für Mumias Freiheit und gegen die Todesstrafe.

* Aus: Neues Deutschland, 29. März 2008

"Mumia bleibt im Todestrakt"

Ein jW-Gespräch mit Rechtsanwalt Robert R. Bryan **

junge Welt: Sie kämpfen für die Wiederaufnahme des Verfahrens, in dem Mumia Abu-Jamal 1982 zu Unrecht zum Tode verurteilt worden ist. Was ist der Kern der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung des US-Bundesberufungsgerichts in Philadelphia?

Robert R. Bryan: Das Todesurteil wurde aufgehoben, aber die 1982 erfolgte Verurteilung wegen Polizistenmordes nicht angetastet. Mein Mandant soll also keine Gelegenheit bekommen, seine Unschuld zu beweisen.

Ist das ein Rückschlag?

Wegen der Ablehnung des Wiederaufnahmeverfahrens natürlich, andererseits aber auch ein Sieg.

Was macht den Sieg aus?

Die Aufhebung des Todesurteils! Für jeden Anwalt, der wie ich sein Leben damit verbracht hat, gegen die Todesstrafe in Mordprozessen zu kämpfen, ist es immer ein Sieg, wenn ein Todesurteil aufgehoben wird. Wir wollten natürlich einen völlig neuen Prozeß erreichen, aber das Gericht hat nur teilweise den Weg zu einem neuen Geschworenenprozeß eröffnet, in dem es dann nur um die Frage des Strafmaßes geht, also lebenslängliche Haft oder Hinrichtung.

Was sagt Ihr Mandant Mumia Abu-Jamal zur Gerichtsentscheidung?

Er ist froh darüber, daß die Gefahr einer Hinrichtung zunächst gebannt ist. Aber wir sind beide überhaupt nicht froh darüber, daß die Bundesrichter die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt haben. Wir sehen dennoch einen Silberstreifen am Horizont. Thomas Ambro, einer der drei Bundesrichter, war mit den rechtlichen Bewertungen seiner beiden Kollegen bezüglich des rassistisch motivierten Ausschlusses von schwarzen Geschworenen durch die Anklagevertreter nicht einverstanden. Und er hat diese abweichende Meinung auf 41 der insgesamt 118 Seiten der schriftlichen Begründung dargelegt.

Was sieht Richter Ambro anders?

Er ist der Meinung, daß schon die Ablehnung nur eines einzigen Jury­kandidaten wegen dessen Hautfarbe einen Verstoß gegen die in der US-Verfassung garantierte Gleichbehandlung darstellt. Faktisch erkennt Ambro damit an, daß trotz einer gängigen Rechtsprechung in anderen Fällen eine Ausnahme gemacht wird, wenn es um Mumia Abu-Jamal geht. Wäre es um einen anderen Verurteilten gegangen, dann hätte das Gericht ein neues Verfahren angeordnet.

Was bedeutet das auf den Punkt gebracht?

Richter Ambro sagt, daß jeder Angeklagte das Recht auf eine Jury von seinesgleichen hat, also alle zwölf Geschworenen repräsentativ für die Umgebung sein müssen, aus der er stammt. Für Ambro ist außerdem jeder Ausschluß eines Geschworenen nur aufgrund seiner Hautfarbe ein Verfassungsverstoß. Seine beiden Richterkollegen teilen diese Meinung aber nicht, obwohl es für jeden Menschen auf dieser Welt klar ist, daß sie sich damit ins Unrecht setzen und auf dieser Basis kein fairer Prozeß möglich sein kann.

Welche Schlüsse zieht die Verteidigung aus dieser uneinheitlichen Entscheidung?

Ich sehe diese auf 41 Seiten akribisch dargelegte abweichende Meinung als eine Richtschnur für den Weg, den wir einschlagen müssen. Ambro hat im Grunde juristisch den Punkt gesetzt, an dem wir weitermachen müssen. Die Essenz von dem, was er über die Verletzung der Verfassung und den Rassismus in diesem Verfahren sagt, müssen wir nutzen.

Welche juristischen Schritte ergeben sich daraus?

Das Gremium des Bundesberufungsgerichts für den 3. Bezirk, das jetzt entschieden hat, besteht aus drei Richtern. Die erweiterte Kammer dieses Gerichts umfaßt neun Richter. Wir werden beantragen, daß der jetzt gefällte Beschluß von allen neun Richtern überprüft wird. Entscheidet das erweiterte Gericht dann zu unseren Gunsten, wird der Prozeß gegen Mumia vor einer neuen Jury neu aufgerollt.

Und im schlechten Fall?

Wenn wir von dem erweiterten Bundesberufungsgericht nicht angehört werden oder die Entscheidung der drei Richter bestätigt wird, ist für uns die nächste Instanz der Oberste Gerichtshof in Washington D. C.

Spielt bei diesem Szenario das Vorgehen der Bezirksstaatsanwaltschaft eine Rolle?

Nein. Von dort kam noch keine Stellungnahme, aber ich erwarte, daß diese Behörde genau wie wir eine Überprüfung der Entscheidung durch das erweiterte Richtergremium beantragen wird. Indem das Todesurteil aufgehoben wurde, hat die Staatsanwaltschaft natürlich erst einmal faktisch verloren, weil es ihr ja um die Beibehaltung des Todesurteils ging. Andererseits hat sie auch gewonnen, weil der Fall nicht mit einer neuen Beweisaufnahme überprüft werden soll.

Im Moment ist Mumia Abu-Jamal nicht mehr akut von der Hinrichtung bedroht?

Nein, absolut nicht, das haben wir zumindest erreicht. Derzeit kann niemand einen Hinrichtungsbefehl unterzeichnen. Er verbleibt aber bis zum Ende der juristischen Klärung im Todestrakt.

Welche Unterstützung ist jetzt notwendig?

Wir brauchen Spenden, um weiterarbeiten zu können. Der Kampf für Mumias Freiheit hat jetzt eine neue Stufe erreicht, die Auseinandersetzung wird nun schärfer geführt, und die Arbeit, die vor uns liegt, ist überwältigend. Wir brauchen deshalb neben der materiellen jede erdenkliche Unterstützung durch alle Formen öffentlicher Proteste, mit denen weiterhin die Wiederaufnahme des Verfahrens gefordert wird.

Sie werden im April wieder in Deutschland sein?

Auf Einladung des P.E.N.-Zentrums Deutschland werden wir am 17. April im Berliner Brecht-Haus zusammen einen »Abend für Mumia Abu-Jamal« gestalten. Dabei werden wir Mumias neue Mitgliedschaft im P.E.N. der USA würdigen und überlegen, wie der Kampf für seine Freiheit weitergeführt werden kann und muß. Ich will, daß mein Mandant nach fast 27 Jahren endlich seine Freiheit wiedererlangt. Basta.

Interview: Jürgen Heiser

** Robert R. Bryan ist Hauptverteidiger des schwarzen US-Journalisten Mumia Abu-Jamal und kämpft um ein faires Verfahren für seinen Mandanten

Aus: junge Welt, 29. März 2008





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